Über die Iren ist Vieles gesagt worden. Nehmen wir einfach einmal an, es gäbe so etwas wie einen nationalen Charakter, eine kollektive grüne Wesensart. Da wird an vorderster Stelle behauptet, die Iren seien ein besonders rebellisches und aufsässiges Volk. Wer sich in den vergangenen zehn oder 15 Jahren unter Iren aufgehalten hat, fragt sich, wie das mit dem Musterschüler-Image zusammenpasst, das sich Paddy und Mary dank höchster Anpassungsleistung an die massiven Forderungen von Finanz-Europa und EU erdient haben. Oder es wird geflüstert, die Iren seien ein besonders spirituelles Volk, sie stünden mit dem Göttlichen auf Du und Du. Da wird vielleicht spirituell mit Spiritus verwechselt. Doch darüber ein andermal.
Sigmund Freud
Sigmund Freud und die Iren: Vor ein paar Tagen kreuzte eine besonders hartnäckige Behauptung über das Wesen der Iren wieder einmal meinen Gedankenweg. Ein Freund erzählte von einem Film, in dem es heißt, die Iren seien laut Sigmund Freud das einzige Volk, dem durch Psychoanalyse nicht zu helfen sei. Sie seien voller Widersprüche und immun gegen rationale Denkprozesse. Abgesehen davon, dass sich Freud auch in profunderen Dingen („It´s all about sex“) gewaltig irrte: Jetzt wollte ich wissen, wie der Seelenversteher aus dem letzten Jahrhundert die Menschen von der Insel wirklich charakterisierte. Hatte seine Tochter Anna ihm vielleicht entscheidende Hinweise auf das Seelenleben der Insulaner vermittelt? Immerhin hielt sie sich längere Zeit in Baltimore im Süden der Insel auf . . .
Ich erinnerte mich, dass auch der schreibende Kollege Ralf Sotscheck dieses Freud zugeschriebene Zitat in seinen Büchern über das komische Volk der Iren gerne verwendet und seit 16 Jahren genüsslich verbreitet. Eine Nachfrage bei Ralf ergab, dass er sich nach fast zwei Jahrzehnten an die Quelle nicht mehr erinnern kann, aus der er damals geschöpft hat. Sotscheck formuliert deshalb einfach vorsichtiger: „Die Freud zugeschriebene Behauptung . . . “ . So blieb mir nur übrig, quer durch die Gesammelten Werke Sigmund Freuds zu lesen, um endlich Klarheit zu finden – was im Digitalen Zeitalter gar nicht so schwer ist. Die Werke des Mit-Schöpfers der Psychoanalyse sind online komfortabel durchsuchbar. Ergebnis: Freud erwähnt zwar Irland, irisch oder die Iren ein paar Mal, aber dabei geht es etwa um den Witz und seine Beziehung zum Unbewussten oder um die Vokabel emp-irisch. Also: Fehlanzeige. Dem guten alten Sigismund wurde schlicht ein Kuckucksei untergejubelt.
Was bei der Recherche noch heraus kam: Auch eine Wissenschaftlerin von der University Limerick und ein Online-Journalist aus der Schweiz, sind der Spur des Freudschen Versprechers bereits gefolgt. Der Redaktor Roman Rey jedenfalls hat beim Sigmund-Freund-Museum in Wien nachgefragt und bekam ebenfalls die Auskunft: Freud hat das mit den Iren und der Therapie-Resistenz nie behauptet.
Nun bleiben zwei Fragen offen:
Was hat den Drehbuchschreiber des Oscar-gekrönten Films The Departed (Unter Feinden) von Martin Scorsese dazu veranlasst, einem Filmcharakter genau dieses, zwar originelle, aber doch erfundene Freud-Zitat unterzujubeln? Und: Hätte Freud, wenn er denn behauptet hätte, den Iren sei durch Psychotherapie nicht zu helfen, nicht vielleicht Recht gehabt?
* „ein word das nie gesproch ward“ – c.g. jung (das rote buch) / ed021115
Das Will einfach Sagen, dass Herr Freud sein Psychoanalyse nur an den Privelegierten erprobt und so seine Schlüsse gezogen hat… und dass seine Gedanken noch viele Lücken aufweisen könnten bzw. dass wir die unergründliche Psyche des Menschen noch nicht ergründet…noch die destruktiven Machenschaften des Menschen noch nicht verstehen können als Menschen…vielleicht die Metapher des Iren(die Unterdrückten)
(weil sie(die Anderen) die Unterdrücker und Ausbeuter vielleicht für alle stehen, die seit dem elisabethanischen Zeitalter….
