31. Dezember 2020. Silvester.
Acht. Warum gerade acht Gedanken zum ausgehenden Jahr 2020, wurde ich gestern nach Teil 1 dieser Denkrunde gefragt. Weil die 8 meine Lieblingszahl ist. Vielleicht werden es am Ende dieses Textes aber auch neun Gedanken sein. Oder sieben. Wir werden sehen. Heute Teil 2 der Gedanken zum Jahr des Ausnahmezustands 2020, von dem man vielleicht morgen schon sagen kann: Das Beste am Jahr 2020 war, dass es vorbei ging. Wer aber weiß schon, ob 2021 besser wird, und wenn ja wie viel?
* * *
6. Das Jahr des Minimalismus.
Was benötigen wir für ein glückliches, oder bescheidener, ein zufriedenes Leben? Dieser Frage bin ich jahrelang mit zahlreichen Teilnehmern in vielen einwöchigen Retreats in einem karg ausgestatteten Cottage in den Bergen Südwest-Irlands nach gegangen. Ich bin es deshalb gewohnt, ja ich schätze es, mit Wenig auszukommen. Wir benötigen frische Luft, sauberes Wasser, gute Lebensmittel, ein schützendes Dach über dem Kopf und genügend Wärme. Das und ein paar wohl gesonnene Menschen um uns herum, mit denen wir lachen, spielen, uns bewegen und aufrichtige Gespräche führen können, und es geht uns (wenn wir gesund sind) gut.
Ich habe die Monate des Lockdowns oft mit einem extrem langen Retreat verglichen und fand viele Parallelen. Ich hatte eigentlich alles, um gut zu leben (selbst Klopapier gab es genug 🤪 ) – und doch fehlte vieles, nämlich dies alles:
- Die positiven Gedanken und Emotionen: Ich gehöre nicht zu den Schwarzmalern, die sich jede große und kleine Katastrophe herbei-sorgen. Auch das Virus hat mich nicht negativ gestimmt. Allerdings nahm die ständige Beschäftigung mit dem Thema mir ganz allmählich den inneren Boden für positive Gedanken und eine positive Einstellung. Ich war dauer-okkupiert vom Thema C, was zu einem Zustand der seelischen Verstopfung führte.
- Engagement und Sinn durch Tätigkeit: Wir sagten in diesem Jahr frühzeitig unser komplettes Wanderprogramm 2020 ab, weil es nicht gelingen konnte. So ging ich alleine wandern und genoss es. Das allerdings fühlte sich an wie die ewige Freizeit, war selbstzweckhaft und wenig bedeutungsvoll. Es fehlten schlicht die Anderen.
- Ziele: Mir gingen irgendwann die Ziele aus, die ich hätte erreichen wollen. Eine der schwersten Übungen während eines Lockdowns scheint mir, mit dem Sortiment seiner Ziele sorgfältig umzugehen, den Standard trotz eingeschränkter Möglichkeiten möglichst hoch zu halten und der sanft-destruktiven Gewalt der ewigen Wiederholung so weit es geht zu entkommen. Der schlechte Umgang mit Zielen und Engagement führt früher oder später in die unkomfortable Situation, dass ich mich morgens frage, ob und warum ich das Bett verlassen soll.
- Beziehungen: Klar, ein langes Telefonat mit einem mir wichtigen Menschen kann gut tun, ein Zoom-Meeting mit der Familie macht Spaß – und über den Messenger (nein, nicht den von Facebook) bin ich mit vielen Menschen in Dauerkontakt. Am Ende aber ersetzt ein Bildschirm nicht die direkte Begegnung mit anderen Menschen in einem Raum oder auf einem Berg. Das Fehlen körperlicher Präsenz wirft uns völlig auf uns selbst zurück.
Erkenntnis: Materieller Minimalismus tut immer gut, sozialer nur in Maßen.
7. Das kulturelle Sabbat-Jahr.

Irland in den Zeiten von Corona. Wir leben auf dem Land in Irlands äußersten Südwesten, in einer Streusiedlung am westlichen Rand Europas, direkt am Atlantik. Auch in dieser einsamen, abgelegenen Gegend wurde das Leben in den vergangenen vier Monaten vom neuartigen Coronavirus beherrscht. Wir, Eliane [e] und Markus [m], führen ein öffentliches Tagebuch über unser Leben in Irland in Zeiten von Corona. Mittlerweile wurde daraus eher ein Wochenbuch. Heute schreibt Markus . . .
