Das irische Volk hat das letzte Wort über den europäischen Fiskalpakt, den von Deutschland angestoßenen neuen europäischen Stabiltätsvertrag, der auch unter dem Begriff „Schuldenbremse“ bekannt ist. Ministerpräsident Enda Kenny unterbrach heute nachmittag die Sitzung des Parlaments in Dublin, um die Entscheidung der Regierung für eine Volksabstimmung bekannt zu geben.
Ob sich das irische Wahlvolk für den weiteren Abbau der nationalen Souveränität und strenge Haushaltskontrollen durch die europäischen Institutionen entcheiden wird oder ob die Regierung erneut so oft abstimmen lassen wird, bis das Ergebnis stimmt? Ob Irland den Weg der europäischen Integration weiter verfolgt oder sich doch noch auf die Seite Großbritanniens schlägt, dessen Premier Cameron den Stabilitätspakt vor Wochen unter großem Getöse ablehnte? Wir werden sehen. Am Wochenende werden die Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer den Stabilitätspakt unterzeichnen. Bislang bleiben Großbritannien und Tschechien außen vor. Irland könnte folgen. Zumindest steht dem Land nun innenpolitisch heiße Wochen bevor, bis das Referendum ausgezählt ist. Der neue Europa-Vertrag soll anfang 2013 in kraft treten.
Ich fänd’s schon eine große Verbesserung, wenn heute/Tagesschau (und die entsprechenden Sendungen in allen EU-Ländern) jeden zweiten Tag fünf Minuten über das berichten würde, was gerade im EU-Parlament verhandelt wird (das sind ja nicht bloß Rettungsschirme). Dann hätte bürger nicht mehr das Gefühl, dass da zu viele Sachen ablaufen, von denen wir nichts mitkriegen. Wir würden die einzelnen Positionen kennen lernen, was wiederum hilfreich wäre bei den Parlamentswahlen und Wahlbeteiligungen steigert; und wir würden mehr von einem schon real existierenden Europa miterleben. Da laufen ja auch eine Menge guter Sachen. Hier sind die Medien gefragt, und bitte nicht immer nur die mit der „anspruchsvollen Zielgruppe“, sondern auch die, die (seriös) wirklich eine breite Masse erreichen.
Es ist gut, dass es zu einer Abstimmung kommt. Vielleicht ist es die Moeglichkeit unseren irischen Politikern zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann. Durch die Vergemeinschaftung der Bankschulden (wofuer die Mehrheit der Iren nicht verantwortlich ist), soll die Allgemeinheit bluten und zahlen. Das geht so schon seit 5 Jahren und es ist kein Ende abzusehen. Die Hauptgruende, dass Irland in der Krise jetzt in der Krise steckt, liegt doch darin, dass geldgierige Speckulanten sich verspekuliert haben. Jetzt wollen diese Banken und Bondholder ihren Geldeinsatz zurueck. Das Volk soll zahlen. Das Land leidet sehr schwer. Die Binnennachfrage liegt am Boden. Arbeitslosigkeit auf ueber 14 %. Natuerlich haben die Iren auch eine Mitschuld. Explodierende Gehaelter im oeffentlichen Dienst sind eine Schande. Es kann einfach nicht sein das Aerzte, Professoren etc. doppelt soviel und mehr verdienen als in Deutschland und 50 % mehr als im Privatsektor! . Hier muessen Aenderungen gemacht werden. Das ist jedoch sehr schwierig, da der oeffentliche Dienst gut gewerkschaftlich organisiert ist in Irland. Deshalb vermute ich es waere besser wenn Irland den Euroraum verlaesst und einen Schuldenschnitt bekommt. So wie es jetzt laueft sieht es nach einer endlosen Rezession ohne Perspektive aus..
Rette sich wer kann.
Deutscher, der in Irland lebt.
Ich bin bzgl Referenden sehr gespalten. Natürlich sind sie als Werkzeug direkter Demokratie zu begrüßen.
Leider hat sich gezeigt, dass Britta mit ihrer Skepsis aber auch nicht unrecht hat: manchmal begreifen bedeutende Teile der Bürgerschaft nicht, worum es geht. So zum Beispiel geschehen im Sommer 2010 beim Schulreferendum in Hamburg.
