Irland und der Brexit: In gut fünf Wochen ist Brexit-Tag: Mutmaßlich am 29. März wird Großbritannien aus der EU austreten. Mehr als das Wetter wird seit Monaten in Irland die Frage diskutiert, welche Auswirkungen der Brexit für die Republik Irland und für die Insel Irland haben wird. Die Regierung bereitet sich in den kommenden Tagen auf die inzwischen sehr reale Möglichkeit vor, dass eine zersplitterte, desorientierte und autistische politische Führung das Nachbarland chaotisch und ohne einen gültigen Vertrag aus der EU stürzen lassen könnte.
In manchen Irland-Fankreisen, in Irland-Gruppen und Grüne-Liebe-Zirkeln wird derweil mit Übereifer und Wissensdefizit die Angst geschürt und von kommendem Unheil geunkt: Der Konflikt über eine inner-irische Grenze, so heißt es gerne, werde Hass, Gewalt, gar den Bürgerkrieg auf die grüne Insel zurück bringen. “Meine schlimmsten Befürchtungen scheinen wahr zu werden . . . ” schrieb kürzlich ein gefühlsgeladener Irland-Reisender angesichts einer kontrolliert gesprengten Autobombe, die in London-Derry hoch gegangen war, nur um Mitreisende im selben Atemzug zu ködern: Lasst uns zusammen nach Irland fahren, solange es noch geht . . .
Meine Meinung dazu: Das ist kompletter Unsinn und verantwortungsloses Geplapper. Nach dem Karfreitags-Abkommen von 1998 und über 20 friedlichen Jahren haben alle relevanten Kräfte ein großes Interesse, den Frieden in Nordirland zu bewahren und weiter zu stärken. Die Regierungen von Irland und Großbritannien, die politischen Kräfte und die überwältigende Mehrheit der Menschen in Nord-Irland, die EU und auch die USA sind sich im Ziel der Friedensbewahrung ausnahmsweise einmal völlig einig. In 20 Jahren wurden funktionierende Konfliktlösungs-Prozesse eingeübt, paritätisch besetzte nordirische sowie zahlreiche gesamt-irische Institutionen aufgebaut und ganz wichtig: In Nordirland wurde ein fairer verteilter Wohlstand geschaffen, an dem nun alle Bürger des Landes ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit teilhaben können.
Nur ein kleiner Kreis Ewig-Gestriger könnte versuchen, die Brexit-Turbulenzen und die künftige Handhabung der inner-irischen Grenze, die nach dem Brexit eine EU-Außengrenze wird, für ihre Zwecke zu nutzen und Unfrieden zu säen. Anders als vor 30 Jahren allerdings wird sich diesen Versuchen ein geeinter Polizei-, Justiz- und Verwaltungs-Apparat konsequent entgegenstellen.
Die ehemaligen Bombenleger, Attentäter und Strippenzieher der Troubles in Nord-Irland wurden mit vereinten Kräften befriedet. Sie bekamen Perspektiven, Jobs und beachtliche finanzielle Unterstützung, ein großer Teil der Friedens-Investitionen fließt weiterhin auch aus den Kassen der EU nach Nordirland. Dass diese Mittel weiter fließen, liegt im Interesse aller Beteiligten und wird wichtig sein.
Im Übrigen gehe ich davon aus: Der Brexit wird Irland große Chancen bieten. Nach fast 100 Jahren formaler Unabhängigkeit, kann sich Irland nach dem Austritt der Nachbarn aus der EU endlich wirksam und wirklich aus der weiterhin massiven ökonomischen Abhängigkeit von Großbritannien befreien. Irland wird dann, wenn es nicht mehr zur Unterstützung britischer Sonderinteressen gezwungen wird, sehr viel europäischer und sehr viel unabhängiger handeln können. Umarmen wir den Brexit auch als Chance für Europa: Er ist ein Meilenstein (und mehr nicht) auf dem Weg zu einer neuen wirtschaftlichen und politischen Weltordnung.
Fotos: Markus Baeuchle
Irland wird nur wiedervereinigt gluecklich. Die Republikaner stehen fuer alle Iren ein. Religion spielt fuer z.B. Sinn Fein keine Rolle.
Versuche es mal in Kurzform:
Tatsächlich sieht das Karfreitagsabkommen von 1998 eine Wiedervereinigung vor wenn die Mehrheit der Nordiren das wünscht.
Beim Brexit-Referendum stimmte Nordirland mit einer Mehrheit von 55,8 % für den Verbleib in der EU.
Zwei Drittel der Iren in der Republik sind für Wiedervereingung.
Oder vielleicht auch nicht wenn sie bedenken, dass London jährlich rund 10 Milliarden Pfund nach Nordirland zahlt.
Woher soll das Geld kommen wenn London aus der Verantwortung ist?
Was eine Wiedervereinigung kosten kann weiß Deutschland nur zu gut.
Und der eigene Wohlstand scheint vielen Iren wichtiger als ein geeintes Land.
Woher soll das Geld kommen? Das Geld ist vorhanden, es sitzt nur in den falschen Taschen. Europa müsste helfen, und wenn erst die Multi-Nationals ihre Steuern in Irland und Europa ordentlich bezahlen . . .
Hallo Markus,
wie sieht es denn mit dem konstitutionell verankerten Recht auf Wiedervereinigung aus? Gibt es denn in Irland überhaupt Gruppen, die das fordern? Ein wiedervereinigtes Irland wäre doch zumindest für Irland das Beste, was der Brexit hergeben würde.
Von dieser Thematik hören wir hier in Deutschland leider nichts.
Bestes von
Patrick
Der Brexit und die Gefahr einer auseinander fallenden Union befeuert natürlich die Wiedervereinigungs-Debatte in Irland. Gerade wird diskutiert, ob eine Option Border Poll, also die Option einer Abstimmung auf beiden Seiten der inner-irischen Grenze über eine Wiedervereinigung als neues Element in die festgefahrene Situation um den Backstop eingebracht werden könnte. Realistisch ist allerdings, dass Nord-Irland erst noch sehr viel mehr zu einer funktionierenden Einheit zusammenwachsen muss, bevor diese Frage konstruktiv gestellt werden kann. Zudem gibt es trotz mehrheitlicher Ablehnung des Brexit in Nordirland derzeit wohl keine Mehrheit für ein vereinigtes Irland. Aber weiß man´s? Die deutsche Einheit kam auch überraschend . . .