Der 21. Dezember 2019 war deshalb ein besonderer Tag. An jenem Abend ging ich zum bislang letzten Live-Konzert: Mein irischer Lieblingsmusiker Mick Flannery spielte im Bantry House einen sehr schönen Gig. Auch mein letzter Pub-Besuch fiel auf jenen Tag, genauer gesagt auf den nächsten. Denn wir zogen bis in den frühen Morgen mit Micks Entourage um die Häuser. Im Sommer loggte ich mich dann noch in eines der Online-Konzerte Micks ein. Er saß daheim und sang in einem Eck seines Hauses vor der Webcam. Viele Künstler stecken durch die Auftrittsverbote seit Monaten richtig in der Klemme, und deshalb habe ich es nicht bereut, Eintritt für diesen Online-Gig bezahlt zu haben. Ein großes Vergnügen war es allerdings auch nicht. Live kommt halt doch von Life und Living.
Erkenntnis: Ein Jahr ohne Live-Kultur. Geht schon, ist aber nicht schön. Macht stumpf. Es gibt schönere Sabbat-Jahre.
8. Kein Rückblick ohne Ausblick.
PS. Die kleinen Projekte 2021.
Wir bleiben kämpferisch. Auch auf Irlandnews. In den vergangenen Wochen haben wir einige technische Probleme lösen müssen, die Website war nicht immer stabil und hatte lange Ladezeiten. Unser Webmaster Tobias Berg hat sich mit Erfolg über die Feiertage aus dem Urlaub heraus ins Zeug gelegt. Ein großer Dank an Tobi nach Augsburg! Zudem haben wir an einem Re-Design gearbeitet. Das Web-Magazin Irlandnews, jetzt komplett Facebook-frei, hat einen neuen Look: Es ist, so hoffen wir zumindest, leichter, frischer und schlanker geworden. Inhaltlich wird es natürlich weiter um Irland gehen. Daneben werden sich die Gewichte weiter zu den Themen Lebensstil, Ökologie und Naturschutz, sowie Kultur verschieben. Das Thema Wandern wird in den Hintergrund treten. Und es wird im kommenden Jahr eine spannende Serie mit vielen Neuigkeiten über einen der wichtigsten und weitsichtigsten irischen Denker und Schriftsteller geben, der vor fast 13 Jahren allzu früh starb.
Ich freue mich auf die künftige Mitarbeit der regelmäßigen Irlandnews-Autoren, allen voran Antje Wendel, Peter Bernhardt und Werner Bartholme. Sie alle schreiben (wie auch ich) kostenlos für Sie und Euch. Irlandnews ist und bleibt unser liebstes Hobby, dem wir gerne Zeit widmen. Aus Sympathie und Zuneigung zu diesem Land und aus Verantwortungsgefühl für unsere Zukunft. Wenn sich noch eine AutorIn finden würde, die regelmäßig Bücher aus und über Irland vorstellt, wäre einer meiner Wünsche für 2021 erfüllt.
PS.PS. Unsere letzte Wander-Saison
In diesem Sinne einen guten Rutsch ins neue Jahr und viel Zukunft!
Bleibt uns gewogen und mind yourself
Markus Bäuchle und das
Team von Irlandnews
Es wurden acht Gedanken (plus ein wenig Eigenwerbung). Meiner Lieblingszahl wegen.
Fotos: Markus Bäuchle (Auswahl: Ein paar meiner aktuellen Lielbings-Fotos)
Hier geht es zu Teil 1 der Gedanken zum Jahr 2020.
Lieber Markus,
diese Gedanken sind sinnreich, schön, beinahe ein wenig philosophisch, ein wenig beruhigend, aber leider auch ein wenig zu subjektiv, ein wenig zu fatalistisch und leider auch ein wenig zu kritisch. Du magst mir das verzeihen.
Den Regierungen des krisenentwöhnten Westeuropas wurden im Verlauf dieser Seuche ihre jahrzehntelangen politischen Versäumnisse brutal aufgezeigt. Das miserable irische Gesundheitssystem, die miserable und beschämende Entlohnung des Medizinpersonals in Deutschland, die Gewinnorientierung des Pflege- und Gesundheitssystems (anstatt die Gemeinwohlorientierung zu priorisieren), das hektische und oftmals auch planlose Agieren mit beinahe schon mittelalterlichen Instrumentarien (Lockdown, Ausgangssperre und Beschneidungen der Individualrechte) verbunden mit beinahe nicht mehr zu erfassbaren Schuldensummen, deren Verteilung zwar noch einigen Konzernen eine Dividendenausschüttung ermöglichte, aber ganze Berufs- und Bevölkerungsgruppen in Existenzangst stürzte. Das alles wird zur Folge haben, dass Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, Karl Marx würde sich bestätigt sehen.
