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John Moriarty 2006

John Moriarty. Irischer Philosoph, Schriftsteller, Mystiker (1938 – 2007). John mochte das Foto von Don MacMonagle aus dem Jahr 2006


“Wenn es keine Wildnis mehr um Dich herum gibt, passiert etwas Schreckliches mit der Wildheit in Dir –
und wenn die Wildheit in Dir stirbt, dann bist Du erledigt.”
John Moriarty

 

Teil 1 der neuen Irlandnews-Serie über John Moriarty
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Drei Tage vor dem St. Patricks Day 2019 begegnete ich an einem stillen Ort auf der Beara Peninsula einer Frau aus Irlands Westen. Ich recherchierte damals die Geschichte des irischen Schriftstellers, Poeten und Ex-Pfarrers John O’Donohue. Die Frau aus Connemara las in O’Donohues Buch Beauty und erregte so meine Aufmerksamkeit. Wir unterhielten uns bald über John O’Donohue und von ihr hörte ich erstmals den Namen John Moriarty. Ob ich den anderen John kennen würde, fragte sie. Nein, ich kannte ihn nicht. Sie hatte mein Interesse geweckt.

Seitdem sind fünf Jahre vergangen, die zehnteilige Serie über das Leben und Wirken von John O’Donohue ist hier in meinem Web-Magazin Irlandnews.com erschienen*, und ich habe seitdem John Moriarty, den Mann vom Mangerton, ein wenig kennen gelernt, der so viel mit O’Donohue gemein hatte und der sich doch elementar und grundlegend von jenem unterschied. John Moriarty (gesprochen Mori-Arti), der irische Philosoph, Schriftsteller, Poet und Mystiker aus dem County Kerry, den manche den Schamanen nannten, wies alle Ansprüche der Öffentlichkeit an ihn stets zurück. Er eignete sich nicht als Guru, er war zuerst der Erde und der Natur verpflichtet und dann der Zivilisation. Er war er selbst, er tat, was er sagte und was er für richtig befunden hatte. Während O’Donohue ein Natur-Romantiker blieb, war Moriarty der Philosoph der Wildnis und des Wilden in uns.

Wer mehr über John Moriartys Leben (2. Februar 1938 – 1. Juni 2007) erfahren will, sollte eigentlich Englisch sprechen. Zuverlässige Quellen berichten detailliert über das Leben des Denkers und Mythentauchers, der zutiefst davon überzeugt war, dass der Mensch nun inne halten muss, um seine Seele wieder zu finden, dass er das lineare Denken überwinden und das zyklische wieder lernen muss, dass er die Traumzeit und die Botschaft der großen Mythen neu entdecken und erfahren muss – damit die Menschheit eine Zukunft hat und überleben kann. Im Denken von Moriarty gibt es wie eine australische auch eine irische und eine europäische Traumzeit.

John Moriarty

John Moriarty: Junger Mann mit viel versprechender akademischer Karriere

Der in Moyvane, einem Dorf in Nord-Kerry in eine Bauernfamilie geborene John Stephen erkannte früh, dass die Menschheit auf der steil abschüssigen Straße der Zerstörung unterwegs war. 1971, im Alter von 33 Jahren, beendete er seine Bilderbuch-Karriere abrupt und kündigte seine Stelle als Jung-Professor für Philosophie in Manitoba, Kanada. Er kehrte nach Irland zurück und lebte fortan ein bescheidenes Leben als Gärtner in und mit der Natur in Toombeola in Connemara.

Moriarty verbrachte die Tage und viele Nächte draußen in den Bergen, in Wäldern, an alten Kultstätten, an Flüssen, am Meer; er saß stundenlang in Bäumen, meditierte in der Natur und an Energieorten, arbeitete als Gärtner, traf und verlor die Liebe seines Lebens, überstand schwere Krankheiten, und begann schließlich mit dem Schreiben. Im Jahr 1994 erschien sein erstes Buch, Dreamtime. Ein Jahr später zog John nach Coolies am Fuße des Mangerton südlich von Killarney. Von 1995 bis zu seinem Tod im Jahr 2007 schrieb und veröffentlichte er dort zehn weitere Bücher, darunter seine Autobiografie Nostos, die Trilogie Turtle Was Gone A Long Time und eine Beschreibung seines Heilungs-Projekts Slí na Fírinne.

Heute gilt der zu Lebzeiten selbst in Irland wenig bekannte Philosoph, Poet und Zeitdiagnostiker Moriarty als einer der interessantesten, bedeutendsten, wenn nicht einer der größten Denker Irlands. Seine Werke werden aufgrund ihrer Komplexität mit denen von James Joyce verglichen – mit Sicherheit sind sie nicht weniger leicht zu lesen.

