Eine regelmäßige Leserin fragte mich vor kurzem leicht verwundert, warum Irlandnews derzeit so unbeschwert daher kommt, so unberührt von der vielfach beängstigenden Lage der Welt. Sie wissen schon: Krieg, Klima, Natur, Umwelt, Inflation, Kostenkrise, Energiekrise, Zukunftsangst.
Ich überlegte einen Moment, ob ich ihr die gesammelten Links zu meinen politisch-ökologischen Beiträgen der vergangenen Jahre schicken soll; einen anderen Moment lang, ob ich ihr von meinem anhaltenden Zustand der hoffnungsvollen Resignation erzählen soll.
Ich antwortete: Die ausufernde Angst- und Panikmache in Politik und Medien finde ich genauso befremdlich wie das Jammern und Wehklagen der gut situierten Menschen, die nun um ihren Wohlstand und ihren hohen Lebensstandard fürchten. (Ich meinte ausdrücklich nicht die vielen materiell schlecht gestellten Menschen, die nun um ihre Existenz kämpfen müssen, und die schnelle FDP-freie Hilfe benötigen). Dem gelte es, etwas Positives entgegen zu setzen.
Wir konnten schon vor Jahrzehnten erkennen, dass wir den Krisen, die nun unseren Alltag bestimmen, rechtzeitig hätten begegnen müssen. Es war klar, dass wir und unsere Politiker in guten Zeiten die Veränderung hätten angehen müssen, damit uns nicht exogene, unbeeinflussbare Faktoren in ihren unbarmherzigen Zangengriff nehmen würden.
Im übrigen müssten all die befürchteten Einsparungen, die nun wegen Putins Krieg drohen, längst freiwillig erfolgen, um die Erhitzung der Erde durch den von Menschen gemachten Klimawandel – spät aber doch – halbwegs einzugrenzen. Wer heute noch den 1,5- bis Zwei-Grad-Korridor propagiert, ist ein Träumer, ein Fantast oder jemand, der die Unwahrheit sagt. Der Kampf gilt längst einem deutlich stärkeren Temperaturanstieg.
Die Frage der Leserin arbeitete weiter in mir. Es ist September, eine ganz wundervolle Zeit hier am Atlantik am westlichen Rand Europas. Die Sonne scheint, es ist warm, das Licht und die Farben schmeicheln den Sinnen. Eigentlich ist hier alles in Ordnung – solange man die Medien aller Kanäle ignoriert. Die Frage aber stellte sich meinem „Eskapismus“ radikal in den Weg und verlangte nach tieferen Antworten.
Mir wurde klar: Unser Leben hier im dünn besiedelten ländlichen Irland ist mit dem Leben in einer deutschen, einer schweizer, ja selbst einer irischen Großstadt nur bedingt vergleichbar. Wir haben unser Verhalten gewissermaßen entkoppelt. Wenn Menschen nun angstvoll auf den bevorstehenden Winter blicken, weil sie möglicherweise nicht mehr alle Zimmer in ihrem Haus heizen können oder weil sie zwei Grad kälter leben müssen als bisher, dann wissen wir, was das bedeutet: Wir haben viele Jahre schon so gelebt. Wir sind daran gewöhnt – und es ist nichts Schlimmes daran.
Der Stromausfall (jetzt dämonisiert als „Blackout“) gehört hier zum Leben. Ein Blitz, ein Donnerschlag – und der Strom ist mal wieder weg, mit ihm auch das Internet, das Telefon und selbst das Wasser, denn die Wasserpumpe im eigenen Tiefbrunnen benötigt Strom. Durch Verbesserungen des Stromnetzes wurden Stromausfälle innerhalb der vergangenen 20 Jahre inzwischen seltener – und sie dauern meist nicht mehr so lange. In vielen Winterstürmen kamen wir zwangsläufig tagelang ohne Strom aus. In den kalten kontinentalen Wintern 2010 und 2011, als die Irinnen und Iren eine neue Eiszeit heraufziehen sahen, waren aufgrund der für irische Verhältnisse extremen Kälte die Wasserleitungen genauso eingefroren wie das Kerosin im Tank hinter dem Haus und die Gasleitung. Die Folge: Wir lebten eine Woche lang ohne Leitungswasser und Zentralheizung. Weil die Straßen mit einer dicken Eisschicht überzogen waren, war auch an Autofahren über eine Woche lang nicht zu denken. Das öffentliche Leben kam komplett zum Erliegen. Die Menschen blieben daheim. Sie schauten nacheinander, halfen den Hilflosen. Sie machten das Beste draus. Es gab kein großes Geschrei.