Weiterhin zahlt AMAZON in Irland so gut wie keine Steuern, weiterhin werden in Deutschland Industriezweige mit Milliarden unterstützt, deren Produkte und Anhgebote niemand mehr in einem solchen Masse benötigen wird.
Die gewollte Monothematik setzt alle anderen Probleme an den Rand mitsamt den in Sonntagreden gehuldigten Grundrechten. Diese Unfähigkeit unserer politisch Verantwortlichen macht mir Angst, hier und in meiner Zweitheimat, in der eine Koalition regiert, die nur geschmiedet wurde, um SINN FEIN fernzuhalten. Und so miserabel wird auch regiert.
Über das Desaster bei der Beschaffung des Impfstoffes möchte ich kein Wort verlieren, dieses europäische Totalversagen macht mich stumm.
Ich bin Pessimist, nein, wir haben aus dem vergangenen Jahr nichts oder nicht viel gelernt…..
In diesem Sinne EIN FROHES NEUES JAHR!
„Wir benötigen frische Luft, sauberes Wasser, gute Lebensmittel, ein schützendes Dach über dem Kopf und genügend Wärme. Das und ein paar wohl gesonnene Menschen um uns herum, mit denen wir lachen, spielen, uns bewegen und aufrichtige Gespräche führen können, und es geht uns (wenn wir gesund sind) gut.“
Lieber Markus, 2020 hast du wunderbar zusammengefasst und deine Gedanken empfinde ich als so wahr. Die Fotos sind wunderschön und wecken Sehnsucht. Was ich ergänzen möchte: 2020 hat auch gezeigt, in Achtung und Respekt miteinander zu diskutieren ist – nicht nur in den sog. Socialen Medien – unmöglich geworden. Wer sich kritisch äußert, sieht sich einem Shitstorm ausgesetzt. Doch das Bewältigen zukünftiger Krisen wird nicht einfacher werden, wenn das einzige Mittel der Regierung darin besteht, einen „übergeordneten“ Schutz, massive Verbote und Ausgangssperren anzuordnen. Statt Solidarität bekommt man damit eine gespaltene Gesellschaft, siehe Ostdeutschland. Sicher sind die harten Lockdown-Maßnahmen sinnvoll, um den Verantwortungslosen Grenzen zu setzen und die Wirtschaft zu retten. Jedoch fehlt auch den Verantwortungsvollen eine Perspektive für ein Leben mit Corona, denn dass wir so weitermachen wie vorher, ist – nicht nur für die nächsten Jahre – undenkbar. Das beunruhigt mich weit mehr als die Ansteckungsgefahr, denn ich bin 2020 ein Meister im Social Distancing geworden.
Lieber Markus,
ich schicke dir diesen Video-Link, weil ich weiß, dass es dir gefällt, dass du es genau so siehst. Es beweist, dass nicht alle alten, weißen Männer durchgeknallt sind. Alle tragen einen Mund-Nasen-Schutz. Laut Zukunftsforscher Horst Opaschowski sehen die meisten Deutschen die Corona Krise als Chance für einen Neuanfang. Opaschowski muss es wissen, denn schließlich forscht er schon seit 50 Jahren! Er weiß wovon er spricht. Man sieht es ihm deutlich an: seine Augen strahlen vor Lebensfreude! Opaschowski hat schon alles gesehen/erlebt in seinem Forschungsinstitut. Auch der Fragesteller, mit seiner freundlich positiven Art und einem entwaffnenden Lächeln stimmt zuversichtlich. Jetzt weiß ich: wir brauchen nichts und sollten froh darüber sein. Ist die Krise eine Chance für ein besseres Leben? Auf jeden Fall! Definitiv ja, zumal sie schon so lange dauert und nicht wie viele andere Krisen schnell vorüber geht. Sehen wir es als Geschenk.
