Irland corona

Irland in den Zeiten von Corona. Wir leben auf dem Land in Irlands äußerstem Südwesten, in einer Streusiedlung am westlichen Rand Europas, direkt am Atlantik. Auch in dieser einsamen, abgelegenen Gegend wird das Leben jetzt völlig vom neuartigen Coronavirus beherrscht. Wir, Eliane [e] und Markus [m], schreiben ein gemeinsames öffentliches Tagebuch über unser Leben in Irland in Zeiten von Corona. Heute schreibt Markus . . .

 

25. März 2020, Mittwoch.

 

Irland CoronaEin Blick zurück. Wann war es das letzte Mal so ruhig in Europas Städten, wann waren die Straßen zuletzt so leer, die öffentlichen Plätze derart verlassen? Wann war die Luft letztmals so rein wie in diesen Tagen? Es muss in der Zeit gewesen sein, als es im Fernsehen noch Testbilder gab, Umschaltzeiten, Sendepausen und einen Sendeschluss. Ja, es gab wirklich eine Zeit vor der 24-Stunden-Rund-um-die-Uhr-Unterhaltung. Mutmaßlich waren die Testbilder damals noch schwarz-weiß? Testbilder gab es in deutschen Sendern von 1950 bis 1997, der Hessische Rundfunk stellte seines als letzter ab.

Das waren die Zeiten, als wir Menschen in Europa noch nachhaltig lebten, weniger als eine Erde verbrauchten, als Deutschland am Wirtschaftswunder arbeitete und Irland unter bitterer Armut litt. An diesem Vergleich wird mir klar, wie einschneidend die Maßnahmen sind, die uns die Regierungen dieser Welt gerade verordnen. Um das Leben auf der Erde, das Klima und die Artenvielfalt zu retten, haben sie bislang keinen großen Ehrgeiz an den Tag gelegt, obwohl jene stille Krise der Natur uns mutmaßlich viel härter zusetzen wird als das Coronvirus jetzt. Aber bis dahin ist ja noch Zeit . . . . Ist es? Immerhin lehrt uns Corona eindrücklich und sehr lebensnah, was exponentielles Wachstum ist: Was heute klein und harmlos wirkt, kann in wenigen Tagen schon als Katastrophe über uns herein brechen. Siehe Italien.

 

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Wir und das Fremde. Ich lese gerade vielerorts die hoffnungsfrohe These, in der Corona-Krise würden die Populisten entlarvt und erledigt. Countdown für Trump, Orban und den Flügel. Die große Mehrheit der Menschen hält sich jetzt lieber an das Bewährte: CDU fünf Prozent rauf, Irlands geschäftsführende Regierung trotz Wahlniederlage stabil und weiter akzeptiert an den Hebeln der Macht. Das Elixier allerdings, von dem Populisten sich nähren, vermehrt sich gerade sprunghaft: Die Angst vor Ansteckung ist auch eine Angst vor dem Fremden.

In den USA, wo vor 102 Jahren mutmaßlich die nach Spanien benannte große Grippe ausbrach, tönt der Chef-Populist vom chinesischen und vom Wuhan-Virus. Man möchte gerade nicht als Chinese oder Chinesin in Italien arbeiten. Menschen aus China erfahren in Europa jetzt eine Ablehnung, die mit dem Begriff Soziale Distanzierung nur unzureichend beschrieben wäre. Angst vor den Fremden, den Anderen, den Nicht-Einheimischen auch in Irland: Die Gemeinden auf Irlands kleinen Inseln, etwa von Bere Island, haben die Zugbrücken hoch gezogen. Sie haben sich für geschlossen erklärt und führen in den unsozialen Medien eine Kampagne gegen Besucher, die noch immer zum Wandern auf die Insel kommen.

Manche Islander forderten die Einstellung des Fährbetriebs, eine Insulanerin rief ihre Mit-Insulaner zu einer Versammlung (!) auf, um Maßnahmen gegen die Eindringlinge zu diskutieren. Auf Dingle blockieren zweit Dutzend irische Fischer Fang-Boote aus Frankreich und Spanien. Sie hindern sie aus Angst vor dem Virus daran, am Pier anzudocken. An Deutschlands Küste schlägt derweil eine lange gehegte subtile Abneigung von Einheimischen gegen die Ferienhausbesitzer aus Hamburg in offenen Hass um. Viele begüterte Städter mit Zweitwohnsitz an der Nordsee hatten sich in ihre Urlaubs-Domizile aufgemacht, um dort die Corona-Seuche im Idyll auszusitzen. Sie wurden auf behördliche Anordnung nun alle heim an ihren Erstwohnsitz geschickt. Wer nicht schnell genug im Auto saß und sich noch in den Geschäften blicken ließ, konnte mit Pöbeleien und Beschimpfungen durch Ansässige rechnen. Angegriffene Hamburger konterten: Dann machen wir unsere Krankenhäuser für Ost-Holsteiner eben dicht. Wie dünn der Firnis der Zivilsation doch ist . . .

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Testen, Testen, Testen, fordern Seuchen-Experten von ihren Regierungen. Denn wenn wir genug Wissen sammeln darüber, wer infiziert ist und wer nicht, wer zudem schon immun gegen das Virus ist, erlangen wir einen entscheidenden Vorteil: In ein paar Wochen müsste dann  nicht mehr die gesamte Gesellschaft Pause machen. Gesunde und immune Menschen könnten zur Arbeit gehen, zumal in den jetzt besonders nachgefragten Berufen. Die Forderung macht Sinn, denn je länger ganze Länder eingesperrt sind, umso größer werden die Probleme –  seien sie ökonomisch, politisch, psychisch oder auch nur beziehungsmäßig.

