Irland Zimmermann

Heute bei uns

 

Irland in den Zeiten von Corona. Wir leben auf dem Land in Irlands äußerstem Südwesten, in einer Streusiedlung am westlichen Rand Europas, direkt am Atlantik. Auch in dieser einsamen, abgelegenen Gegend wird das Leben jetzt völlig vom neuartigen Coronavirus beherrscht. Wir, Eliane [e] und Markus [m], schreiben ein gemeinsames öffentliches Tagebuch über unser Leben in Irland in Zeiten von Corona. Heute schreibt Eliane . . .

 

24. März 2020, Dienstag.

 

Irland CoronaZeitlos. Als ich heute früh aufwachte, dachte ich, es wäre Montag, überhaupt begleitet mich ein Montagsgefühl – manchmal nicht nur dienstags, sondern auch an anderen Tagen! Als Freiberuflerin ist es manchmal schon in “normalen” Zeiten nicht so einfach, ein gutes Zeitgefühl zu behalten. Als Spätschreiberin kommen mir oft eher abends die Ideen oder die Lust zum Schreiben. So dass ich bisweilen auch gerne die Nacht zum Tag mache und dann tagsüber nur sehr langsam in Fahrt komme. Da kann der innere Kalender schon mal durcheinander purzeln.

Nun fehlen mir ein paar meiner wenigen strukturierenden Elemente wie der Besuch des Physiotherapeuten, der Wocheneinkauf oder die dringende Abgabe eines Projektes. Es fehlt mir die kleine Belohnung mit ein paar Blümchen oder einer Brezel. Doch vermisse ich diese Dinge wirklich? Nein, dieses zeitlose Dasein tut mir gut.

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Freiheit. Noch dürfen wir draußen frei gehen, allerdings ab morgen, Mitternacht, nur noch in Grüppchen von maximal 4 Personen (diese müssen der gleichen Familie angehören). Es wird verstärkte Präsenz der Polizei (Garda) geben, um das durchzusetzen. Ab morgen werden alle nicht lebenswichtigen Geschäfte schließen, beispielsweise unser Schreibwaren- und Copyshop, auch der Spielzeugladen, die sich beide noch tapfer gehalten hatten. Einige Lebensmittelketten bieten bereits seit über einer Woche an drei Tagen ihre frühen Ladenöffnungszeiten ausschließlich für Senioren ab 65 Jahren an, damit diese sich mit gutem Abstand, ohne Hetze, durch den jeweiligen Laden bewegen können. Da ich seit dem 7. März nicht mehr einkaufen war, bekam ich noch nicht die inzwischen installierten Plexiglas-Abtrennungen der Menschen an den Kassen zu Augen.

Ich befürchte, dass unser Renovierungsprojekt nun bald dran glauben muss, denn wir haben sicher nicht alle Materialen “an Bord”, damit wir unseren netten Tischler noch wochenlang beschäftigen können. Was wir ihm jedoch zugesagt hatten. Ich hoffe auf den kombinierten Schrauben-, Pinsel-, Farbeimer- und Futtermittel-Laden in der Nähe (die Lämmer werden in diesen Tagen massenweise geboren, Mutterschafe und auch die viele Rinder-Herden bekommen Kraftfutter und Spritzmittel von dort).

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Virentests. Es kann durchaus Nachteile haben, wenn man auch die ausländische Presse studiert. Ich finde die Erkenntnisse einer neuen Studie aus Italien überzeugend und gleichzeitig beunruhigend. Denn die Resultate, welche die Erkenntnisse aus Südkorea bestätigen, werden fast nirgendwo beherzigt: Nur weil ein gravierender Mangel an Tests in vielen Ländern besteht, bleiben die unwissenden Haupt-Überträger unerkannt. Werden ALLE Virenträger isoliert, also auch und vor allem diejenigen ohne Symptome, trägt das zur schnelleren Eindämmung der Seuche bei, so der Virologe Sergio Romagnani, Professor für Klinische Immunologie der Universität Florenz. Auch scheint diese Maßnahme vor einer schweren Entwicklung der Krankheit bei den Infizierten zu schützen. Ich habe den Artikel aus einer der beiden wichtigen italienischen Zeitungen La Repubblica übersetzt und grob zusammengefasst:

“Die große Mehrheit (zwischen 50 und 75 %) der mit Covid-19 infizierten Menschen sind völlig asymptomatisch, stellen jedoch eine GEWALTIGE Ansteckungsquelle dar.” Das ist die Erkenntnis aus  der Studie an den 3000 Einwohnern des Dorfes Vo’ Euganeo, in dem bei allen Einwohnern ein Coronavirus-Abstrich vorgenommen wurde.

Der Immunologe Romagnani erklärt, dass die Daten seiner Studie, zwei sehr wichtige Informationen ergeben: “Der Prozentsatz der infizierten Personen in der Bevölkerung, auch wenn sie asymptomatisch sind, ist sehr hoch und stellt die Mehrheit der Fälle dar, vor allem, jedoch nicht ausschließlich, unter jungen Menschen. DEREN ISOLIERUNG IST UNERLÄSSLICH, um die Verbreitung des Virus und die Schwere der Krankheit kontrollieren zu können”. Dafür müssen möglichst viele Menschen getestet werden.

Für Romagnani ist es jetzt im Kampf gegen das Virus entscheidend, “Menschen zu finden, die zwar asymptomatisch sind, aber bereits infiziert sind, weil niemand sie fürchtet oder weil sie nicht isoliert sind. Dies gilt insbesondere für Menschen wie Ärzte und Krankenschwestern, die häufig eine asymptomatische Infektion entwickeln. Doch sie verbreiten dann die Infektion unter ihren KollegInnen und unter ihren Patienten“.

Angesichts der Ergebnisse der Vo’-Studie kann die Entscheidung, keine Abstriche bei asymptomatischen Ärzten und Pflegenden vorzunehmen, äußerst gefährlich sein, sagt der Viren-Spezialist. Krankenhäuser laufen dann Gefahr, zu extremen Sammelbecken von infizierten Menschen zu werden.

Im Dorf Vo’ – so Prof. Romagnani – sank mit der Isolierung der Infizierten die Gesamtzahl der Kranken innerhalb von 7-10 Tagen von 88 auf 7. Die Isolierung der Infizierten (mit oder ohne Symptome) erwies sich nicht nur als geeignet, andere Menschen vor der Infektion zu schützen, sondern schien auch vor der schweren Entwicklung der Krankheit bei den Infizierten zu schützen, da die Heilungsrate bei den infizierten Patienten, wenn sie isoliert wurden, in 60% der Fälle nur 8 Tage betrug.

Keine guten Aussichten für unsere schöne Grüne Insel! Die Angebote zum Abstrich kamen aus meiner Sicht viel zu spät, zudem wird nur spärlich getestet, grundsätzlich nur bei Menschen mit Symptomen.

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Fotos: mab; Vignette: Eliane Zimmermann