Irische Gesten: Der Straßenverkehr im ländlichen Irland ist nichts für Träumer. Wer unaufmerksam, verschlafen, introvertiert durch die Gegend kutschiert, mag zwar nicht im Straßengraben landen, ganz sicher aber im sozialen Abseits. Denn das Kommunizieren mit den lieben Straßenmitbenutzern ist in der Dorfkulisse, wo man sich kennt, ein Hochamt des stilsicheren sozialen Umgangs: Man grüßt und wird gegrüßt. Man(n) zollt sich hinterm Steuer Aufmerksamkeit und Respekt – und das gekonnt mit minimalen Gesten.
Während frau am Steuer schon mal die Hand so verschwenderisch wie hurtig auf Kopfhöhe hebt, um mit der vollen inneren Handfläche hinüber in die Blechkabine jenseits des nicht vorhandenen Mittelstreifens zu salutieren, ruht die Hand des Mannes (zumindest für diesen Zweck) meistens bewegungs-ökonomisch am Steuer.
Das Web-Magazin Broadsheet.ie hat die Straßen-Etikette auf Irlands Straßen einmal anschaulich illustriert (Foto oben): Der grüßende mobile Landmann fährt einfach den Zeigefinger aus, um zu grüßen. Der Gegrüßte ist dann in der Regel ein Unbekannter. Für Bekannte streckt er zum Zeigefinger auch noch den Mittelfinger aus. Soviel Respekt muss sein.
Für Freunde und Bekannte hebt Paddy am Steuer kurz und gut sichtbar die ganze Hand – formvollendet bleibt das Handgelenk dabei in Kontakt mit dem Lenkrad — und nur wenn Spezis, Busenfreunde und Buddies vorbei fahren hebt er die Hand, mit allen Fingern Richtung Windschutzscheibe ausgestreckt, ein paar Zentimeter zum Gruß in die Höhe.
Die dunklen Seiten des Fingerspiels: Bleiben die Finger des gegenverkehrenden Fahrers ungerührt auf dem Lenkrad liegen, wird es Zeit sich Gedanken zu machen. Das Verhältnis könnte bereits empfindlich gestört sein . . .
Foto: Broadsheet.ie / Cyril [ed07042016]
Aus meinen Autostop-Trips durch Irland in den 80ern kenne ich noch die Tramper-Netiquette: konnte man dich nicht mitnehmen, weil man kurz darauf abbog oder sein Ziel erreicht hatte, wurde das durch eine Handbewegung signalisiert, oft begleitet von einem entschuldigenden Lächeln oder Schulterzucken.
Ich frage mich ob es das noch gibt…
Als wir in den 1970ern mehrfach in Irland waren, fielen uns die Farmer auf, die auf ihren Esels- oder Pferdekarren früh morgens mit ihren Milchkanen drauf Richtung DIARY unterwegs waren. Jeder von ihnen hielt die Zügel (heute das Lenkrad beim Auto) und hatte uns Fremden mit einem Kopfnicken wilkommen geheissen. Dieses Kopfnicken, bei dem der Kopf kurz zu Dir rübergeneigt wird, kennt heute kaum noch jemand…
Doch, doch, die Leute gibt es noch, sind aber seltener geworden . . .
Doch Peter, das gibt es noch. Es ist aber ein sehr kompliziertes Kopfnicken. Nicht nur den Kopf neigen, sondern dies in einem bestimmten Winkel mit einem kleinen Wackeln zurück – oder so. Ich habe das ewig geübt, kriege es aber immer noch nicht hin.
Das Interessante daran ist, dass ich die gleiche Kopfbewegung sowohl in Sri Lanka als auch in Griechenland erlebt habe. In allen Fällen habe ich das als freundlich-neutrale Wahrnehmung des Gegenübers empfunden, irgendwie eine Mischung aus Ja und Nein.
Körpersprache ist faszinierend und kann in vielen Ländern Unterschiedliches bedeuten.
Lachen muss ich allerdings immer, wenn ein Mitsubishi-Jeep namens „Pajero“ hier in der irischen Pampa vor mir fährt. Im südamerikanischen Spanisch bedeutet das nämlich Wichser. Aber was der Bauer nicht weiß …
Sprache ist auch lustig, gell?
Ich nannte es „Kopfschnicken“ und ist für mich nicht nur ein Gruß, sondern eine Geste von Respekt.
Petra Dubilski meint:….
Köstlich der Beitrag von Petra ;-) kann ich nur so bestätigen und wir gehen generell nicht ins Dorfpub, immer ein Dorf weiter ;-) man weiß ja nie!
Ach, das ist noch viel komplizierter mit der Dorfetiquette. Die vier Handzeichen sind nur die Grundlage. Es gibt noch die Varianten mit Lächeln dazu. Kein Lächeln: pure Höflichkeit; Lächeln mit geschlossenem Mund: hallo, wir kennen uns; offenes Strahlen: hey, schön dich zu sehen.
Feindschaft drückt man durch demonstratives Wegschauen aus. Gibt’s im Dorf und nicht zu knapp.
Dann ist da noch die Überholetiquette. Fährt ein Fahrzeug links ran, um den anderen überholen zu lassen, blinkt der Überholende danach als Dank mit dem Alarmlicht. Hält ein Auto auf einer engen und zugeparkten Dorfstraße an, um das Gegenfahrzeug erst durchfahren zu lassen, wird die ganze Hand als Dank erhoben, plus Augenkontakt und leichtes Kopfnicken.
Ganz gute Freunde halten beide paralell an und unterhalten sich stundenlang durchs Autofenster, ungeachtet der wartenden Autos hinter ihnen. Als Wartender darf man keineswegs ungeduldig werden, hupen oder lichthupen. Dann ist man unten durch und kriegt in Zukunft nicht mal einen einzigen Finger am Lenkrad.
Auch Fußgänger grüßen sich beim ländlichen Spaziergang mit bestimmter Etiquette:
Da gibt es das kurze Kopfnicken und ein ungelächeltes Hi oder Hello (kenne dich nicht, will dich auch nicht kennenlernen); it’s a nice stretch in the evening/lovely day, innit (keine Einladung zum Gespräch, aber Bereitschaft zum freundlichen Wortwechsel, bestätigende Antwort also erbeten); dann ist da das breite Lächeln und die Einleitung: Schöner Tag zum Spazierengehen, aber wurde auch Zeit nach all dem Regen (oder dergleichen; Einladung zum kurzen Plausch über das Wetter im Allgemeinen); und dann ist da noch die Einleitung “Hallo wie geht’s, hast du schon gehört …”. Das ist dann das Ende des Spaziergangs, weil man dann längeren Tratsch auszutauschen hat. Wer am Tratsch nicht teilnimmt, gilt als unhöflich. Tratschaustausch im Dorf ist der ultimative Beweis, dass man dazugehört. Tratschobjekt zu sein sowieso.
Ich frage mich häufig, warum die dörflichen Pub-Wirte mich immer mit lenkradfreier winkender Hand und breitem Lächeln aus dem Auto grüßen. Ich gehe selten ins Pub. Ehrlich.