Corona Irland

Heute in unserer kleinen Stadt: Corona ist omnipräsent. Hier eine Apotheke

Irland in den Zeiten von Corona. Wir leben auf dem Land in Irlands äußerstem Südwesten, in einer Streusiedlung am westlichen Rand Europas, direkt am Atlantik. Auch in dieser einsamen, abgelegenen Gegend wird das Leben jetzt völlig vom neuartigen Coronavirus beherrscht. Wir, Eliane [e] und Markus [m], schreiben ein gemeinsames öffentliches Tagebuch über unser Leben in Irland in Zeiten von Corona. Heute schreibt Markus . . .

 

19. März 2020, Donnerstag

 

Irland CoronaSchon gehört? Im ländlichen Irland braucht das Gerücht auch im Jahr 2020 keine Social-Media-Verstärker. Hier wird noch die gute alte Mund-zu-Mund-Methode gepflegt. Es wird von Mensch zu Mensch weiter gereicht. Dabei moduliert, verstärkt, verändert es sich, fast wie ein Virus. 

Mein heutiger kleiner Ausgang zum Schutz gegen Cabin Fever hat ergeben, dass viele Münder beim Gerüchtepflegen nicht mindestens sechseinhalb Fuß oder zwei Meter voneiander entfernt bleiben. Da muss noch viel geübt werden. 

Das heißeste Gerücht heute auf dem Marktplatz des Hörensagens: Im örtlichen Krankenhaus lägen jetzt bereits 20 Corona-Kranke, nach lediglich drei am vergangenen Samstag. Schwer vorstellbar, aber eben: ein aktives Kommunikations-Virus. Dazu die Geschichten von Einzelschicksalen: Ein Schwerkranker aus einem Nachbarort habe sich das Coronavirus auf einer Hochzeit in Cork City eingefangen, was ihn im Nu nach Cork zurück gebracht habe: ins Krankenhaus auf die Intensiv-Station.     

Nur der Brot-Bäcker vom Wolfe Tone Square will von all dem nichts wissen: „Glaubst Du den Scheiß?“ fragt er. Antwort auf meine Gegenfrage: „Natürlich nicht. Ich schaue kein Fernsehen, ich lese keine Zeitungen. Für mich gibt es das nicht.“ Sagts und umarmt einen dazu kommenden Bekannten eng und innig.

Das Gerücht. Der Klassiker von A. Paul Weber

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Machtwort. Es verwundert deshalb kaum, dass das irische Parlament heute die Durchsetzungskraft der Regierung mit schweren Gesetzes-Geschützen stärken will. Im Schweinsgalopp wird gerade auf den Weg gebracht, was das Land jahrzehntelang nicht brauchte: Ein ganzes Bündel Notstandsgesetze. 

Wenn die Regierung heute sagt, die Pubs müssen alle schließen, dann ist das nämlich nicht viel mehr wert als ein nett geäußerter Wunsch. So gibt es beispielsweise in Limerick noch eine ganze Reihe Pubs, die dem Wunsch nicht nachkamen und wo jetzt das Bier besonders mächtig fließt. Die Polizei kann nichts tun, außer an die Vernuft der Wirte zu appellieren. Auch die irische Fluggesellschaft Aer Lingus flog noch fleißig Urlauber auf die Kanaren, als das „Reiseverbot“ schon in Kraft war. 

In wenigen Tagen sollen die neuen Notstandgesetze all dem einen Riegel vorschieben. Dann gilt das Machtwort der Regierung. Dann kann sie Schließungen verbindlich verfügen, Ausgangssperren verhängen, Reisen verbieten und Menschen auch gegen ihren Willen isolieren. Bleibt zu hoffen, dass die Sunrise-Klausel Teil der Gesetzgebung wird und diese Notstands-Gesetze automatisch außer Kraft gesetzt werden, wenn die Not gebannt ist.