In Irland drehen die Behörden derweil die Test-Kriterien zurück. Wer einen Test bekommen will, muss nun mehr Kriterien erfüllen als bislang, muss zum Beispiel mindestens zwei Krankheitssymptome statt bislang einem nachweisen. Die Fieber-plus-Eins-Methode wird eingeführt, weil das Test-System massiv überlastet ist. Die vollmundigen Ankündigungen von 10.000 Tests pro Tag können bei weitem nicht eingelöst werden. Zehntausende Menschen warten auf einen Test. Das Drehen an den Test-Kriterien mag Druck von den überlasteten Test-Zentren nehmen, zur Vorbereitung einer besseren Zukunft dient es nicht.

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Irland Corona

Letzte Ausfahrt Beara. Vorerst jedenfalls.

 

Letzte Ausfahrt Beara. Bevor die irische Regierung gestern Abend die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit drastisch verschärfte, bin ich noch einmal über die Beara-Halbinsel gefahren und ein wenig spaziert. Vorbeugende Maßnahme gegen Cabin Fever. Auf der knapp 100 Kilometer langen Tour begegneten mir acht Autos und einige Trucks. Es hätte mich nicht gewundert, wenn mir anstelle des Fischlasters ein Eselskarren entgegen gekommen wäre. Ich fühlte mich wie auf Zeitreise im Irland vor 40 Jahren. Nur Menschen waren auch keine auf den Straßen. Damals spielte sich viel Leben im ländlichen Irland noch im Freien ab. Diese Zeiten sind vorbei, auch ohne Coronavirus. Der Trend zum Indoor-Leben ist ungebrochen.

 

Das sind die neuen Bestimmungen in Irland, die ab sofort bis vorerst 19. April gelten:

  • Wir dürfen unser Zuhause jetzt nur noch für wichtige Arbeiten, zum Sport, zum Gang in den Supermarkt oder zu medizinischen Einrichtungen verlassen.
  • Reisen innerhalb oder außerhalb Irlands sollen unterbleiben, es sei denn, sie sind absolut notwendig.
  • Zusammenkünfte im Freien von mehr als vier Personen (sofern sie nicht einer Familie angehören) sind nicht mehr erlaubt.
  • Baustellen und Fabriken müssen nicht geschlossen werden, solange der gebotene physische Abstand dort eingehalten wird.
  • Mehr Parkwächter und Polizisten sollen auf öffentlichen Plätzen kontrollieren, dass die körperliche Distanzierung eingehalten wird.
  • Die wöchentliche Staatshilfe für Beschäftigte wurde auf 350 Euro erhöht – der Staat muss bis zu 70 Prozent des Gehalts  zahlen – die Obergrenze liegt bei 410 Euro pro Woche.
  • Alle nicht für den Lebensunterhalt notwendigen Einzelhandelsgeschäfte, Theater und Clubs müssen geschlossen werden, Hotels müssen die Belegung beschränken, Cafés und Restaurants dürfen nur noch Nahrung zum Mitnehmen verkaufen.
  • Private Krankenhäuser müssen sich sofort öffnen und als öffentliche Krankenhäuser arbeiten.
  • Die Regierung legt ein 4-Milliarden-Euro-Hilfspaket für Unternehmen auf.
  • Alle Sportveranstaltungen, auch die hinter verschlossenen Türen, werden abgesagt. Damit müssen auch die Windhunderennen endlich gestoppt werden.

 

Regierungschef Leo Varadkar gab auch einen kleinen unverbindlichen Ausblick auf die Dauer der Maßnahmen. Er sei vorsichtig optimistisch, dass Schulen und Kindergärten “im Mai oder Juni” wieder geöffnet werden könnten. Gleichzeitig korrigerte er seine Annahme, dass es in Irland bis Ende März 15.000 festgestellte Covid-19-Fälle gebe. Die Zahl sei zu hoch. Das ist eine kleine gute Nachricht, wenn auch keine, die viel Hoffnung macht für die kommenden Wochen.

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Die Tages-Statistik: Die Zahl der identifizierten Covid-19-Fälle stieg in der Republik Irland seit gestern um 235 auf 1564.  Das ist der bislang höchste tägliche Anstieg. Neun Menschen sind gestorben (plus 2).

 

Schon vor der Verschärfung der Anordnungen: Beara menschenleer

 

Auch das noch: Der irische Gesundheitsminister berichtet von einer Begegnung der unheimlichen Art. Zu Fuß in Dublins Regierungsviertel unterwegs, kam ein junges Paar auf ihn zu, hustete ihm ins Gesicht und zog dann grölend davon. Laut Harris ist die Attacke kein Einzelfall. Die dumm-dreisten und gefährlichen Attacken auf ältere Leute werden gefilmt und in den unsozialen Medien geteilt.

PS: Wir berichten seit 15 Tagen täglich im Tagebuch über die Corona-Krise in Irland und unserer direkten Umgebung. Es ist wie im richtigen Leben: An manchen Tagen bleibt das Tagebuch leer, zum Beispiel, weil wir am Ende eines langen Tages zu erledigt sind, um etwas einzutragen. Auch hier auf Irlandnews wird es im Tagebuch künftig die eine oder andere Pause geben. Dafür haben wir das schöne alte Testbild reaktiviert. Es wird an freien Tagen erscheinen. Gerne zeigen wir auch Euer Lieblingtestbild – sofern Ihr eines habt. Falls ja, einfach mit Namen an markus @ irlandnews.com schicken. Ich freue mich drauf!

 

Fotos: Markus Bäuchle Vignette: Eliane Zimmermann