Was mir noch zur „Seele der Iren“ einfällt: Gibst du einem Iren viel Geld, dann passiert genau das Gleiche wie wenn man einem Gremlin Wasser gibt, er dreht völlig durch! Aber mal ’ne Frage: warum wird denn so oft über die Seele der Iren geredet? Über ihre Befindlichkeiten, Unzulänglichkeiten etc. Als wäre es eine geschützte Spezies bei der am Ende immer nur gutes rauskommt. Reden wir doch mal über uns Deutsche. Ich war zehn Jahre weg und bin seit drei Jahren wieder hier. Bin immerwieder überascht darüber, wie gleichgültig, egozentrisch und materiell die Leute geworden sind. Kein Schwein interessiert’s wie es dem anderen geht. Immer nur ich, ich und nochmal ich. Unterhält man sich mit jemandem, wird er dir eine halbe Stunde lang erzählen, wie toll er ist und was er schon alles gemacht hat. Nicht einmal fragt er, wie’s dir geht. Einfach nur desinteressiert. Die Deutschen: eine Konsumgesellschaft aug Egotrip. Das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass ich mit der Zeit genauso werde. Ich will mich da garnicht rausnehmen. Obwohl es uns Deutschen noch im Vergleich zu anderen Ländern supergut geht, sind wir völlig unzufrieden. Woran liegt das? Die Seele der Deutschen …
Ich teile Deine Beobachtung aus der Ferne. Wir sind eine Gesellschaft von abgestumpften entsolidarisierten und wachstumsbesessenen Konsum-Heinzen geworden. Die innere Natur (=Seele) ist genauso verheert wie die äußere Natur zerstört ist – Natur, verkommen zu profitsteigerndem Kapital, die „Entwicklung“ und „Fortschritt“ und „Wachstum“ liefern muss und keinerlei Respekt verdient. Dieser fehlende Respekt spiegelt sich dann wiederum im Verhältnis der Menschen zueinander . . .
Die Leute habe jegliche Form der Gelassenheit verloren. Sie befürchten z.B., dass ihnen was weggenommen wird oder dass sie über den Tisch gezogen werden. Oder als bebekannt wurde, dass ein Hotel hier im Ort nur noch an Flüchtlinge vermietet, wollten einige nicht mehr abends allein mit ihrem Hund im Park spazieren gehen. Am deutlichsten sieht man den Trend der Entsolidarisierung im Straßenverkehr …
Zum Thema „rebellisches und aufsässiges Volk“: ein Ire sagte diesbezüglich mal (Zitat) „All the Paddys went abroad. Marys rule the country!“ (Alle Paddys sind ins Ausland. Die Marys regieren das Land!) Rebellisch und aufsässig? Wenn es ums Hurling, Gaelic Football oder Rugby geht, ja. Ansonsten, eher nicht. Natürlich sind die Iren humorvoller als die Deutschen. Oberflächlich gesehen sie sie auch lockerer. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit, die beiden, wenn nicht sogar allen Völkern früher oder später das „charakterliche Genick“ bricht: der Wohlstand. Der Celtic Tiger hat aus den Iren geldgierige Säcke gemacht, die Geld ausgegeben haben, das ihnen nicht gehörte, damit sie sich Dinge kaufen konnten, die sie nicht brauchten, um Leuten zu imponieren, die sie nicht mochten. Mehr oder weniger genauso wie bei uns in Deutschland. Nur im Unterschied zu Deutschland glaubten die Iren, dass sie die Schulden, die sie gemacht hatten nicht zurückbezahlen müssten. Dass man sie aus den Häusern, die ihnen garnicht gehörten, niemals rauswerfen würde, sofern sie die Hypothek nicht mehr würden bezahlen können. Tja, auch das hat sich geändert wie so vieles. Jetzt jammern sie rum, weil sie wieder genau da gelandet sind wo sie vorher waren: in der Armut. Früher war es jedoch besser, da waren sie nur arm. Jetzt sind sie arm und verschuldet.