Wir fanden Lösungen und lebten nicht schlecht: Das Wasser holten wir aus unserem Bach. Die große Küche mit Wohnbereich heizten wir mit dem Holzofen. Die Gasleitung konnten wir mit heißem Wasser auftauen, dann kochten wir auf dem Gasherd. Solarlampen und Kerzen spendeten Licht. Wir trugen mehrere Schichten Kleidung, überwiegend aus Wolle. Zur Not eine Mütze. Raumtemperaturen von 15 Grad waren damit gut zu ertragen. Unsere Kinder berichteten stolz, dass sie sich mit sieben Liter Wasser von Kopf bis Fuß gewaschen hätten (dies machte einen weiteren Gang zum Wasserholen am Bach überflüssig . . . ).
Um besser auf Stromausfälle vorbereitet zu sein, installierten wir später einen Generator, der im Notfall stundenweise eingeschaltet wird. Eine Photovoltaik-Anlage liefert neuerdings Strom – im Sommer mehr, als wir für den eigenen Bedarf benötigen.
Zum Experiment ins stromlose Cottage in den Bergen
Um heraus zu finden, was wir und interessierte Teilnehmer für ein zufriedenes und angenehmes Leben benötigen, haben wir viele Jahre lang Natur-Retreats in einem einsam gelegenen alten Cottage in den irischen Bergen organisiert. Für jeweils eine Woche lebten wir mit Gästen ein Experiment in der Natur, ohne Strom, ohne Smartphone und Internet, mit einem Wasserbrunnen vor dem Haus, einem großen offenen Kaminfeuer als einziger Heizung und einer mit Flaschengas betriebenen Kochstelle.
Der drastische Bruch mit dem komfortablen Alltag ordnete unsere Prioriäten und Bedürfnisse wie von Zauberhand binnen kurzer Zeit neu. Bis auf ganz wenige Ausnahmen erlebten die TeilnehmerInnen, dass wir nur ein paar wenige wichtige Dinge benötigen, um zufrieden zu sein und uns wohl zu fühlen:
– gute Luft
– gutes Wasser
– gutes Essen (wir kochten alle Mahlzeiten frisch und gesund)
– ein Dach über dem Kopf, dicht und ohne Lecks
– Trockenheit und genügend Wärme
– Bewegung (in intakter Natur)
– genügend guten Schlaf.
Kamen dann noch freundliche Begegnungen und gute Gespräche am Kaminfeuer dazu, fehlte uns gar nichts. Wir waren „happy“. Meist zeigten die Natur-Retreat-Gäste nach einer Woche in den Bergen einen gewissen Unwillen, in den komplexen Alltag zurück zu kehren.
Dass es keinen Strom gab, dass man und frau sich abends und nachts auch im Haus warm anziehen mussten, um nicht zu frieren, dass wir auf engem Raum lebten und dass Telefone, Smartphones, Uhren und Computer fehlten: All dies wurde nicht als Mangel empfunden.
Wenn das Experiment zum Alltag wird
Viele dieser Erfahrungen prägen lange schon unseren Alltag. Wir leben energiebewusst bei 16-18 Grad Raumtemperatur. Wir heizen keine Räume, die wir nicht benutzen. Wir benutzen nur wenige elektrische Geräte (unser „Sündenfall“: Computer und Internet). Wir knipsen nur Licht an in Räumen, in denen wir uns gerade aufhalten, und verzichten völlig auf eine Außenbeleuchtung im Garten oder am Eingangstor. Wir duschen kurz und bereiten heißes Wasser nur auf, wenn wir es benötigen. Wir fahren so wenig Auto wie möglich. Angesagte Späßchen wie eine Küchenzeile oder einen Pool im Garten haben wir wegen hohem Peinlichkeits-Score allenfalls belächelt. Lachen kreiert Energie, positive dazu.
Was in manchen Ohren wie ein asketisches, anstrengendes oder unangenehmes Leben klingt, ist ein sehr angenehmes. Es fehlt an nichts. Dieses Leben hat viele Vorteile: Geld, das man nicht ausgibt, muss man nicht verdienen. Wer weniger braucht, ist weniger abhängig, ist freier und selbständiger. Wer wenig delegieren, bestellen, konsumieren muss, ist mehr in seiner eigenen Kraft und dadurch autonomer.
