Die Insel Ireland´s Eye

Die kleine Insel Ireland’s Eye vor der Küste von Dublin. Hier kam 1852 Mrs. Sarah Maria Kirwan ums Leben. War es Mord oder ein tragischer Unfall?

 

Ein Ort und eine Geschichte. Nur eine kurze Bootsfahrt vor der Halbinsel Howth in der Bucht von Dublin liegt Ireland’s Eye. Die kleine felsige Insel ist unbewohnt, Besucher kommen nur selten hierher – der ideale Ort für ein Verbrechen? Dirk Huck berichtet aus der Vergangenheit.

Am 6. September 1852 fand die Ehe von William Burke Kirwan und seiner Frau Sarah Maria auf Ireland’s Eye ein jähes Ende. An Morgen jenes Tages ließ sich das Paar, er Anfang 30 und Künstler, sie Mitte 30 und wohlhabend, zur Insel hinüberrudern. Dort wollten die Kirwans einen ruhigen und entspannten Tag mit einem Picknick im Freien verbringen. Wie üblich, setzten die Bootsmänner ihre Kundschaft auf der Insel ab, um sie später zu einem verabredeten Zeitpunkt wieder abzuholen. Außer den Kirwans weilte an jenem Tag noch ein anderes Paar auf der Insel, das aber am Nachmittag gegen vier Uhr bereits wieder nach Howth zurück ruderte. Sie waren die Letzten, die Mrs. Kirwan lebend sahen. Was immer Mrs. Kirwan widerfuhr, ereignete sich in den späten Nachmittagsstunden, als die Eheleute allein auf der Insel waren.
Als am Abend gegen acht Uhr die Bootsmänner zur Insel übersetzten, um die Kirwans abzuholen, fanden sie zunächst nur Mr. Kirwan allein am Strand vor. Wie die Bootsmänner später berichteten, befand sich Mr. Kirwan offensichtlich in großer Not und voller Sorge. Er berichtete den Bootsmännern, dass seine Frau schwimmen gegangen sei, und er sie seitdem nicht wieder gesehen hatte.

 

Keine Anzeichen eines gewaltsamen Todes

 

Dublin IrlandDie Bootsmänner schwärmten aus, um nach Mrs. Kirwan zu suchen. Nach einiger Zeit fanden sie ihren leblosen Körper nah am Wasser auf einem Felsen liegend, unter ihr ein Badetuch, das Schwimmkleid nach oben gezogen. Außer kleinen Kratzern im Gesicht und einer kleinen Schnittwunde auf der Brust gab es keine Anzeichen eines gewaltsamen Todes. Die spätere medizinische Untersuchung schloss auf Tod durch Ertrinken. Mrs. Kirwan wurde auf dem Friedhof von Glasnevin in Dublin beigesetzt.

In den Wochen danach mehrten sich allerdings Gerüchte, dass es womöglich kein Unglücksfall gewesen war. Mrs. Kirwan galt als gute und erfahrene Schwimmerin, die häufiger im Meer badete. Man zweifelte, dass sie ertrunken sei. Zudem fanden sich Zeugen, die vom Festland aus Schreie auf Ireland’s Eye gehört haben wollten, just nachdem das andere Ehepaar die Insel verlassen hatte und die Kirwans dort alleine waren. Als besonders belastend erwies sich das Bekanntwerden der Tatsache, dass Mr. Kirwan eine zweite Beziehung mit einer Mrs. Mary Kenny führte, die zuweilen seinen Namen führte und mit der er sogar sieben Kinder hatte.

 

Angeklagt wegen Mordes

Im Dezember 1852 wurde Mr. Kirwan verhaftet und wegen Mordes an seiner Frau Sarah angeklagt. Für die Verhandlung wurde Mrs. Kirwans Leichnam exhumiert und erneut medizinisch untersucht. Vor Gericht sagten die Medizinier aus, dass der Körper alle Anzeichen eines Erstickungstodes aufwies, sehr wahrscheinlich als Folge eines im Wasser erlittenen Ohnmachtsanfalls, möglicherweise auch eines epileptischen Anfalls. Hinweise auf einen gewaltsamen Tod, etwa durch ein Untertauchen des Körpers, fanden sich nicht.
Die Staatsanwaltschaft streute jedoch Zweifel, als sie die Mediziner befragte, ob nicht auch das gewaltsame Zuhalten von Mund und Nase, zum Beispiel mit einem nassen Badetuch, ebenfalls einen Erstickungstod mit den gleichen Anzeichen bewirken würde. Die Mediziner bestätigten, dass es in diesem Fall wohl unmöglich sei, zwischen einem gewaltsamen Ersticken und dem Ersticken nach einem Anfall zu unterscheiden.

Mord oder tragischer Unfall?

Schuldig oder nicht, Mord oder tragischer Unfall? Es oblag der Jury, basierend auf den dürftigen und teilweise widersprüchlichen Aussagen der Zeugen und Mediziner zu entscheiden. Auch nach mehrstündiger Beratung konnten sich die Geschworenen nicht zu einem einstimmigen Urteil durchringen. Möglicherweise beeinflusste der Richter die Geschworenen unbeabsichtigt, als er ihnen spät am Abend androhte, notfalls die Nacht im Gerichtsgebäude verbringen zu müssen, falls sie nicht zuvor zu einem Urteil kämen. Nach erneuter, diesmal nur halbstündiger Beratung hatten die Geschworenen ihr Urteil gefällt: Schuldig.

William Burke Kirwan wurde zum Tode verurteilt. Wenig später jedoch wurde das Strafmaß in lebenslang umgewandelt. Mr. Kirwan, der stets seine Unschuld beteuerte, saß 27 Jahre auf der Gefängnisinsel Spike Island vor Cork ein. 1879 wurde er aufgrund einer Amnestie freigelassen, mit der Auflage, das Land zu verlassen. Es hieß, er ging nach Amerika, um dort seine Kinder aus seiner Beziehung zu Mrs. Mary Kenny aufzusuchen.
27 Jahre in Haft – zu Unrecht?

Was geschah wirklich auf Ireland’s Eye? Der Fall Sarah Maria Kirwan spaltete seinerzeit die öffentliche Meinung und sorgte noch Jahrzehnte später für Diskussionen. Nicht wenige waren überzeugt, dass Mr. Kirwan seine Frau ermordet hatte und dies als Schwimmunfall tarnen wollte. Viele jedoch waren von seiner Unschuld überzeugt. Letzteres ist auch die heute vorherrschende Ansicht. Unterlegt wird dies unter anderem durch Aussagen von später befragten Bediensteten von Mrs. Kirwan, die berichteten, dass die Frau auch beim Baden in der Badewanne zuweilen einen Ohnmachtsanfall erlitten hatte.

Saß Mr. Kirwan also zu Unrecht 27 Jahre im Gefängnis? Vielleicht. Mit letzter Gewissheit wird wohl nie geklärt werden können, was wirklich auf Ireland’s Eye geschah.

Quelle: “Tragedy on Ireland’s Eye” aus “Dublin Folktales” von Brendan Nolan

 

[ed18102013]