Heute mal wieder ein Lese-Tipp: Der Schriftsteller Hansjörg Schertenleib hat ein lesenswertes erzählerisches Buch über einen Mann geschrieben, der im Jahr 1996 im Alter von 40 Jahren nach Donegal in den Norden Irlands auswandert: Schule der Winde. Der Mann aus der Schweiz fängt in Irland neu an. Nicht weil sein bisheriges Leben gescheitert wäre. Er sucht nach einem anderen Leben. Er zieht aus der Enge der alten Heimat in die wilde weite Landschaft Donegals. Er lebt in einem alten Schulhaus und lässt sich tief auf Land, Landschaft, Natur, Haus und Leute ein. Das Buch wurde mit den Begriffen Männerbuch oder Sehnsuchtsbuch etikettiert. Es wird als Roman verkauft, entzieht sich der Struktur eines Romans allerdings völlig.
Hansjörg Schertenleib ist ein großartiger Erzähler. In Schule der Winde montiert und verwebt er viele kleine Geschichten zu einer großen Ganzen. Der Schweizer Schertenleib wanderte 1996 nach Irland aus, lebte 20 Jahre in Donegal und erwarb die irische Staatsbürgerschaft. In der Schule der Winde fiktionalisiert er die prägenden Erfahrungen seiner Irland-Zeit.
Mir bereitete dieses Buch (Kampa 2023, 22€) viel Freude, zumal mir die Lebensumstände, Motive und Beweggründe des Autors aufgrund der eigenen Biografie vertraut sind. Hier einer der vielen inspirierenden Gedanken aus Schule der Winde – einer über das Auswandern und das Bleiben:
“Diejenigen, die zurückbleiben, haben den Hang, denen, die es gewagt haben, wegzugehen und Brücken abzubrechen, in Diskussionen zu verwickeln, die sich wie Verhöre anfühlen und in Vorwürfe gipfeln: Du rennst vor Problemen weg! Versteckst dich in deinem Paradies!
Diejenigen, die es gewagt haben, wegzugehen, haben den Hang, den neuen Ort, ihr neues Leben über die Maßen zu loben, zu verklären. Um den Neid derjenigen zu wecken, die zurückgeblieben sind?”
So mag es sein. Zumindest in den aufregenden Anfangsjahren in der neuen Heimat. Wenn die Projektionen allmählich den Einsichten und Erkenntnissen weichen, kollidiert das gewonnene Wissen zunehmend mit den touristischen Projektionen des früheren Selbst und mit den grün bebrillten Urlauberphantasien. Im Namen der Deutungshoheit weicht die Verklärung ein Stück weit der Offenbarung.
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Fotos: Alte Schule auf der Beara Halbinsel, Markus Bäuchle; Buchcover by Kampa
Was ist innen, was ist aussen? Das Aussen ändert sich, wenn man umzieht, dass Innen nimmt man mit. Es ist aber eine Chance, zu erkennen was in eimen steckt, oder auch nicht.
Vielen Dank für die Buchvorstellung, lieber Markus, ich hab’s bestellt und bin sehr gespannt.
Donegal habe ich einige Male bereist und freue mich auf die Landschaftsbeschreibungen des Autors, der dort viel Zeit verbringen konnte. Verstehen kann ich den Ansatz von Hansjörg Schertenlieb, dass es ihn aus der Enge der alten Heimat in die wilde und weite Landschaft Donegals zieht. Und ja, viele Menschen träumen nach einer Reise / einem Urlaub von einem Leben in einem anderen Land, wo vieles anders (besser?) ist? Natürlich meistens nicht. Aber immerhin anders.
Ich ziehe den Hut vor Menschen (habe drei gute Freund*Innen, die innerhalb Europas umgezogen sind), die den Mut aufbringen, eine Veränderung einzugehen. Ich bin fest der Meinung, dass dies kein “Weglaufen” vor Problemen sein muß oder ist, vielmehr eine Stärke. Offen zu sein für Veränderungen, um möglicherweise kein besseres, aber anderes Leben zu finden.
Klar, diese Beherztheit weckt manches Mal Neid. Viele Menschen wünschen, hoffen, oder jammern, wagen aber keinen Schritt in das Neue, Unbekannte (was natürlich auch nicht immer möglich ist)…