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Eine gewisse Intransparenz. Dass das gute alte Gerücht auf der Insel gerade mächtig aufblüht, ist sicher auch der Verschleierungspolitik der Regierenden geschuldet. Ich habe versucht heraus zu finden, wie sich die mittlerweile 557 Fälle genau übers Land verteilen. Die Zeitungen berichten nur von neuen Fällen im Osten oder Süden, Westen und Norden. Wer etwas tiefer gräbt, findet eine Verteilung der nachgewiesenen Corona-Fälle auf die Counties, mit dem Ranking: Dublin deutlich vor Cork, Limerick und Galway. Präziser aber wird es nicht. Niemand soll wissen, wie viele Menschen nun in Bantry oder in Kenmare oder in Tralee erkrankt sind. Na ja, vielleicht würde die das zu viel Panik schüren . . .

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Corona Bantry

Viele Geschäfte haben geschlossen. Viele Menschen werden arbeitslos.

 

Die Tages-Statistik und das Tempo: Aus Dublin hört man heute Abend, dass die geschäftsführende Regierung jetzt richtig Gas geben will. Der stellvertretende Premierminister Simon Coveney begründete die neuen Notstandsgesetze mit dem Satz: „Es geht nun darum, ob Covid-19 Hunderte von Menschen, Tausende von Menschen oder Zehntausende von Menschen in Irland tötet.“ 

Während die Regierung noch beschleunigt, haben andere Entwicklungen längst Fahrt aufgenommen: Die Zahl der identifizierten Covid-19-Fälle stieg in der Republik Irland seit gestern über 50 Prozent um 191 auf 557 an (das entspräche etwa 10.000 Infizierten in Deutschland). Heute starb zudem der dritte Mensch in der Republik. Zwei Drittel der bislang mit Covid-19 infizierten Menschen sind hier übrigens unter 55 Jahre alt. In Nordirland sind jetzt 68 Menschen positiv auf Coronavirus getestet worden, der erste Mensch ist heute gestorben. Die Zahlen steigen auch deshalb so dramatisch an, weil mittlerweile deutlich mehr gestestet wird, bis zu 15.000 Test pro Tag ist das Ziel – das ist sehr ehrgeizig.

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Was heute noch geschah: Das Sozialministerium rechnet damit, dass die Corona-Krise 400.000 Menschen auf der Insel den Job kosten könnte. Die Schulabschluss-Prüfungen dieses Frühjahrs wurden abgesagt. Irlands Whiskey-Destillen, allen voran Jameson in Midleton, produzieren nun neben Whiskey große Mengen hochprozentigen Alkohol für Hand-Gel, um den gravierenden Mangel an Desinfektionsmitteln zu beheben. Sie tun das kostenlos und geben dem irischen Namen für Whiskey, Uisce Beatha, eine noch tiefere Bedeutung: Wasser des Lebens . . .

 

Das Wasser des Lebens: Jetzt auch als Hand-Gel

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Ja, aber. Mit einer Tagebuch-Anmerkung von vorgestern habe ich eine typische „Ja-aber-Kontroverse“ ausgelöst: Ich hatte geschrieben, Irland sei als Gesellschaft für die Corona-Krise gut aufgestellt, denn Gemeinschaftsgeist, Solidarität, Liebe, Respekt, Fürsorge, Freundlichkeit und Nächstenliebe gebe es hier mehr als andernorts . . . . . 

Die klassische Facebook-Reaktion: „Leider aber auch viel Undiszipliniertheit. Viele Iren haben sich privat auch in größeren Gruppen getroffen und Party gemacht . . .“

Ja, haben sie. Jedes Land hat seine Deppen. Die Grundstimmung hier auf der Insel ist dennoch eine sehr menschliche und solidarische. Wenn sich nun LeserInnen lieber in Irland als im eigenen Land wähnen, dann hilft ihnen vielleicht diese Einsicht: Jeder einzelne positive Beitrag ist wichtig und prägt die Wirklichkeit. Hier in Irland, in Deutschland, der Schweiz, in ÖSterreich, überall. Diese Groß-Krise bringt in uns Menschen das Beste und das Schlechteste zugleich zutage. Wir haben die Wahl, wir können uns entscheiden. Wir alle, an dem Ort, wo wir gerade sind.

 

Corona Irland

Alle Touristen haben die Insel verlassen. Der Rhododendron blüht derweil wunderschön . . .

 

Fotos & Vignette: Eliane Zimmermann