Geschichten aus dem Glen, IrlandIrand ist anders, las ich gestern in der Zeitung*. Zumindest das ländliche anders als das urbane. Castletownbere anders als Kildare, Doolin anders als Dublin. Na klar. Überraschend allerdings die Diagnose des Reporters, warum das ländliche Irland so anders sein soll: Das ländliche Irland sei gewissermaßen klassenlos. Da gibt es wenig Status-Unterschiede und kaum soziale Ausgrenzung. Da kann der Arbeitslose problemlos Vorsitzender eines Ortsvereins sein und sich als Mensch großer Wertschätzung erfreuen, auch wenn es beruflich nicht hinhaut bei ihm. Stimmt. Das Leben auf dem irischen Land trägt egalitäre Züge: Es ist nicht so wichtig, was Du bist, was Du trägst, wie Deine Wohnung aussieht oder was Du besitzt, um akzeptiert zu sein.

Das irische Land ist deshalb — ohne es verherrlichen oder die rigiden Formen sozialer Kontrolle schön reden zu wollen, auf seine Weise ein Raum der Freiheit. Eine alte aus Deutschland zugezogene Nachbarin, die es kleidungstechnisch stets extrem locker angehen ließ, pflegte diesen Lieblingsspruch: “Nicht so wichtig, wir sind doch hier in Irland”. In Ordnung, dachte ich mir — auch angesichts der vielen Vorbilder in meiner dörflichen Nachbarschaft — die Freiheit nehme ich mir doch gerne. Früher musste ich mich mit mühselig konstruierten Glaubenssätzen im rechten Licht behaupten: “Leute, die viel schreiben, haben keine blitzblank geputzten Häuser” (sei es weil die Zeit, die Aufmerksamkeit für das staubige Detail oder das Geld dazu fehlt). Oder diesen hier: “Männer spülen nicht ab, die weichen ein”. Oder den: “Wer Ordnung hält, ist zu doof, das Chaos zu verstehen.” Heute sage ich nur: “Wir sind doch hier in Irland“. Geht doch. Die Abwasch-Berge in der Küche rufen auch nur ganz, ganz leise. Viel, viel leiser als die Kerry-Berge da draußen. Ein schönes Wochenende!

* Irish Examiner vom 26. November, Seite 9.