Viele Iren sind stolz auf die Jahre der Befreiung von den englischen Besatzern, an die sie sich gerade mit einem zehnjährigen Eventmarathon namens „Decade of Commemorations 2013 – 2023“ kollektiv erinnern. Doch auch nach 100 Jahren wird über die Deutung der Ereignisse in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, die in einem Befreiungskrieg und einem verheerenden Bürgerkrieg kulminierten, heftig gestritten.
Zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs lässt der frühere irische Regierungschef John Bruton (Fine Gael) seine Landsleute wissen*: Die gewaltsamen Befreiungskämpfe, namentlich der mit heißem Herzen gefeierte Osteraufstand von 1916, bei dem irische Rebellen ein Postamt und einen Park in Dublin besetzten und vergeblich die freie Irische Republik ausriefen, seien „vollkommen unnötig“ gewesen. Der Ex-Premier (1994 -1997) rüttelt damit an der irischen Wohlfühl-Überzeugung, dass „The Rising“ zwar unmittelbar erfolglos aber letzendlich doch der Wendepunkt in der irischen Geschichte gewesen sei.
Nachträgliche Absage an die Gewalt: John Bruton sieht die Grundsteinlegung für die Unabhängigkeit Irlands in der Home Rule Bill (Government of Ireland Act 1914), die das britische Parlament im Mai 1914 genehmigte — deren Umsetzung aber vor allem durch den Ersten Weltkrieg und auch durch den Osteraufstand 1916 verzögert wurde. Die (beschränkte) Unabhängigkeit, so der ehemalige irische Taoiseach, wäre so oder so gekommen — und all das Blutvergießen war völlig umsonst.
Hätte Bruton den Gang der Geschichte lenken können, er hätte ganz auf Verhandlungen gesetzt, und hätte damit viel Blutvergießen, Leid und Hass vermieden. Hätte hätte Fahrradkette. Immerhin: Bruton fordert, der Gewalt der Befreiungsjahre auch nachträglich ihre Berechtigung abzusprechen und sie während der vielen Feierlichkeiten in den kommenden Jahren nicht zu glorifizieren und nicht zu rechtfertigen.
Away with the Rebel Songs: Manche Zeitgenossen auf der Insel werden an dieser Argumentation jedenfalls schwer zu schlucken haben.
* Quelle: Irish Times
Das Problem ist, man wird es nie wissen. Mit dem Abstand von 100 Jahren lässt es sich leicht hinstellen und sagen „Das war unnötig! Es wäre ohnehin so passiert, wie es gekommen ist“ Man kann aber auch verstehen, dass die Rebellen des Wartens leid waren – da gab es nun endlich nach mehrfachen vergeblichen Anläufen die erste Home Rule Bill, zu der das House of Lords nun nicht mehr „No“ sagen konnte – und dann wird die Umsetzung suf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Wer weiß heute was passiert wäre… vielleicht hätte beim Ausrufen einer Home Rule Bill auch Unionist Carson einen Aufstand vom Zaun gebrohen, auch wenn die six counties ausgespart geblieben wären. Aus heutiger Sicht ist das alles eitle Spekulation. Es ist gekommen, wie es gekommen ist, das ist die Geschichte.