Stehe in Schönheit auf dieser Erde

Erst langsam wurde manchem in Irland bewusst, wie weit Moriarty seiner Zeit voraus war, wie hellsichtig seine Einsichten waren, wie treffend und tief seine Diagnose der von der Natur und von sich selbst entfremdeten Menschheit und der Destruktivität der vermeintlichen Krone der Schöpfung. “Stand beautifully on the Earth”, mahnte uns Moriarty: Steht und geht in Schönheit auf dieser Erde – sanft, achtsam, rücksichtsvoll, schützend, friedlich, wild und frei. Mit einer universalen Kenntnis der menschlichen Mythen und Kulturen und mit einzigartigem Erfahrungswissen entwarf der Zeitreisende ein Gedankengebäude zu unserer Rettung und zur Heilung der Wunden der natürlichen Welt.

Heute bemühen sich Menschen, die John nahestanden oder den Wert seiner Arbeiten erkannt haben, das so reichhaltige wie komplexe Werk bekannter zu machen, zu interpretieren und zu erklären. Es liefert Antworten, die für uns Gegenwärtige und für unser Überleben von Bedeutung sein können – wenn wir zuhören und verstehen lernen. Die Auseinandersetzung mit Moriartys bis heute nur in Englisch publizierten Büchern findet bislang alleine in der englischsprachigen Welt statt. Es ist das Ziel dieser Artikel-Serie, den irischen Philosophen-Poeten-Mystiker nun auch Menschen im deutschen Sprachraum näher zu bringen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, scherzte ein Freund, der mir viel Glück dabei wünschte, einen Denker im deutschen Sprachraum bekannt zu machen, den selbst im englisch-irischen Kulturraum nur allzu wenige Menschen kennen und verstehen.

John Moriarty sagte gerne: „Die Fähigkeit zur Gewöhnlichkeit ist unsere letzte Heiligkeit“ – und so sah sein Alltag aus. In seinem schlichten Haus am Fuß der Berge Kerrys, zwischen Mangerton und Torc Mountain, mit Blick auf die sagenumwobenen Paps of Anu, lebte John Moriarty einfach und bescheiden. Seine Nichte Amanda Carmody beschreibt es so:

„John Moriarty lebte ein einfaches und gewöhnliches Leben. Er besaß nur wenige Dinge, vor allem seine Bücher, einige Zimmerpflanzen und ein paar heilige Gegenstände, die er auf dem Altar aufbewahrte. Er trug immer braune Ecco-Schuhe, Cordhosen und einen Pullover, meist in einem Rotton. Für draußen hatte er eine Wachsjacke und einen Schal, um dem Wetter zu trotzen. Er schrieb mit der Hand, während er auf einem abgenutzten Kaminsessel saß. Zwischen seinem kleinen Altar und dem offenen Kamin im Wohnzimmer wurden viele seiner Bücher erdacht und geschrieben.

Er schlief im Obergeschoss in einem kleinen Dachzimmer, und neben seinem Bett lagen ein paar Bücher der Mystiker, ein krummes Haselnusskreuz und ein Rosenkranz. Er hatte nur sehr wenige Möbel, keine Einbauküche und keine Schränke. Die Wände und Decken waren schlicht weiß, die Balken und Dielen aus warmem Kiefernholz.

John war ein Leben lang Vegetarier und versuchte immer, sich biologisch zu ernähren, wenn er konnte. Brei zum Frühstück und ein einfaches Abendessen, gelegentlich etwas Schwarzbrot und Marmelade. Ich glaube nicht, dass er Tee oder Kaffee trank, vielleicht selten.

Besuche waren nie langweilig, was man sah, war das, was man bekam. Es gab immer einen großartigen Empfang, und wenn man John fragte, wie es ihm ging, musste man bereit sein, sich die Antwort anzuhören, denn er würde es einem sagen. John war im Gegenzug ein aufmerksamer Zuhörer, ein großartiger Geschichtenerzähler; er konnte sehr witzig sein.

Wir sprachen oft über Träume oder er fragte mich nach meiner Meinung zu einer Idee oder einem Buchcover-Entwurf. Da John weder Auto fuhr noch ein Auto besaß, fuhr ich ihn manchmal nach Killarney, um Lebensmittel einzukaufen oder einen Arzttermin wahrzunehmen. Tatsächlich hielt John das Eingangstor geschlossen, Autos kamen nicht durch das Tor, damit Insekten, Schnecken, Flechten usw. keinen Schaden nehmen konnten.

Ich sagte einmal zu einer Bemerkung von ihm: “Widersprichst du dir nicht selbst, John?”, und er antwortete: “Ja, ich bin voller Widersprüche”, was mich sehr beruhigte. John wollte nie etwas anderes sein als er selbst. Er lebte, so gut er konnte, und seine Aufgabe war es, zu schreiben und Vorträge zu halten. Manchmal sprach er vor einem vollen Saal, ein anderes Mal vor einem halben Dutzend Menschen. In jedem Fall hielt er seinen Vortrag mit der gleichen Aufmerksamkeit und Leidenschaft.

