Dublin

Dublin boomt und ist im Begriff, seine Seele zu verlieren.

Wem gehört die Stadt? Und wer bestimmt über ihre Zukunft? Diese Frage stellen sich viele Menschen in Irlands Hauptstadt mit bangem Blick in ihre eigene Zukunft. Dublin, die einzige Metropole auf der Insel, boomt gnadenlos. Im Frühjahr wurden in der Skyline der Stadt an einem Tag 123 Kräne gezählt. Die Abrissbirne und die Baukräne regieren, das alte Dublin muss vielerorts in schwindelerregendem Tempo der zerstörerischen Erneuerungskraft des Kapitals weichen.

Vor allem der massive Einfluss der amerikanischen Internet- und Tech-Unternehmen auf die Fair City droht Dublin zu einer profit-kalten Stadt zu machen, in der Normalverdiener und selbst Besserverdiener es sich nicht mehr leisten können zu leben. Das Wort vom San Francisco Europas macht neuerdings die Runde.

Die Irish Times konstatierte gerade, dass die Silicon Docks Dublin den Garaus machen. Gemeint sind die Firmenzentralen von Tech-Konzernen wie Google, Facebook, Twitter oder Linkedin, die in den Docklands der Stadt den Ton angeben und das neue Klima der Stadt prägen. Die Heere gut verdienender Techies sind mitverantwortlich für das in Europa ungeschlagene Mietniveau  Dublin, für die Verdrängung alteingesessener Dubliner aus der Innenstadt.

Wer nach San Francisco blickt, sieht heute eine Stadt, die nach zweieinhalb Jahrzehnten High-Tech-Herrschaft jegliche Normalität verloren hat: Hier prallen ordinärer Reichtum und schlimmste Armut direkt aufeinander. Vor allem die gefräßigen Tech-Giganten Google und Facebook werden für den Absturz der einstigen Hippie-Hauptstadt in der Bay verantwortlich gemacht.

 

Dublin bald oder bereits am Punkt ohne Wiederkehr?

 

Der Bauboom in Dublin und die turmhohen Mieten für Wohnungen und Geschäftsräume haben freilich auch andere Gründe. Die Stadt wird gerade komplett durchkommerzialisiert. Profit, Rendite und Gier regieren. Die Freiräume für Kultur, Kreativität, für Künstler, Gemeinschaft und Gemeinwohl werden klein, der konsumfreie öffentliche Raum verschwindet zusehends. Irish Times Kolumnistin Una Mullally schreibt: “Die Abrissbirne treibt Dublin auf den Punkt ohne Wiederkehr zu”. Am Beispiel des Dubliner Weihnachtsflohmarkts beschreibt Mullally, wie die unheilige Allianz aus Stadtverwaltung, Bauunternehmern und Investoren Straßenzug um Straßenzug ihrem Diktat unterwirft.

Für den Dezember-Flohmarkt, den im vergangenen Jahr noch 73.000 Menschen besuchten, gibt es in diesem Jahr am Point Square keinen Platz mehr. Das Areal wird gerade überplant. Organisatorin Sharon Green hatte ein halbes Jahr nach einem Ersatzort gesucht und schließlich vergangene Woche aufgegeben: Es gibt in der Stadt weder den Ort noch den notwendigen Willen.

So wandelt sich Dublin nach dem Willen der großen Geldmaschine und verliert im zweiten Mega-Bauboom in zwei Jahrzehnten wahrscheinlich bald seinen Charakter, sein Herz und seine Seele – sollte nicht noch ein kleines Wunder geschehen oder der nächste Crash dem Bauen in der Stadt ein jähes Ende bereiten. Was droht, so beschreiben es die aktuellen Szenarien, ist eine glatte, kalte City-Kulisse für Kommerz, High-Tech und Touristen (Stichwort Airbnb) – und jede Menge Menschen, die sich in dieser Stadt einmal wohl und heimisch gefühlt haben, und die um die verlorene Heimat trauern werden.

 

Dublin, Fair City an der Liffey. Noch.

Fotos: Markus Bäuchle

 

Hier die beiden interessanten Beiträge über Dublins Zukunft in der Irish Times (Paywall):

How Silicon Docks is killing Dublin von Karlin Lillington (vom 4.7.2019)

Demolition takes Dublin close to point of no return von Una Mullally (vom 22.7.2019)

 

Über den Niedergang San Franciscos schreibt der britische Guardian:

‘We all suffer’: why San Francisco techies hate the city they transformed