Los gehts vor der Haustür mit Bus Eireann 236 auf die 3800 Kilometer lange Reise.

 

Auf dem Landweg und mit der Fähre nach Irland: Irland-Besucher mit Zeit und Geduld reisen bisweilen auf dem Landweg vom Kontinent auf die Insel. Das ist begrüßenswert und zeugt von Verantwortungsgefühl (oder Flugangst). Fliegen ist zwar noch immer schneller, unkomplizierter, bisweilen auch billiger, weil Flugbenzin bis heute steuerlich bevorzugt wird und weil es eine nachhaltige deutsche, europäische, globale Umweltpolitik nicht gibt. Allerdings: Eine Reise auf dem Land- und Seeweg hat ganz eigene Qualitäten und Vorzüge.

 

Rosslaire-Cherbourg; An Bord Der Stena Nordica

 

Rückbesinnung: Ich habe die Reise in umgekehrter Reihenfolge Ende Januar und Anfang Februar gemacht. Nach 20 Jahren des lange bedenkenlosen Hin- und Her-Fliegens wollte ich, inzwischen von Skrupeln herausgefordert, wissen: Wie gestaltet sich eine Reise auf dem Land- und Seeweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln von unserer Wahlheimat an Irlands Atlantikküste in die alte Heimat im Schwarzwald? Wie fühlt sich das an? Was erlebt man, was unterscheidet dieses Art des langsamen Reisens vom Schnellreisen im Flugzeug, und: Welchen ökologischen Fußabdruck* hinterlässt diese Reise im Vergleich zu einer Flugreise?

 

Im Zug von Cherbourg nach Basel

 

Vorab so viel: Auch wenn der zweiwöchige Trip unter dem Nutzen-Aspekt und unter der Frage “Lohnt sich das?” stand:Er hat viel Spaß gemacht, ich habe Einiges erlebt, die Kosten hielten sich in Grenzen und der ökologische Fußabdruck für eine 3800 Kilometer lange Reise kann sich sehen lassen . . .

 

Zeit- und Raumfresser TGV. Wie blind mit 330 kmh von P nach B.

 

Das kleine Experiment begann mit der selbstkritischen Frage: Kann ich einfach so weiter machen wie bisher, bedenkenlos durch die Gegend fliegen und die Reisen genießen, wie sie kommen? Kann ich nicht. Vielmehr drängte sich immer mehr die Frage in den Vordergrund: Was können wir alle selber tun, um unseren Lebensraum Erde, das Klima, die Tiere und die Pflanzen besser zu schützen? Was kann ich tun? Wie kann es gelingen, selber künftig möglichst wenig Treibhausgas zu produzieren? Antwort: Zum Beispiel mit Zurückhaltung bei Flugreisen. Ich versuche nun, nicht mehr jedem Impuls nachzugeben, die Zahl meiner Flugreisen zu senken, zu halbieren, zu vierteln . . . und mal wieder den Land- und Seeweg nach Deutschland zu nehmen. Also benutze ich öffentliche Busse und Bahnen, die Seefähre, Schneeschuhe, und ganz ausgiebig meine Füße.

 

Irland Landweg

Zu Fuß und mit der Fähre

Die zweiwöchige Reise führte mich von Glengarriff an der irischen Atlantikküste zunächst mit dem öffentlichen Bus über Cork, Waterford und Wexford nach Rosslare. Dort ging es nach einem Tag im Bus am Abend auf die Fähre nach Cherbourg in der Normandie, das ich ausgeschlafen (in einer Außenkabine) am nächsten Nachmittag um 15 Uhr erreichte. Von Frankreichs Küste nahm ich die französische Bahn SNCF (auch den TGV) über Paris nach Basel und von dort die Lokalbahn über die schweizerisch-deutsche Grenze ins Wiesental.

Einzige kleine Schwierigkeiten dieser Reise: das herausragend miserable Essen auf der Stenaline-Fähre und der Umsteige-Transfer in Paris: Es gibt keine Fernzüge, die direkt durch Paris durchfahren. Für die Fahrt von Zug zu Zug, von einem Sackbahnhof zum anderen, in diesem Fall vom Gare Saint-Lazare zum Gare de Lyon, muss man die Metro nehmen und in der U-Bahn auch noch umsteigen. Zurück ging es in umgekehrter Reihenfolge: Über Basel und Paris nach Cherbourg, von dort über Nacht mit der Fähre nach Wexford und abschließend mit dem Bus nach Hause.