Ich gebe Jürgen K. in gewisser Weise Recht: Für eine gewisse Zeit lebten die Iren ihren Traum. Der ist seit spätestens 2008 ausgeträumt. Damit kommen sie nur sehr schwer zurecht, denn was sollen sie jetzt noch machen, wo selbst die Pubs reihenweise schließen. Selbst das gemeinsame Besäufniss findet nicht mehr so statt wie früher. Es sind wirklich harte Zeiten angebrochenn …
Nur am Rande: ein großer Teil der Menschen, die ich kenne, sind überhaupt nicht therapierbar. Zum Beispiel mein deutscher Vater, der schwer traumatisiert als 12 Jähriger das Kriegsende an der Front überlebt hat und sicherlich eine ordentliche Therapie benötigt hätte. Stattdessen „flüchtete“ er in die Musik und diverse andere Annehmlichkeiten…jede innere Verquerung sucht und findet einen Weg ins Äußere, ob durch den rationell analytischen oder durch den emotional und eher unbewussten Kanal. Den Zugang zu einer „fremden“ Kultur schafft man laut C.G.Jung am besten, in dem man sich mit den jeweiligen und verbindenden Analogien beschäftigt. Und die irische Kultur steckt voller Bilder und Weisheiten, denen man sich auch auf der psychoanalytischen Ebene nähern kann…
Bestes
Patrick
Ich habe den Spruch hier etwas volkstümlicher ausgedrückt aus einem Programm des 2011 verstorbenen Noel Cummins von der Irish Actors Theatre Company, der, nach eigener Aussage Freud zitierend, sagte:
„The Irish are the only race who cannot be psychoanalysed. They are too ready to invent dreams or contrive lives more interesting than the truth.“
Die Iren sind die einzige Rasse, die nicht psychoanalysiert werden kann. Sie sind zu sehr bereit Träume zu erfinden oder sich Leben auszudenken, die interessanter als die Wahrheit sind.
Sláinte is beannachtaí
Jürgen K.
Herrlich!
Ich bin etwas irritiert, wie in einigen Beiträgen und Kommentaren über „die“ Iren referiert wird.
Abgesehen davon, dass die beschriebenen Erfahrungen und Beobachtungen jeder in jedem anderen Land in ähnlicher Form machen kann, halte ich eine solch pauschale Einordnung einer Bevölkerungsgruppe für bedenklich.
„Rassismus ist eine bis heute wirkende Haltung und Ideologie, welche auf soziale,
politische und ökologische Ungleichheiten in der Bevölkerung hinweist. Die eigene Rasse
wird als überlegen empfunden, während gewisse andere kulturelle oder gesellschaftliche
Gruppen als minderwertig (z. B. als dumm, schmutzig, faul oder unehrlich) zu gelten
haben.“ (Psychologiearbeit von David Lüscher & Nino Bommeli zum Thema Rassismus)
Ich will hier definitiv niemandem Rassismus unterstellen. Leider gibt es aber in Europa einen starken Trend zum Nationalismus (und schlimmeres), der auch in Deutschland wieder unschöne Erscheinungen hervorruft.
Eine im ersten Anschein nicht negativ gemeinte Darstellung eines spezifischen Verhaltens bestimmter Bevölkerungsgruppen, Nationalitäten… führt zwangsläufig zu Vorurteilen. Vorurteile halte ich für durchaus sinnvoll, da sie uns das Überleben in unbekannten Situationen erst ermöglicht. Sie bergen allerdings eine sehr große Gefahr, wenn sie nicht mehr hinterfragt werden.
Wir haben positiv besetzte Vorurteile über „die“ Iren in dem Bewusstsein, dass wir nur als Touristen kommen und gesellschaftliche, familiäre, dörflich Konflikte wie in jedem anderen Land vorhanden sind.
In diesem Sinne: wir sind alle nur Menschen mit den gleichen Schwächen…
Dieter, ich weiß nicht, wo du Rassismus oder Diskriminierung siehst. Aber du bestätigst ein Vorurteil, das die Iren über Deutsche haben: viel zu ernst und nicht den geringsten Sinn für Humor.
Sagt ein Ire zu einem Deutschen. Howya doin? Sagt der Deutsche, Angesichts der Weltlage geht es mir recht gut. Nur mein Kopf brummt noch, weil ich gestern im Pub versucht habe, den Unterschied zwischen deutschem und irischem Bier zu erklären und keiner hörte zu. Aber ich muss mich jetzt beeilen, muss noch meine Steuererklärung machen.
Brummelt der Ire: too much information.effin germans.
Sagt ein Ire zum Iren: Howya doin? Sagt der andere Ire: I’m grand. Lovely day, innit?
Geschichtchen über Iren schreiben ist die Aufgabe von Schreibern und erklärt mehr über die Menschen und das Zusammenleben hier in Irland als sozio-politische Analysen.
Wir sind alle gleich und haben die gleichen Schwächen? Nein, haben wir nicht. Auch als Nation nicht. Die Unterschiede herauszufinden und zu akzeptieren, ja vielleicht sogar als Bereicherung zu empfinden, ist der wahre Weg zur Völkerverständigung.