Es ging um die Einführung einer sechsjährigen statt einer vierjährigen Primarschule, von der voraussichtlich Kinder aus sogenannten bildungsfernen Familien profitiert hätten. Nur gingen leider die Wahlberechtigten aus eben diesen bildungsfernen Familien nur zu einem relativ geringen Prozentsatz zur Abstimmung, während die anderen sämtliche Kräfte mobilisierten und die Schulform, die ihnen als die bessere (oder auch nur als gewohntere) erschien, so erhalten konnten. In einem TV-Politmagazin wurde anschließend analysiert, dass bei den Bildungsfernen offenbar die Bedeutung des Referendums für ihre Kinder überhaupt nicht angekommen war – trotz intensiven Engagements des schwarz-grünen Senats, der die Reform durchführen wollte.
Die Möglichkeit des Referendums an sich ist also noch nicht die Lösung, es muss auch eine gewisses politisches Bewusstsein in der Bevölkerung vorhanden sein und die Bereitschaft, sich mit den zu entscheidenden Themen auseinanderzusetzen. Auch hier scheint mir wieder viel Optimismus erforderlich zu sein…
Das Problem des Projekts Europa liegt darin, dass es als eine Einigungsbewegung „von oben“ begann und bis heute bei den „Völkern“ nicht richtig angekommen ist. Es ist eben nicht von Mensch zu Mensch zusammengewachsen, was möglicherweise irgendwann mal zusammen gehört. Anderseits: Ohne diesen „Top-Down“-Ansatz wäre mit Europa gar nichts passiert, wir hätten immer noch die alte nationalstaatliche Landschaft mit all den Ressentiments und all den tiefen Gräben. Demokratisch war der Europäische Einigungsprozess nie, bis heute nicht. Und wäre er demokratisch, gäbe es ihn wahrscheinlich gar nicht.
Na, da gibts Erklärungsbedarf.
Es ist richtig, Irland ist, nach einem Referendum im Mai 1972 (Ausgang mit überwältigender Mehrheit von über 83%), der Europäischen- Wirtschafts-Union beigetreten. Das war in meinen Augen ein ganz anderer „Verein“!
Meiner Meinung nach hätte der „Nachfolge-Verein“, den wir heute haben, anders aufgezogen werden müssen. An dessen Beginn hätte die Abstimmung über eine gemeinsame Verfassung stehen sollen, weit vor der Einführung des Euros. Und in dieser Vorphase hätten die (beitrittswilligen) europäischen Völker abstimmen müssen. Das hätte uns viel, viel Ärger und Kosten erspart!
Und das meinte ich, als ich davon sprach, daß die Reihenfolge auf den Kopf gestellt wurde.
Und was den Begriff „Satzung“ betrifft, den habe ich flapsig an Stelle von „Verfassung“ oder „constitution“ verwendet. Sowas kennen nicht nur die Deutschen. Nur wir gehen damit vielleicht ein wenig strikter um, wie Du, liebe Nicola, zu Recht bemerkst.
By the way: Ich habe generell nichts gegen ein Referendum!!! Wir sollten diese Möglichkeit auch in Deutschland einführen.
Ich gebe dir (als ebenfalls „alte“ Europäerin) völlig recht, Peter. Dennoch musste ich ein bisschen schmunzeln, als ich deine Worte zu den Vorteilen einer „Satzung“ las – ich fürchte, das ist doch ein sehr deutscher Standpunkt. Der sich in unserer Mentalität zwar bestens bewährt hat, aber anderen Mentalitäten wohl doch sehr fremd ist… Die Notwendigkeit klarer Regeln zeigt sich ihnen vielleicht nun in den Schwierigkeiten, von daher mag es Lernprozesse geben.
Da ich mit fortschreitender Lebenserfahrung (hüstel) auf eine Reihe Erlebnisse zurückblicken kann – auch in politischen Zusammenhängen -, die ich früher nicht für möglich gehalten hätte, wächst meine Gelassenheit, was die gegenwärtig reichlich verfahrende Situation in Europa betrifft. Manchmal passiert irgendwas Verrücktes, mit dem niemand rechnen konnte, und die Dinge kommen daraufhin in Ordnung.
