„Wo man singt, da lass‘ dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.“ Hat der teutsche Volksmund recht mit seiner Behauptung? Die Wanderer dort oben in den Bergen von Beara jedenfalls ließen sich auf einer Bergkuppe nieder, um ihr Lied übers Meer hinaus zu schmettern, dirigiert von einer Chorleiterin. Was sie wohl gesungen haben mögen, „diese seltsamen Germans“, die selbst im Regen auf Bergen herumklettern? Wir wissen es nicht, sie waren zu weit entfernt.
Die Iren jedenfalls sind meist großartige Sänger, auch wenn sie sich lieber der Diziplin „Indoors“ widmen und mit „Frühtau-zu-Berge-wir-singen-fallera“ nicht allzu viel am Hut haben. Die Iren bevorzugen beim Gesang die Nähe eines Zapfhahns oder eines gut gedeckten Tisches. Kaum ein Fest, keine Fete oder Party, bei der nicht früher oder später gesungen würde.
Leicht gerät der fortgeschrittene Abend im Kreis irischer Freunde für teutonische Sanges-Muffel zum Peinlichlkeitgipfel. Denn auch sie werden garantiert alsbald aufgefordert, ein Lied aus ihrer Heimat zum Besten zu geben. Und während sich die Backen röten und das Gehirn verzweifelt die innere Jukebox nach geeignetem Liedgut durchstöbert („Frühtau? Nein. Zu spät. Gedanken frei. Ach nee. Wandern Müller. Wie peinlich. Komm zu dem Tisch unter Pflaumenbäumen? Zu schwer“), läuft in einer Prallelwindung des Gehirns der Faktencheck ab: Böse Menschen haben keine Lieder? Warum hat der dann gerade gesungen, der kleine Dicke mit Brille da hinten, der bösartige Lurch, der . . . Also doch: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten . . . ich liebe den Wein, mein Mädchen vor allen, sie tut mir allein am besten gefallen. . . “ Sláinte und zum Wohl.
Was mich immer wieder erstaunt, ist dass die Iren in der Kirche mausestill sind – es ertönt überhaupt keine Musik aus den Reihen, nur der Chor bemüht sich mit „Be Thou My Vision“ usw. Zehn Minuten nach der Messe, im Pub, fliessen dann mehr oder weniger wohlklingende Töne, welche die ganze Skala von martialischen Kriegsrufen über sentimentale Heimatlieder bis hin zu Trinkgesänge durchlaufen… Ein Trick, um die eigenen Stimmbänder zu schonen: einfach Pubaufenthalte vermeiden!
Hat sich der „Wo man singt“-Spruch nicht spätestens ab 1933 erledigt? Da, wo die Lieder der bösen Nazi-Menschen erklangen, ließ man sich besser nicht nieder. Auch wenn man sich das nicht immer aussuchen durfte, wie bei den sarkastischen Begrüßungsliedern in den Lagern. – Wie wunderbar liebenswert ist doch da ein vielleicht etwas spinnerter, aber harmloser Touristenchor auf einem irischen Hügel… „O Täler weit, o Höhen…“ passt doch da (auch wenn’s mit dem im Text folgenden Wald auf der Insel nicht so weit her ist ;-)