Gelegentlich ärgerte er sich über etwas, zum Beispiel über eine alte Eiche, die in Killarney gefällt wurde, um in der Nähe des Kinos einen Parkplatz zu schaffen, was ihm sehr zu schaffen machte.”

 

John Moriarty House Kerry

John Moriartys Haus bei Muckross am Fuß der Kerry-Berge

 


Zuverlässige Informationen über John Moriarty und sein Werk in englischer Sprache finden Sie hier:
* The John Moriarty Institute for Ecology and Spirituality: Das JMI widmet sich der Bekanntmachung von Leben und Werk des Philosophen und unterstützt die ökologischen und spirituellen Anliegen John Moriartys. Die Insituts-Website ist eine reiche Quelle für Texte, Fotos und Videos von und über John. Zur Website: Klick.
* Das JMI betreibt auch eine sehr aktive Facebook-Gruppe mit täglichen Beiträgen zu John Moriarty. Weil es der guten Sache dient, ganz ausnahmsweise ein Link von Irlandnews zur Facebook-Gruppe. Klick.
* The Lilliput Press: Die Bücher von John Moriarty (bislang allesamt in englischer Sprache) werden von dem irischen Verlag The Lilliput Press in Dublin verlegt. Auf der Verlags-Website bekommt man einen guten Überblick auf John´s Bücher und Audio-Bücher. Zur Website: Klick.


 

John Moriarty starb am 1. Juni 2007 daheim in Coolies nach schwerer Krankheit. Eileen Moore, die Liebe seines Lebens, war zu ihm zurück gekehrt und hatte ihn auf seinem letzten Lebensabschnitt begleitet. John wurde hoch über Killarney’s Lough Leane auf dem Friedhof von Aghadoe begraben. Auf seinem schlichten Grabstein stehen diese drei Begriffe. Sie sind sein Vermächtnis in Kurzform:

Mitakuye oyasin: Der Begriff aus der Sprache der Lakota bedeutet „Wir sind alle miteinander verwandt“, oder „Wir sind alle miteinander verbunden“, auch: „Wir sind alle eins“.

Stand beautifully on the earth: Stehe in Schönheit auf dieser Erde. Schön bedeutet hier gleichzeitig in Anmut, Würde, Achtsamkeit, rücksichts- und respektvoll.

Ar shlí na fírinne: Ein alter irischer Begriff für den Tod und den Weg zur Unsterblichkeit, wörtlich: auf dem Weg der Wahrheit. John Moriarty plante die Gründung einer klösterlichen Hedge School für Erwachsene. Der in Form einer Blüte entworfene Retreat-Ort für bis zu 12 Menschen sollte die Keimzelle der Erneuerung eines freien christlichen Glaubens werden. John begab sich auf den Weg der Wahrheit, bevor das Projekt in den Bergen von Süd-Kerry beginnen konnte.

16 Jahre nach John Moriartys Tod besuchte ich kurz vor Weihnachten seinen Ort am Mangerton und fand das abseits gelegene Haus. Ich wollte sehen, wo und wie der Mann gelebt hatte, was er gesehen hatte, wenn er aus der Tür hinaus in seinen Naturgarten mit den selber gepflanzten Bäumen trat. Es war noch alles so, wie er es verlassen und wie Amanda es beschrieben hatte: Das Tor geschlossen, die Auffahrt zum Haus unberührt, mit Gras bewachsen. Bäume, Wiese, große uralte Steine – ein beseelter Ort, darauf ein schlichtes Haus ohne Anstrich.

Am Silvesternachmittag verspürte ich Unruhe und die Notwendigkeit, noch im alten Jahr eine lange schon wartende Aufgabe zu erledigen: Den Platz zu finden, an dem John Moriarty die Hedge School Slí na Fírinne, den Retreat-Ort in den Bergen zwischen Kilgarvan und Gougane Barra, gründen wollte. Ich war vor mehr als zwei Jahren schon einmal im Townland von Cummeen Upper unterwegs gewesen – erst jetzt, am letzten Tag des Jahres 2023 sollte ich das 23 Acre große Stück Land in den einsamen Bergen Kerrys nahe der Grenze zu West Cork finden. Hier hatte John Moriarty vor zwei Jahrzehnten ein großes Stück Land gekauft. Bei Eintritt der Dämmerung traf ich Farmer Patsy, den Mann, der mir den Weg hinunter durch das Clover Field zeigte.



Fortsetzung folgt

John Moriarty Grab


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Fotos: Fotos John Moriarty mit freundlicher Genehmigung von The John Moriarty Institute.
Fotos Haus und Grab: Markus Bäuchle 

* Die zehnteilige Serie über den irischen Schriftsteller, Philosophen und Ex-Pfarrer John O’Donohue (Anam Cara) ist hier kostenlos zugänglich: Klick

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