Wer deshalb in den kommenden Monaten die Möglichkeit und die Mittel hat, auf Putins Repressalien und auf die politischen und ökonomischen Auswirkungen flexibel zu reagieren, kann den bevorstehenden Winter positiv gestimmt als Experiment angehen und dabei erfahren, was man und frau alles ändern und ertragen kann, ohne dass es wirklich weh tut. Wir alle tun gut daran, uns auf diese Herausforderungen einzustellen und uns vorzubereiten, denn die nächsten Krisen, Krisenkaskaden und Kollapse kommen ganz bestimmt.
Die Angst vor dem kommenden Winter, das ist auch die Angst vor der eigenen, aus Bequemlichkeit akzeptierten Machtlosigkeit. Wir können das ändern.
Unser Webmagazin Irlandnews möchte derweil bis auf Weiteres, so gut es geht, optimistisch daher kommen, angstfrei, mutmachend und manchmal auch einfach nur unterhaltsam. Ganz nach der Devise: „We are in deep shit, let´s make the best of it.“
Fotos: Markus Bäuchle; Am Atlantik in Irland
Mut ist gut! Gerade so absolut privilegierten Menschen (wie auch mir) tut es nicht schlecht, nachzudenken, was man selbst tun kann, um die Situation zu verbessern. Sei es, weniger bis kein Fleisch mehr zu essen und weniger Milchprodukte, regional zu kaufen, so lange man es sich leisten kann, Heizung runterdrehen, Kleidung, reparieren, tauschen oder aus dem Charity Shop kaufen anstatt Fast Fashion, zur Wahl gehen und dabei über den Tellerrand hinausschauen, im eigenen Umfeld das Leben von Mensch und Tier bessermachen. All das alleine wird die Welt nicht retten. Aber das tun destruktives Jammern auf hohem Niveau und ständige Negativität ja erst recht nicht. Insofern freut mich dieses Bekenntnis zur hoffnungsvollen „Resignation“ (wobei mir das für deine doch recht tatkräftige Art, die Welt zu schonen, fast zu passiv klingt). Und bin gern Teil eines Blogs, der sich einem Optimismus mit Hirn verschreibt.
Wir sollten eher mehr (Rind)fleisch essen, denn wenn wir nur noch Pflanzen essen wird der Verbrauch an Ackerboden noch weiter ansteigen: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wir-brauchen-mehr-Menschen-die-Rindfleisch-essen-article23617204.html
Ansonsten sind einige gute Ansätze genannt.
🤣 (schallend). Dass der Herr Windisch so argumentiert, erklärt sich aus seinen Verflechtungen mit der Futtermittelindustrie wie von selbst:
https://www.lte.wzw.tum.de/mitarbeiterinnen/prof-dr-wilhelm-windisch/
Er hat schlichtweg recht, denn woher soll das Grünzeug kommen wenn wir nur noch selbiges essen? Dazu müssten wir ansonsten die Einwohnerzahl der Erde erstmal halbieren. Das kann ich mir aber nicht so wirklich vorstellen, solange keine Atommacht durchdreht, und das hoffe ich wirklich das nicht passieren wird.
Soylent green, wir brauchen mehr soylent green…
Ja das in etwa beschreibt das Problem. :-(
Wer den Film noch einmal sehen möchte…“Jahr 2022….die überleben wollen“ kommt morgen auf Arte.
…“Unser Webmagazin Irlandnews möchte derweil bis auf Weiteres, so gut es geht, optimistisch daher kommen, angstfrei, mutmachend und manchmal auch einfach nur unterhaltsam. Ganz nach der Devise: „We are in deep shit, let´s make the best of it.“
Danke, lieber Markus für dieses Versprechen. Mehr denn je bin ich davon überzeugt, dass nur ein gesunder Optimismus gepaart mit der Bereitschaft, Dinge im Leben zu verändern, uns in der Balance halten.
Angst ist kein guter Berater. Auch ich spüre einen tiefsitzenden Überdruss beim Lesen der headlines! Also mal „weglassen“ und heute – nach der Wahl in Italien – schaue ich überhaupt nicht mehr in die technischen Geräte!
Hoffen wir auf einen milden Winter und nehmen wir die Herausforderungen unserer Zeit (von uns selbst mit eingetütet immerhin) an und machen – wie Du sagst – das Beste draus.
Take care!
