Anne-Marie O’Farrell auf irlandnews.com

Anne-Marie O’Farrell: Die Musikerin betreut als Assistenz-Pastorin zwei Gemeinden der Church of Ireland in Dublin

Mutter, Musikerin und Priesterin – Anne-Marie O’Farrell vereint Rollen in sich, die in dieser Kombination selten sind. Entschlossenheit und Zielstrebigkeit halfen ihr auf ihrem langen Weg, alle Hindernisse zu überwinden und am Ende ihren inneren Frieden zu finden. Ihre interessante Lebensgeschichte erzählte sie Irlandnews-Autor Dirk Huck.

Stille legt sich über die versammelten Kirchgänger in der Christ Church Kathedrale in Dublin. Der ökumenische Gottesdienst an diesem Donnerstagabend ist all denen gewidmet, denen die Rezession in Irland eine schwere Zeit beschert. Andächtig lauschen die Versammelten den Klängen einer einsamen Harfe. Es ist eine Variation des uralten Kirchenliedes „Deus Meus Adiuva Me“, der Ruf zu Gott um Hilfe in schwerer Zeit. Es spielt die bekannte irische Musikerin Anne-Marie O’Farrell. Hochkonzentriert, die rechte Wange nah am Instrument, führt sie ihre Finger über die Saiten. Sie trägt ein dunkelrotes Kostüm. Dazu ein schwarzes Hemd, an dessen Kragen das weiße Stück eines Kollars, wie es Angehörige des Klerus tragen, deutlich sichtbar ist.

Musikerin, Priesterin und Mutter – die gebürtige Dublinerin Anne-Marie O’Farrell vereint Rollen in sich, die in dieser Kombination selten sind. Besonders vor dem Hintergrund der in Irland nach wie vor dominanten katholischen Kirche, die Frauen die Priesterweihe verwehrt. Die schlanke, brünette Mittvierzigerin musste einen langen Weg gehen und viele Hindernisse überwinden, um ihre Ziele zu erreichen.

Nach dem Gottesdienst blickt Anne-Marie zurück. Bevor die Mutter zweier Kinder nach Hause muss, bleibt Zeit für eine Tasse Tee im Foyer des Jury Inn Hotels. Draußen, auf der anderen Straßenseite, liegt die mächtige Christ Church Kathedrale von Dunkelheit umhüllt.

„Bei uns war immer Musik im Haus.“
„Bei uns war immer Musik im Haus“, antwortet sie lachend auf die Frage, wann und wo ihre Leidenschaft für Musik entfacht wurde. Die Mutter spielte Klavier und interessierte sich für klassische Musik. Die fünf Kinder, drei Jungen und zwei Mädchen, lernten singen und erhielten Klavierunterricht. Die vier Ältesten sind heute Geschäftsleute, Anwältin und Chirurg. Nur in der Jüngsten, in Anne-Marie, sollte das von der Mutter gepflanzte Samenkorn der Musik aufgehen.

Mit neun Jahren beginnt Anne-Marie, sich für die Harfe zu interessieren. Das Instrument, dessen Symbol das Wappen von Irland ziert, wird der Kern ihrer musikalischen Ausbildung. Als Teenagerin durchläuft sie das DIT College of Music in Dublin. Nach ihrem Schulabschluss studiert sie am University College in Dublin Musik und Deutsch. Später führt sie ihr Studium der Musik fort und verlässt 1999 die renommierte National University of Ireland in Maynooth mit einem Magister Artium in Komposition.

Heute ist sie erfolgreiche Musikerin und Komponistin. Sie spielt regelmäßig auf Festivals und in Konzerten. Sie schrieb viele klassische Stücke für die irische Harfe um und entwickelte neue Techniken für das Harfenspiel. Gelegentlich spielt sie auf Empfängen und Zeremonien. So spielte sie zum Beispiel 2003 auf der Hochzeitsfeier von Ryanair-Chef Michael O’Leary. Sie tourte durch Europa, spielte u. a. mit der legendären irischen Gruppe „The Chieftains“ und veröffentlichte zahlreiche CDs. Darüber hinaus berät sie den Harfen-Hersteller Salvi und unterrichtet an diversen Musikhochschulen.

Von all diesen Errungenschaften ihrer musikalischen Laufbahn erzählt sie in aller Bescheidenheit. Aus ihren intelligenten Augen spricht die Leidenschaft für Musik und besonders die Harfe. Und so wie ihre Leidenschaft für Musik war auch ihr Glaube an Gott von Anfang an tief verwurzelt.

„Ich wuchs in einer römisch-katholischen Familie auf.“
„Ich wuchs in einer römisch-katholischen Familie auf“, erzählt sie. Sie spricht nun etwas langsamer, nachdenklicher, die Worte sorgsam wählend. Über den Glauben spricht es sich nicht so einfach und offen, wie über Musik.

Bereits als Kind spielt sie mit dem Gedanken an ein religiöses Leben. Die fünf Jahre der Sekundarstufe bis zum Schulabschluss verbringt sie in der Klosterschule des katholischen Loreto-Ordens in Dublin. „Heute hört man schreckliche Geschichte über das, was mit Kindern in der Obhut der katholischen Kirche geschah”, sagt die nachdenklich. „Ich hatte jedoch das Glück, viel Zuwendung, Unterstützung und Ermutigung durch die Lehrer und die Gemeinde erfahren zu haben.“

Sie erlebt die Schule als sehr stimulierend und nährend für ihren Glauben. Die Nonnen mit ihrer Hingabe zum religiösen Leben werden ihre Vorbilder. Doch ihr innigster Wunsch ist es, Priesterin zu werden. Obwohl sie weiß, dass dies im Kontext der katholischen Kirche nicht möglich ist.

