Irland 2022

 

Eine regelmäßige Leserin fragte mich vor kurzem leicht verwundert, warum Irlandnews derzeit so unbeschwert daher kommt, so unberührt von der vielfach beängstigenden Lage der Welt. Sie wissen schon: Krieg, Klima, Natur, Umwelt, Inflation, Kostenkrise, Energiekrise, Zukunftsangst.

Ich überlegte einen Moment, ob ich ihr die gesammelten Links zu meinen politisch-ökologischen Beiträgen der vergangenen Jahre schicken soll; einen anderen Moment lang, ob ich ihr von meinem anhaltenden Zustand der hoffnungsvollen Resignation erzählen soll.

Ich antwortete: Die ausufernde Angst- und Panikmache in Politik und Medien finde ich genauso befremdlich wie das Jammern und Wehklagen der gut situierten Menschen, die nun um ihren Wohlstand und ihren hohen Lebensstandard fürchten. (Ich meinte ausdrücklich nicht die vielen materiell schlecht gestellten Menschen, die nun um ihre Existenz kämpfen müssen, und die schnelle FDP-freie Hilfe benötigen). Dem gelte es, etwas Positives entgegen zu setzen.

Wir konnten schon vor Jahrzehnten erkennen, dass wir den Krisen, die nun unseren Alltag bestimmen, rechtzeitig hätten begegnen müssen. Es war klar, dass wir und unsere Politiker in guten Zeiten die Veränderung hätten angehen müssen, damit uns nicht exogene, unbeeinflussbare Faktoren in ihren unbarmherzigen Zangengriff nehmen würden.

Im übrigen müssten all die befürchteten Einsparungen, die nun wegen Putins Krieg drohen, längst freiwillig erfolgen, um die Erhitzung der Erde durch den von Menschen gemachten Klimawandel – spät aber doch – halbwegs einzugrenzen. Wer heute noch den 1,5- bis Zwei-Grad-Korridor propagiert, ist ein Träumer, ein Fantast oder jemand, der die Unwahrheit sagt. Der Kampf gilt längst einem deutlich stärkeren Temperaturanstieg.

Die Frage der Leserin arbeitete weiter in mir. Es ist September, eine ganz wundervolle Zeit hier am Atlantik am westlichen Rand Europas. Die Sonne scheint, es ist warm, das Licht und die Farben schmeicheln den Sinnen. Eigentlich ist hier alles in Ordnung – solange man die Medien aller Kanäle ignoriert. Die Frage aber stellte sich meinem “Eskapismus” radikal in den Weg und verlangte nach tieferen Antworten.

Irland 2023

Mir wurde klar: Unser Leben hier im dünn besiedelten ländlichen Irland ist mit dem Leben in einer deutschen, einer schweizer, ja selbst einer irischen Großstadt nur bedingt vergleichbar. Wir haben unser Verhalten gewissermaßen entkoppelt. Wenn Menschen nun angstvoll auf den bevorstehenden Winter blicken, weil sie möglicherweise nicht mehr alle Zimmer in ihrem Haus heizen können oder weil sie zwei Grad kälter leben müssen als bisher, dann wissen wir, was das bedeutet: Wir haben viele Jahre schon so gelebt. Wir sind daran gewöhnt – und es ist nichts Schlimmes daran.

Der Stromausfall (jetzt dämonisiert als „Blackout“) gehört hier zum Leben. Ein Blitz, ein Donnerschlag – und der Strom ist mal wieder weg, mit ihm auch das Internet, das Telefon und selbst das Wasser, denn die Wasserpumpe im eigenen Tiefbrunnen benötigt Strom. Durch Verbesserungen des Stromnetzes wurden Stromausfälle innerhalb der vergangenen 20 Jahre inzwischen seltener – und sie dauern meist nicht mehr so lange. In vielen Winterstürmen kamen wir zwangsläufig tagelang ohne Strom aus. In den kalten kontinentalen Wintern 2010 und 2011, als die Irinnen und Iren eine neue Eiszeit heraufziehen sahen, waren aufgrund der für irische Verhältnisse extremen Kälte die Wasserleitungen genauso eingefroren wie das Kerosin im Tank hinter dem Haus und die Gasleitung. Die Folge: Wir lebten eine Woche lang ohne Leitungswasser und Zentralheizung. Weil die Straßen mit einer dicken Eisschicht überzogen waren, war auch an Autofahren über eine Woche lang nicht zu denken. Das öffentliche Leben kam komplett zum Erliegen. Die Menschen blieben daheim. Sie schauten nacheinander, halfen den Hilflosen. Sie machten das Beste draus. Es gab kein großes Geschrei.

Wir fanden Lösungen und lebten nicht schlecht: Das Wasser holten wir aus unserem Bach. Die große Küche mit Wohnbereich heizten wir mit dem Holzofen. Die Gasleitung konnten wir mit heißem Wasser auftauen, dann kochten wir auf dem Gasherd. Solarlampen und Kerzen spendeten Licht. Wir trugen mehrere Schichten Kleidung, überwiegend aus Wolle. Zur Not eine Mütze. Raumtemperaturen von 15 Grad waren damit gut zu ertragen. Unsere Kinder berichteten stolz, dass sie sich mit sieben Liter Wasser von Kopf bis Fuß gewaschen hätten (dies machte einen weiteren Gang zum Wasserholen am Bach überflüssig . . . ).