Vielleicht war der Ansatz falsch, möglichst viele Länder in das Vereinte Europa hinein zu bekommen. Vielleicht ist es einfacher, ein paar Kernländer drin zu haben, die ohnehin die politische und die wirtschaftliche Hauptkraft darstellen, und andere Länder, die letzten Endes von der Vollmitgliedschaft nur völlig überfordert sind, als Assoziierte anzugliedern.
Ich denke mittlerweile (auch nach Gesprächen mit griechischen Bekannten), dass es Griechenland besser ginge, wenn es mal für 20 Jahre aus der EU austritt und sich in Ruhe entweder neu strukturieren könnte oder aber feststellen, dass es einfach nicht in so einen Staatenverbund reinpasst. Ich denke auch, dass weder die EU noch der Euro zusammenbrechen werden, wenn zwei oder drei Länder wieder austreten. Das wäre besser als dieses andauernde Drama der Rettungsschirme, das ganz Europa und die gesamte Weltwirtschaft nervt.
Ich bin mal gespannt, was die Iren aus ihrer Abstimmung machen ;-)
Ich werde aus Peter Bernhardts Beitrag nicht ganz schlau – vor allem in diesem Punkt:
„Daß die irische Regierung jetzt das Volk fragt, ist sicherlich ein demokratischer Akt, den ich gerne unterstützen würde, wenn er am Anfang des Beitritts gestanden hätte.“
Genau am Anfang des Beitritts stand genau ein solcher demokratischer Akt … die Volksabstimmung über das Third Amendment of the Constitution of Ireland, die 1972 den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft erst ermöglichte.
Als „alter“ Europäer bin ich nicht sonderlich überrascht, auf welch fatalem Weg die Eu-Gemeinschaft sich zur Zeit befindet.
Schon beim Startschuß hätte man die Gründerländer zurückpfeifen und ihnen erklären müssen, daß ohne Spielregeln, sprich: eine klare und für alle verbindliche „Vereins-Satzung“ nichts läuft. Aber, stattdessen hat man auf die gemeinsame Währung gestarrt und gehofft, daß alle anderen Regeln sich mit der Zeit von selbst zum Wohle aller „einfinden“ werden. Spätesten jetzt ist klar, daß man sich da gründlich getäuscht hat.
Am Anfang einer jeden Vereins-Gründung verständigt man sich auf eine Satzung! Und jeder, der Mitglied bei diesem „Verein“ werden will, hat diese „Spielregeln“ zu akzeptieren und zu unterschreiben! Ohne „WENN“ und „ABER“! Schließlich wird keiner gezwungen Mitglied zu werden!!!
Und wenn irgend einem europäischen Staat diese Vereins-Satzung nicht gefällt oder zu undemokratisch erscheint, darf er ohne Gesichts-Verlußt „draußen“ bleiben.
So einfach ist das! Es wird keiner gezwungen!
Jetzt, all das Versäumte nachzuholen ist fast nicht zu stemmen. Wir werden uns in Zukunft an noch manchem Problem die Zähne ausbeißen. Ein Scheitern ist nicht ausgeschlossen!
Daß die irische Regierung jetzt das Volk fragt, ist sicherlich ein demokratischer Akt, den ich gerne unterstützen würde, wenn er am Anfang des Beitritts gestanden hätte. Wer beantwortet mir die Frage, was wird aus Irland, wenn ein deutliches NEIN herauskommt? Dann haben die Iren zwar ein wenig Souveränität bewahrt, aber die Solidarität der Gemeinschaft verloren!
Als „alter“ Europäer habe ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, daß meine Enkel eines Tages in einem „Vereinten Europa“ leben!
Ich bezweifle, daß die Mehrheit der Bürger überhaupt eine Ahnung hat, wofür oder wogegen sie stimmen;
kein Land hat so profitiert von der EU wie Irland; wie oft soll eigentlich noch abgestimmt werden. Das Votum kann nichts anderes als ein klares Ja sein.
Es ist ein richtiger Schritt Irlands, seine Bürger in die Entscheidungen mit einzubeziehen. Es geht hier um die Zukunft des Landes. Es wurde in der Vergangenheit viel zu viel aus Brüssel entschieden. Wozu das geführt hat sehen wir heute.
Es ist ein Zeichen von Demokratie, wenn das Volk gefragt wird:
http://www.start-trading.de/blog/2012/02/29/europa-irland-stellt-sich-quer/
Davon (an Demokratie) hat es in Europa lange Zeit sehr gemangelt.