Die Augen zu verschließen und bei jeder Anmerkung zu Unterschieden Rassismus zu schreien, ist negativer Rassismus und lässt tief in die Geisteshaltung des Schreiers blicken.
In Irland würdest du übrigens mit deiner Argumentation auf schallendes Gelächter treffen. Aber erst, wenn du deinen Abgang gemacht hast. Ins Gesicht würden sie dir bestenfalls sagen: Ah, shure, aren’t people just different. Pint?
Übrigens haben weder Markus noch ich Vorurteile. Wir sind keine Touristen in diesem Land, wir leben beide jeweils seit langer Zeit in Irland. Wir haben jetzt Urteile, das Vor ist im Lauf der Jahre irgendwie flöten gegangen ;-)
Vielleicht ein kleiner Lesestoff für dich:
http://www.irishtimes.com/blogs/generationemigration/2012/06/16/the-difference-between-the-germans-and-the-irish/
Ich bestätige gern Vorurteile – gibt den Menschen Sicherheit ;-)
@Markus
Meine Mitmenschen halten mich garantiert nicht für harmoniebedürftig. Hätte hier auch sonst wohl ins gleiche Horn geblasen…
Muss mich im Übrigen beruflich mit „Europäischer Ethnologie“ befassen und habe daher eine etwas andere Meinung über diese „Unterschiede“.
Um bei Freud zu bleiben:
„Die Fremden werden nicht darum gehasst und gefürchtet,
weil sie für uns fremd sind, sondern deshalb, weil sie uns gleichen.“ (Freud, 1919/1920)
@ Dieter. Da ich jetzt nicht schlussfolgere, dass du qua Amt Recht haben willst, freue ich mich auf Deine Sicht der Unterschiede – jenseits Deiner eher politischen Erwägungen.
Ich halte den europaweit drohenden Verlust von erreichtem Zivilisierungsniveau im übrigen auch für ein großes Problem, das mich besorgt – ich kann allerdings keinen Zusammenhang zu unserem Diskussions-Thema „Iren und Freud“ erkennen.
Jung war da vielleicht klarer: Wir bekämpfen im Fremden unsere eigenen Schattenanteile. Auch das Fremde, das immer schon in uns ist.
Nun sind wir schon gleich bei den Denkverboten.
Dein Harmoniebedürfnis in Ehren, lieber Dieter, nur führt Dein Relativismus in letzter Konsequenz zum Verzicht auf jegliche Erkenntnis. Ist es denn so, dass wir jetzt alle gleich sind und dass die Kulturen in Europa und die Eigenschaften der Menschen in den Ländern plötzlich identisch sind? Wenn ja, dann hätten wir wohl die gegenwärtigen Probleme nicht. Du aber rätst mit dem „Rassismus-Hammer“, die Unterschiede ja nicht mehr zu betonen.
Der Beitrag wertet überhaupt nicht, ob Therapierbarkeit nun etwas Gutes oder Schlechtes ist. Er geht der Frage nach, was es mit dem Spruch auf sich hat, wo er her kommt und welchen Wahrheitsgehalt er haben könnte. Da er aber nicht wertet, wertet er auch niemanden ab.
Und nein: DIe Konflikte auf dem Dorf in Irland sind nicht die gleichen wie die auf dem Dorf in Deutschland. Und der Umgang mit den Konflikten ist auch nicht derselbe. The Grudge, wie ihn Petra vorgestern hier beschrieben hat, wirst Du in Deutschland nicht finden. Dass wir alle Menschen sind, müsste nach Deiner Logik bedeuten, dass wir alle die selbe Sprache sprechen . . .
Schließlich: Kennst Du den positiven Rassismus? Du begeisterst Dich für ein Land, eine Gesellschaft, weil sie anders ist als Dein eigenes, deine eigene. Diese Vorurteile, die einer realistischen Betrachtung oft nicht standhalten, sind nur die Kehrseite dessen, was Du kritisierst. Warum aber noch in ein anderes Land reisen, wenn dort alles dasselbe ist wie daheim?
Ich liebe die Vielfalt der Kulturen, und ich denke darüber nach und schreibe darüber. Danke für Deine Meinung.
Zwar bin ich nur halber Ire und blicke auf eine vor vielen Jahren nach der Hälfte der veranschlagten Zeit abgebrochenen Gesprächstherapie zurück, und kann zumindest von mir behaupten, dass ich – nun ja – wenigstens ein wenig therapierbar bin. Nach der Therapie konnte ich auf ein Mal babbeln (blarney…) wie ein Weltmeister, und Zuhören ging auch deutlich besser :-)