Um besser auf Stromausfälle vorbereitet zu sein, installierten wir später einen Generator, der im Notfall stundenweise eingeschaltet wird. Eine Photovoltaik-Anlage liefert neuerdings Strom – im Sommer mehr, als wir für den eigenen Bedarf benötigen.

 

Zum Experiment ins stromlose Cottage in den Bergen

Um heraus zu finden, was wir und interessierte Teilnehmer für ein zufriedenes und angenehmes Leben benötigen, haben wir viele Jahre lang Natur-Retreats in einem einsam gelegenen alten Cottage in den irischen Bergen organisiert. Für jeweils eine Woche lebten wir mit Gästen ein Experiment in der Natur, ohne Strom, ohne Smartphone und Internet, mit einem Wasserbrunnen vor dem Haus, einem großen offenen Kaminfeuer als einziger Heizung und einer mit Flaschengas betriebenen Kochstelle.

Der drastische Bruch mit dem komfortablen Alltag ordnete unsere Prioriäten und Bedürfnisse wie von Zauberhand binnen kurzer Zeit neu. Bis auf ganz wenige Ausnahmen erlebten die TeilnehmerInnen, dass wir nur ein paar wenige wichtige Dinge benötigen, um zufrieden zu sein und uns wohl zu fühlen:

– gute Luft
– gutes Wasser
– gutes Essen (wir kochten alle Mahlzeiten frisch und gesund)
– ein Dach über dem Kopf, dicht und ohne Lecks
– Trockenheit und genügend Wärme
– Bewegung (in intakter Natur)
– genügend guten Schlaf.

Kamen dann noch freundliche Begegnungen und gute Gespräche am Kaminfeuer dazu, fehlte uns gar nichts. Wir waren „happy“. Meist zeigten die Natur-Retreat-Gäste nach einer Woche in den Bergen einen gewissen Unwillen, in den komplexen Alltag zurück zu kehren.

Dass es keinen Strom gab, dass man und frau sich abends und nachts auch im Haus warm anziehen mussten, um nicht zu frieren, dass wir auf engem Raum lebten und dass Telefone, Smartphones, Uhren und Computer fehlten: All dies wurde nicht als Mangel empfunden.

Wenn das Experiment zum Alltag wird

Viele dieser Erfahrungen prägen lange schon unseren Alltag. Wir leben energiebewusst bei 16-18 Grad Raumtemperatur. Wir heizen keine Räume, die wir nicht benutzen. Wir benutzen nur wenige elektrische Geräte (unser „Sündenfall“: Computer und Internet). Wir knipsen nur Licht an in Räumen, in denen wir uns gerade aufhalten, und verzichten völlig auf eine Außenbeleuchtung im Garten oder am Eingangstor. Wir duschen kurz und bereiten heißes Wasser nur auf, wenn wir es benötigen. Wir fahren so wenig Auto wie möglich. Angesagte Späßchen wie eine Küchenzeile oder einen Pool im Garten haben wir wegen hohem Peinlichkeits-Score allenfalls belächelt. Lachen kreiert Energie, positive dazu.

Was in manchen Ohren wie ein asketisches, anstrengendes oder unangenehmes Leben klingt, ist ein sehr angenehmes. Es fehlt an nichts. Dieses Leben hat viele Vorteile: Geld, das man nicht ausgibt, muss man nicht verdienen. Wer weniger braucht, ist weniger abhängig, ist freier und selbständiger. Wer wenig delegieren, bestellen, konsumieren muss, ist mehr in seiner eigenen Kraft und dadurch autonomer.

Wer deshalb in den kommenden Monaten die Möglichkeit und die Mittel hat, auf Putins Repressalien und auf die politischen und ökonomischen Auswirkungen flexibel zu reagieren, kann den bevorstehenden Winter positiv gestimmt als Experiment angehen und dabei erfahren, was man und frau alles ändern und ertragen kann, ohne dass es wirklich weh tut. Wir alle tun gut daran, uns auf diese Herausforderungen einzustellen und uns vorzubereiten, denn die nächsten Krisen, Krisenkaskaden und Kollapse kommen ganz bestimmt.

Die Angst vor dem kommenden Winter, das ist auch die Angst vor der eigenen, aus Bequemlichkeit akzeptierten Machtlosigkeit. Wir können das ändern.

Unser Webmagazin Irlandnews möchte derweil bis auf Weiteres, so gut es geht, optimistisch daher kommen, angstfrei, mutmachend und manchmal auch einfach nur unterhaltsam. Ganz nach der Devise: “We are in deep shit, let´s make the best of it.”

Fotos: Markus Bäuchle; Am Atlantik in Irland