 

Meine Reise-Bilanz 

 

Dreimal länger als mit dem Flugzeug unterwegs: Ich benötigte von Glengarriff ins Wiesental (1900 Kilometer) pro Weg 34 Stunden Reise- und Wartezeit (plus eine Übernachtung). Mit dem eigenen Auto wäre ich etwa gleich schnell gewesen. Mit dem Flugzeug wäre ich bei ungünstigen Verbindungen maximal 12 Stunden unterwegs gewesen. Ich habe also dreimal solange gebraucht wie mit dem Flugzeug.

 

Steuerbord ein Stürmchen

 

Die Kosten halten sich in Grenzen: Meine kompletten Reisekosten für Bus, Fähre, Bahn und Übernachtung summieren sich auf 560 Euro. Ich gönnte mir auf der Fähre jeweils eine Schlafkabine (je 75 Euro für eine Zweier-Kabine. Wer alleine reist, lebt teurer). Bei Verzicht auf diesen Luxus und der Übernachtung in einem durchaus akzeptablen Schlafsessel reduzieren sich die Kosten auf 410 Euro. Eine vergleichbare Reise mit dem Auto würde 630 Euro kosten (bei acht Liter Benzin pro 100 Kilometer im VW Golf). Die vergleichbare Reise mit dem Flugzeug (Dublin-Zürich**) käme inklusive An- und Abreise Flughafen und einer Übernachtung auf 504 Euro. Der Landweg kann also von den Kosten her durchaus mithalten.

 

Im TGV: Vorbei rasende Landschaft

 

Hervorragende CO²-Bilanz: Für die Reise auf dem Landweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln habe ich 113 Kilogramm CO² produziert. Mit dem eigenen Auto (Golf, acht Liter Verbrauch) wären es 578 Kilogramm CO² gewesen. Die Flugreise verursachte insgesamt 633 Kilogramm CO² auf der Strecke Dublin-Zürich. eine alternative Flugstrecke von Kerry Airport nach Hahn Airport mit Weiterreise per Bahn in den Schwarzwald hätte 798 Kilogramm CO² verursacht.

Ökologischer Fußabdruck Landreise zu Flug: 1 zu 6. Ich könnte also sechs Mal*** mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Land- und Seeweg von Irland nach Deutschland reisen, bevor ich den ökologischen Fußabdruck einer Flugreise hinterlasse. Es macht einen gewaltigen Unterschied, wie ich reise und welche Transportmittel ich wähle. Eine Fahrt mit dem eigenen sparsamen Pkw macht ökologisch immer noch mehr Sinn als die Flugreise – selbst wenn ich alleine reise. Sobald im Pkw mehrere Menschen reisen, verbessert sich die Öko-Bilanz im Vergleich zur Flugreise drastisch.

 

Der Fußbdruck: Sechs Landreisen entsprechen einer Flugreise

 

Erlebnis-Qualität der Reise: Groß! Wenn ich mit dem Flugzeug reise, messe ich der Reise selber keine besondere Bedeutung bei. Ich bin ziel-strebig. Der Zeit-Raum zwischen Reisebeginn und Ankunft soll möglichst kurz sein, die beanspruchte Zeit gering. Wir suchen uns die kürzeste (preiswerte) Verbindung mit möglichst wenig Wartezeit. Wir vertreiben uns die Reise-Zeit mit Zerstreuung. Von der durchreisten Landschaft sehe ich von oben wenig, auf meinem Gangplatz (näher zum WC) gar nichts. Die Überwindung einer Distanz ist nur noch mehr oder weniger lästiges Mittel zum Zweck. Distanz und Reisezeit werden umso mehr bevorzugt, je mehr sie gegen Null tendieren. Das Land-Pendant zum Flugzeug sind die Hochgeschwindigkeitszüge: Mit 330 Stundenkilometern fährt der TGV überwiegend in einer Fahrrinne. Wie blind gelange ich von P nach B.

 

Irland Landweg

Unterwegs im Schwarzwald auf Schneeschuhen

 

Wenn ich mich für eine Reise entscheide, die mindestens dreimal länger dauert als nötig, dann muss ich mich auf das Unterwegssein als solches einlassen. Das Reisen wird zum Selbstzweck und mit offenen Augen zu einem Erlebnis. Ich reise durch Landschaften, ich treffe viele Menschen, lerne neue Menschen kennen, ich sehe und erfahre mehr Wirklichkeit als in einer in zehn Kilometer Höhe fliegenden Kapsel mit Mini-Fenstern.

Ich kann zum Beispiel deutlich sehen, wie der Landschaftsverbrauch ständig zunimmt, wie die Zerstörung der Natur ungebremst voranschreitet, wie die Zivilisation in die letzten Ecken des Kontinents kriecht. Es ist nicht schön, aber eine Qualität für sich. Ich sehe aber genauso das Schöne: den weiten Atlantik, die Weite der Schneelandschaft, den klaren Abendhimmel, die neblige Flußlandschaft, die Stadt des Lichts. Als Fußgänger auf dem Weg vom Fähre-Terminal zum Bahnhof oder durch französische Vorstadt erkenne ich, wie wenig sich die Mobilitäts-Planung noch um den Menschen zu Fuß schert. Er kommt allenfalls als Zebrastreifenbenutzer vor.