Lange ringt sie mit sich. Nach ihrem Studium am UCD, mit Mitte zwanzig, verabschiedet sie sich schweren Herzens von ihrem Wunsch. Stattdessen tritt sie dem Loreto-Orden als Novizin bei, in Vorbereitung auf ein Leben als Nonne. Ein Jahr hält sie durch. „Vielleicht musste ich es einfach ausprobieren“, sagt sie rückblickend, „um herauszufinden, dass es nicht das Richtige für mich war.“

Nach ihrem Austritt aus dem Kloster legt Anne-Marie den Gedanken an ein religiöses Leben vorerst beiseite. Sie konzentriert sich auf ihre musikalische Laufbahn. Sie heiratet und bringt zwei Kinder zur Welt.

Eine neue Glaubens-Heimat in der Church of Ireland
Doch ihr Wunsch nach einem spirituell erfüllten Leben bleibt. Sie besucht die Gottesdienste der anglikanischen Church of Ireland, und stellt überrascht fest: „Ich fühlte mich dort wohl. Ich konnte zu dem, was gepredigt wurde, Amen sagen.“ Gleichzeitig setzt sie sich mit einigen Aspekten des römisch-katholischen Glaubens zunehmend kritisch auseinander. Die während der Reformationszeit gegründete anglikanische Kirche präsentiert sich ihr wesentlich weltoffener und fortschrittlicher. Mehr noch: Auch die Ordination von Frauen zu Priesterinnen ist möglich. Eine Tür öffnet sich für Anne-Marie.

Anfang 2000, kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes, erkrankt Anne-Marie und muss operiert werden. Die Quelle ihrer Kraft zur Genesung sieht sie auch in ihrem tiefen Glauben an Gott. „Es war, als ließ mich Gott seine Liebe spüren“, sagt sie mit innerer Überzeugung. Ihr tiefer Glaube an Gott und an das Christentum blüht wieder auf. Mit dem Abstand der Jahre bewertet sie auch ihre Zeit bei den Nonnen im Loreto-Orden neu. Und mit dem wiedergefundenen Glauben kehrt auch ihr innigster Wunsch nach einer tragenden Rolle in der Kirche zurück.

Anne-Marie trifft ihre nächste wichtige Entscheidung: Sie beginnt ihre langwierige theologische Ausbildung. 2009 schließlich erfüllt sich ihr so lange gehegter innigster Wunsch: Sie wird zur Priesterin geweiht.

Ihre Leidenschaft für die Harfe entdeckte Anne-Marie im Alter von 9 Jahren.

Zwischen Partitur und Bibel – „Ich mache vieles in Teilzeit nebenbei“Zwischen Partitur und Bibel – „Ich mache vieles in Teilzeit nebenbei“
Heute betreut sie als Assistenz-Pastorin in Teilzeit und auf freiwilliger Basis zwei Gemeinden der Church of Ireland in Dublin. Sie führt pastorale Hausbesuche durch, ein oder zwei Mal im Monat hält sie den Gottesdienst ab. Ihre Arbeit für die Kirche lässt sich gut mit ihren musikalischen Aktivitäten verbinden. Manchmal überlappen sich die beiden Tätigkeiten, so dass sie wie heute Abend in einem Gottesdienst die Harfe spielt.

Auf Tour geht sie heute nicht mehr so häufig. Schließlich wollen zwei Teenager großgezogen werden. Doch sie ist emsig wie eh und je. Derzeit arbeitet sie an einer neuen CD, und zudem an ihrer Doktorarbeit in Komposition. „Ich mache vieles in Teilzeit nebenbei“, lacht sie. Gelegentlich arbeitet sie mit der bekannten irischen Geschichtenerzählerin Nuala Hayes zusammen und erforscht mit ihr die Mystik alter irischer Sagen und Legenden. „Es macht viel Spaß, mit ihr zu arbeiten“, sagt Nuala über Anne-Marie. „Was sie in Angriff nimmt, macht sie mit Hingabe und Entschlossenheit.“

Entschlossenheit und Zielstrebigkeit haben Anne-Marie O’Farrell geholfen, all ihre Ziele zu erreichen. Heute ist sie Mutter, vielseitige und erfolgreiche Musikerin und zudem Priesterin der anglikanischen Church of Ireland. Sie führt zugleich ein weltliches und ein spirituell erfülltes Leben. Man merkt ihr an: Sie hat ihren inneren Frieden gefunden.
Es ist spät geworden. Anne-Marie erhebt sich zur Verabschiedung. „Ich muss nach Hause“, sagt sie freundlich lächelnd, „und kontrollieren, ob alle Schulsachen gepackt und Zähne geputzt sind.“ Beim Zuknöpfen ihres Mantels verschwindet der auffällige Halskragen der Priesterin. Dann tritt die Mutter zweier Kinder in die Dunkelheit hinaus und macht sich auf den Weg nach Hause.

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