Gabi
Franz bringt das recht gut auf den Punkt, mit einem Acre Land in Kerry und gefülltem Schuppen (obwohl Eamon das gar nicht gerne sieht) kann man sich gut und gerne entspannt zurück lehnen. Womöglich ist man sogar klimaschädlich schon öfter zwischen neuer und alter Heimat hin und her gependelt, darf man das?
Die Familie irgendwo in Hasenbergl im 6 Stock hat da ganz andere Probleme wie derjenige der sich darauf besser vorbereiten kann. Aber was hat der Familienvater aus Hasenbergl für eine Wahl? Wenn man mit dem Finger auf ihn zeigt wird er eher noch grantig.
Vielen Dank für den mutmachenden Bericht, lieber Markus – wenngleich ich keine ängstlichen Gedanken habe.
Dennoch, Bequemlichkeit und Angst sind (immer) schlechte Lebensbegleiter. Oft denke ich an die Zeit und lese darüber, wie es war, als es noch das “rural life’, das Landleben, gab.
In meinem Bericht über die Blasket Inseln hier auf Irlandnews bewundere ich den harten und entbehrungsreichen Alltag dieser Menschen:
“… weil sie mit wenig Wohlstand und Reichtum ein schönes Leben gelebt haben, weil äußere Armut mit innerem Reichtum ausgeglichen wurde”?
“Diese Menschen mussten akzeptieren, dass sie von den Elementen abhängig waren – und sie hatten durch ihren stetigen Aufenthalt in der Natur ein Gefühl des Respekts und der Demut”.
Innerer Reichtum:
Oft zieht es mich hinaus an weitestgehend unberührte Plätze in Irlands Natur.
Die Beobachtungen kommen, wenn ich still und allein gehe; das einsame Erleben (in) der Natur hilft, Wertschätzung aufzubauen.
Es fühlt sich sehr gut an, “hier nur wenig zu wollen”, wenn man so viel bekommt.
Foto: wilde, unberührte Natur in Irland, 2022
Seit über 20 Jahren direkt an der Küste von Kerry lebend, sehe ich unsere Existenz in dem Artikel ziemlich gut gespiegelt wieder, inklusive Generator, Solarpanels und standby Kochgelegenheit mit Gasflasche, natürlich auch mit Kaminfeuer und Holzofen. Damit haben wir ja auch mental und körperlich sämtliche Unbilden der Lockdowns inklusive Stromausfällen etc. unbeschadet überlebt und sehen dem kommenden Winter mit gefülltem Torfschuppen (auch wenn political not correct) ohne Angstattacke entgegen. Allerdings muss man bedenken, nicht jeder der über 80 Mio Bundesbürger hat zu zweit einen privaten Lebensraum von über einem Acre, mit eigener Heiz-, Strom und Wasserversorgung plus einigen legefreudigen Hühnern zur Verfügung.In der Zweizimmerwohnung im fünften Stock im Plattenbau zu Rostock oder Neuperlach Süd mit drastisch erhöhter Abschlagzahlung für Strom und Heizung sieht die Sache wieder anders aus, da würde ich auch schlechter schlafen.
Hallo Franz, wie im Beitrag beschrieben, gibt es unterschiedliche Voraussetzungen, Spielräume, Möglichkeiten und Freiräume. Mein Text richtete sich an diejenigen, die es sich leisten können – und davon gibt es gerade bei den IrlandnewsleserInnen und in Deutschland sehr viele. Wer um seine Existenz kämpfen muss, der spart automatisch und zwangsläufig – diese Menschen brauchen jetzt die Hilfe der Regierung (wer bremst endlich den porschefahrenden Schuldenbremser aus?). Für alle anderen gilt: A bisserl was geht immer – und jammern wärmt genauso wenig wie Angst.
Stimmt, diese Stromausfälle waren auch für Selten-Outdoor-Menschen immer nützlich (fast immer: Wenn nicht gerade ein vermeintlich überlebensnotwendiger Abgabetermin einer Datei anstand): Endlich mal Socken und andere Wollkleidung stopfen (der Preis für viel Wärme am Körper und selten die Waschmaschine anzuwerfen), endlich mal Fotos sortieren und beschriften, endlich mal dies und jedes ausmisten, endlich mal Stifte und Tuben checken/anspitzen und ein Bild malen, endlich mal diverse Mails/Briefe beantworten (wenn es monatelang Zeit für einen Antwort gab, konnte das Abschicken auch noch einen Tag warten), endlich mal Samen säen oder Rosen auslichten, endlich mal Fenster putzen… die Möglichkeiten waren und sind schier endlos.
Nice, danke