Ich bewege mich langsam. Habe Zeit, genieße die Zeit, bin in der Zeit. Bin einfach unterwegs. Langsam unterwegs sein bringt mich in einen Zustand der Leichtigkeit. Beim Warten lerne ich das Warten wieder.

Es lohnt sich: Die Erlebnis-Qualität der langsamen Reise auf dem Landweg ist groß!

 

Irland über Land

Warten auf den Anschluss: Beim Warten lernt man das Warten wieder.

 

Nach diesem Reise-Experiment will ich allen Menschen, die von Deutschland, aus der Schweiz oder aus Österreich nach Irland reisen, mit gutem Gefühl empfehlen: Reist mal wieder auf dem Landweg. Benutzt öffentliche Verkehrsmittel, genießt die Fahrt über den Atlantik. Lasst Euch Zeit. Genießt die Weite und die Offenheit. Reist, um unterwegs zu sein, und Ihr kommt schon erholt und ausgeruht in Irland an. Geld sparen kann man kaum, vorbereiten muss man sich deutlich besser als auf eine Flugreise, und Zeit muss frau auch genügend mitbringen. Die Langsam-Reise lohnt sich ökologisch und hat eine hohe Erlebnis-Qualität. Es wird nicht meine letzte Reise dieser Art gewesen sein . . .

 

PS: Wenn Sie sich als Gäste von Wanderlust für eine Anreise auf dem Landweg interessieren, wir helfen gerne: info @ irland-wandern.de . Wenn Sie sich für die Berechnungsgrundlagen meines Vergleichs der Reisearten und die Berechnung des ökologischen Fußabdrucks der Reise interessieren, senden wir Ihnen die Daten-Bilanz der Reise gerne per Email zu.

 

 

* Der ökologische Fußabdruck: Unter dem ökologischen Fußabdruck wird die biologisch produktive Fläche auf der Erde verstanden, die notwendig ist, um den Lebensstil und Lebensstandard eines Menschen (unter den heutigen Produktionsbedingungen) dauerhaft zu ermöglichen. Er wird als Nachhaltigkeitsindikator bezeichnet. Das schließt Flächen ein, die zur Produktion von Kleidung und Nahrung oder zur Bereitstellung von Energie benötigt werden, aber auch zur Entsorgung von Müll oder zum Binden des durch menschliche Aktivitäten freigesetzten Kohlenstoffdioxids. Der Fußabdruck kann dann mit der Biokapazität der Welt oder der Region verglichen werden, also der biologisch produktiven Fläche, die vorhanden ist. Der ökologische Fußabdruck wird häufig verwendet, um im Zusammenhang mit dem Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung auf gesellschaftliche und individuelle Nachhaltigkeitsdefizite hinzuweisen – abhängig davon, ob ein Mensch seine ökologische Reserve in ein Ökodefizit verwandelt.

CO², Kohlendioxid als wichtigstes Treibhausgas: Anthropogenes CO2 entsteht hauptsächlich bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Der ökologische Fußabdruck setzt für diese Emissionen einen Flächenverbrauch in Form von Wald an, der nötig wäre, um das erzeugte CO2 biologisch zu binden. Dabei wird vorhandener Wald unterstellt, der einen jährlichen Zuwachs an Biomasse hat (als lebende Pflanze oder verrottender Humus), die nicht entnommen wird. Dieser Flächenanteil ist für den hohen ökologischen Fußabdruck der meisten Industrieländer verantwortlich. (Quelle: Wikipedia)

 

**  Der Referenz-Flug: Wir wählten die Flugstrecke Dublin-Zürich, weil sie Ende Januar die nächste Flugstrecke zum Zielort war. Die Strecke Cork-Zürich wird im Winter nicht bedient. Die Strecke Kerry-Hahn Airport inkl. Flughafen-Transfers hätte 427 Euro gekostet, der ökologische Fußabdruck in CO² hätte 798 Kilogramm betragen.

*** Korrektur: Diese Zahl haben wir nachträglich aufgrund eines entdeckten Rechenfehlers von 1 zu 7 auf 1 zu 6 korrigiert.

 

Dokumentation der Reise-Bilanz und des ökologischen Fußabdrucks: Antje Wendel.
Fotos: Markus Baeuchle / Wanderlust; Eliane Zimmermann (Titelfoto)