Ganz liebe Grüße aus Zwickau
Renate
https://www.youtube.com/watch?v=SRNep4cFGH0
Lieber Markus,
ich möchte möchte mich bei dir und euch allen bedanken.. Für all die wundervollen Beiträge, Berichte, Gedanken, Fernsehtipps (Danke liebe Antje), danke lieber Werner für die Lyrik am Sonntag, so wundervoll immer wieder.
Wir hatten das Glück, auch 2020 unseren alljährlichen Urlaub in Irland verbringen zu dürfen. 2 1/2 Wochen wandern, Natur, Natur, Natur! Diese Zeit trägt uns noch lange.
Wir wünschen euch allen ein licht- und hoffnungsvolles Jahr 2021! Bleibt gesund!
Alles Liebe
Manuela und Claus
Ich habe ganz dreist und mit aller Hoffnung einen Flug für 06/2021 gebucht. In der Hoffnung auf Bantry und Umgebung. In der Hoffnung auf die herrlichen Gärten und wundervollen Begegnungen. Und gerade in den letzten Tagen habe ich mir oft die Frage gestellt, wie ich damit klar käme, wenn es auch in 2021 wider nichts wird. Wenn wieder alles abgesagt werden muss, wenn wieder die Enttäuschung groß ist, wenn wieder die Sehnsucht unerfüllt bleibt. Ja klar…käme ich damit klar. Zwangsläufig.
Dennoch bin ich auch dankbar für das vergangene Jahr…so merkwürdig es auch gewesen ist.
Wir haben in Deutschland (oder sogar Europa) aus meiner Sicht einen großen Schritt getan.
Ohne die Pandemie hätten wir noch sehr lange an alten Arbeitstraditionen festgehalten, hätten nur widerstrebend neue Wege begangen, hätten lieber lange Wege beschritten, um Meetings weltweit zu führen.
Wir konnten jetzt feststellen, dass wir die Umwelt NICHT mit unnötigen Autofahrten und Flügen belasten müssen. Dass es plötzlich doch anders geht. Dass man dennoch einen guten Konsenz finden kann, dass man dennoch auch „vernünftig“ und effektiv arbeiten kann.
Auch Familie ist anders geworden. Und dennoch haben sich Wege und Möglichkeiten gefunden, alle diejenigen zu bedenken, die man liebt.
Und ja… Mir würde die Reise nach Irland tierisch fehlen, aber ich bin auch sehr froh, dass meine Familie, Freunde und ich die Pandemie bislang unbeschadet überstanden haben.
Ich möchte alle Freunde und Familie wiedersehen, umarmen und knutschen, möchte nach Bantry, möchte in diese wunderschönen Gärten, möchte all diese Pflanzen sehen. Möchte, möchte, möchte…. so viel.
WANN ist nicht mehr wichtig. Nur DASS es sein wird.
Vielen Dank, Markus. Für jede Zeile, für jede Mühe, jeden kritischen Gedanken zur Pandemie-Situation, für all die schönen Artikel zu Flora und Fauna. Das hat sehr gut getan.
Allen einen guten Start ins neue Jahr.
Claudia
Vielen Dank für diese wundervollen Gedanken, ein schwieriges Jahr geht zu Ende… aus dem jeder etwas , oder viel, vermisste, manche haben aber auch Ihre Gewohnheiten und Leben neu überdacht , überdenken müssen. Hoffen wir alle auf ein gutes , neues Jahr , voller Hoffnung alles was wir in diesem Jahr schmerzlichst vermissen mussten , neu zu genießen. Alles was wir uns wünschen unbeschwert leben zu dürfen. Alles bei guter Gesundheit. Ein frohes NEUES JAHR 2021. Charlotte
Lieber Markus, liebe Eliane, liebes Wanderlust-Team!
Als bekennender Irland-Fan lese ich mit Begeisterung Eure Beiträge. Ja, C. hat uns heuer viele Veranstaltungen (wenn nicht fast alle) so ziemlich vermasselt. Was wir auch immer aus dieser Situation lernen sollten – ich fürchte, viele Menschen (vor allem auch Politiker) haben’s leider nicht so richtig kapiert. Schwamm drüber über dieses Jahr 2020!
Ich freu mich über jeden Eurer Beiträge und hoffe, auch in Zukunft noch Spannendes und Interessantes zu lesen…
In diesem Sinne: rutscht gut hinüber in das neue Jahr und möge es ein lebendigeres werden!
Alles Liebe,
Ingrid