Irland Corona

Ja, wir brauchen eine Pause

 

Irland in den Zeiten von Corona. Wir leben auf dem Land in Irlands äußerstem Südwesten, in einer Streusiedlung am westlichen Rand Europas, direkt am Atlantik. Auch in dieser einsamen, abgelegenen Gegend wird das Leben jetzt völlig vom neuartigen Coronavirus beherrscht. Wir, Eliane [e] und Markus [m], schreiben ein gemeinsames öffentliches Tagebuch über unser Leben in Irland in Zeiten von Corona. Heute schreibt Markus . . .

 

21. März 2020, Samstag

 

Irland CoronaMir geht es gerade wie meinem vierbeinigen Mitbewohner: Ich bin hundemüde wie Lucy. Vor allem mental. Die letzten zwölf Tage seit Antritt unseres Rückzugs in die völlige Privatheit haben mich seelisch und mental enorm gefordert. Die inneren Systeme laufen ständig auf Hochtouren. Ich muss aufpassen, nicht zu überdrehen, muss sorgsam sein, bei mir bleiben.

Während wir versuchen, die Gegenwart zu verstehen, uns anzupassen an die volatile, sich rasch ändernde Informationslage, drängen sich immer auch wieder die Fragen nach dem Gestern und dem Morgen in den Vordergrund.

Vergangenheit: Was sind die Gründe für das Coronavirus? Woher kommt es, von welchem Tier wurde es auf den Menschen übertragen? Was genau hat das mit der Menschen-gemachten Natur-Zerstörung zu tun?

Zukunft: Wann wird diese Krise vorbei sein, und was wird sein, wenn wir sie überstanden haben (wenn wir sie überstehen)? Wieviel Zeit werden wir uns kaufen, gönnen, um die Kurve der Verbreitung des Virus abzuflachen? Wie lange werden wir aushalten – indidividuell und als Gesellschaft?

Auf einer vierten Ebene spüre ich der Frage nach: Welche guten Seiten hat diese Krise? Welchen Sinn macht sie? Wie kann ich den Ausnahmezustand positiv annehmen? Keine Angst. Es wird hier künftig keine Tipps gegen die Überwindung der Langeweile mit den 24 besten Katastrophen-Filmen im Corona-Bundle von Netflix geben.

Das ist mein Denkstoff für die kommenden Tage. Ich will es ruhiger angehen lassen.

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Denglisch for Coronators. Wir sitzen jetzt im Home Office, praktizieren Social Distancing, mitten im Shutdown oder gar im Lockdown. Wir benutzen diese Vokabeln hier in Irland natürlich ständig. Warum aber arbeitet halb Deutschland im Home Office und nicht im Heimbüro? Weil es irgendwie cooler (hoho) klingt?  Irgendwie doch eher nach einem Video Game (haha) als nach nüchterner und bitterer Reality (heya)? Das ist Denglisch for Coronators. Wir müssen über Sprache made in Germany in Zeiten der Krise reden . . .

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Das ist die Krönung. Während ich dies schreibe, höre ich mal wieder die Songs der lange geliebten Dubliner Indie Band, genau: der Coronas. Das sind die mit “San Diego Song” und “Tony was an Ex-Con”. Musik aus dem vergangenen Jahrzehnt – immer noch hörenswert. Macht Laune. Und nein: Ich trinke kein Corona.

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Die Tages-Statistik: Die Zahl der identifizierten Covid-19-Fälle stieg in der Republik Irland seit gestern um 102 auf 785. Damit hat sich die Zahl der Fälle innerhalb von drei Tagen mehr als verdoppelt. Das exponentielle Wachstum der Infizierungen schleicht uns von hinten an, ohne dass wir es genau verstehen können, mit welchem Tempo die Durchseuchung voranschreitet. Es wird erste Kritik am Krisen-Management der Regierung laut. Vor allem die nur stotternd anlaufende Hilfe für die Wirtschaft und die arbeitslos werdenden Menschen wird beklagt. Trotz aller Verlautbarungen sind in den nun 32 Test-Zentren landesweit insgesamt erst 10.000 Tests durchgeführt worden. Dagegen wirken die vollmundigen Ankündigungen, täglich 15.000 Tests durchzuführen, wie schiere Angeberei. Kann die Bevölkerung den Angaben Glauben schenken, dass zu den nur 10.000 existierenden Krankenhausbetten demnächst weitere 10.000 kommen sollen, um die Zahl der Betten (ohne Intensiv-Ausstattung wohl gemerkt) für die hereinbrechende Krise zumindest zu verdoppeln? Und wieviele Beatmungsgeräte konnte der Staat mittlerweile beschaffen?

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KuK. Über das Klopapier, die Angst, den analen Charakter und die niederen Instinkte ist alles gesagt. Die Kämpfe um das Dreilagige gab (gibt?) es auch hier in Irland. Fast unbemerkt vom Papierkrieg boomt auf der Insel eine weit teurere Haushaltsware – Grundfarbe ebenfalls weiß: Die Menschen kaufen Kühl- und Gefrierschränke, als lebten wir in Zukunft in der temperierten Kälte. Der Trend zum Dritt-Kühlschrank ist ungebrochen, die Spediteure und Kurierdienste regieren. Sie sind die Könige der sich leerenden Landstraße. Prekär beschäftigte Kuriere fahren sich jetzt den Allerwertesten ab und ihren Firmen traumhafte Renditen ein. Die große Krake Amazon mutiert zum globalen Monstrum. Schmerz.

Ihnen einen möglichst entspannten Sonntag.
Die nächste Woche wird hart!

 

Fotos: Markus Bäuchle; Vignette: Eliane Zimmermann