Bergschafe in West Cork

 

Komm, gehen wir Schafe schauen in den Bergen: Irland gilt als Land der Schafe. Besucher sind immer wieder verwundert, wie die Bergbauern im Südwesten der Insel die frei laufenden Tiere in den weiten irischen Gebirgen hüten und an der Auswilderung hindern können. Die Antwort ist einfach: Naütrlich gibt es Verluste, natürlich kommen den Bauern jedes Jahr Schafe abhanden, doch prinzipiell gilt: Schafe folgen dem Nahrungsangebot, sind an der Freiheit nicht interessiert und lassen sich von den Bauern mithilfe von Hunden leicht lenken. Die Border Collies sind quasi die Fernbedienungen des Bauern, mit denen er die Schafe in die gewünschte Richtung steuert.

 

Lamm und Mutterschaf. Foto: Heiko Koring

 

Irlands Bergschafe folgen ihren Eigentümern mit dem Futterkessel wie treue Hündchen auf Schritt und Tritt. Fremden gegenüber wahren sie einen Sicherheitsabstand von einigen Metern, doch sind sie andererseits neugierig genug, sich auch einem unbekannten, still stehenden oder sitzenden Betrachter bis auf wenige Zentimeter zu nähern. Wer´s ausprobieren will: Auf der Wiese still sitzen, nichts tun, Schafe zählen, warten. Früher oder später traut sich das erste Tier und nähert sich, zumal dann, wenn man sich auf leckerem grünen Gras niedergelassen hat. Das Foto entstand vor einigen Tagen in den Caha-Bergen: Auge in Auge mit dem Schaf.

 

Schafe in Irland

Schau mir in die Augen, Schaf.

 

Der alte Zoologe Alfred Brehm hat über zahme Schafe in seinem “Tierleben” in den 60-er Jahren des 19. Jahrhunderts wenig anerkennend geschrieben:

“Mehr als bei anderen Hausthieren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Renthieres, sieht man an den Schafen, wie die Sklaverei entartet. Das zahme Schaf ist nur noch ein Schatten von dem wilden. Die Ziege bewahrt sich bis zu einem gewissen Grade auch in der Gefangenschaft ihre Selbständigkeit: das Schaf wird im Dienste des Menschen ein willenloser Knecht. Alle Lebhaftigkeit und Schnelligkeit, das gewandte, behende Wesen, die Kletterkünste, das kluge Erkennen und Meiden oder Abwehren der Gefahr, der Muth und die Kampflust, welche die wilden Schafe zeigen, gehen bei den zahmen unter; sie sind eigentlich das gerade Gegentheil von ihren freilebenden Brüdern.

Diese erinnern noch vielfach an die munteren, klugen, geweckten und übermüthigen Ziegen: denn sie stehen ihnen in den meisten Eigenschaften und Fertigkeiten gleich und haben denselben regen Geist, dasselbe lebhafte Wesen; die zahmen sind unausstehliche Geschöpfe und können wahrhaftig nur den Landwirt begeistern, welcher aus dem werthvollen Vliese guten Gewinn zieht. Charakterlosigkeit ohne Gleichen spricht sich in ihrem Wesen und Gebaren aus. Der stärkste Widder weicht feig dem kleinsten Hunde; ein unbedeutendes Thier kann eine ganze Herde erschrecken; blindlings folgt die Masse einem Führer, gleichviel ob derselbe ein erwählter ist oder bloß zufällig das Amt eines solchen bekleidet, stürzt sich ihm nach in augenscheinliche Gefahr, springt hinter ihm in die tobenden Fluten, obgleich es ersichtlich ist, daß alle, welche den Satz wagten, zu Grunde gehen müssen.

Kein Thier läßt sich leichter hüten, leichter bemeistern als das zahme Schaf; es scheint sich zu freuen, wenn ein anderes Geschöpf ihm die Last abnimmt, für das eigene Beste sorgen zu müssen. Daß solche Geschöpfe gutmüthig, sanft, friedlich, harmlos sind, darf uns nicht wundern; in der Dummheit begründet sich ihr geistiges Wesen, und gerade deshalb ist das Lamm nicht eben ein glücklich gewähltes Sinnbild für tugendreiche Menschen. In den südlichen Ländern, wo die Schafe mehr sich überlassen sind als bei uns, bilden sich ihre geistigen Fähigkeiten anders aus, und sie erscheinen selbständiger, kühner und muthiger als hier zu Lande.”

Irlands Bergschafe, das darf gesagt werden, hätten Brehm gefallen.

Fotos: Heiko Koring (Mitte) © Markus Bäuchle / Wanderlust (2)