Irland Frühling

 

Die Hoffnung ist grün. Die Tage an Irlands Atlantikküste werden milder, länger, heller und grüner. Im Gemüt schleicht sich unbegründet Optimismus ein. Das ist das Schöne am Leben in einer zivilisationarmen Landschaft: Die Nachrichten aus der Menschenwelt mögen noch so negativ sein, sie halten der unmittelbaren Erfahrung nicht stand, erzielen wenig Wirkung.

Vor einem Jahr und ein paar Tagen, am 12. März 2020, gingen wir hier in Irland in den ersten Lockdown. Jetzt stecken wir im dritten und haben einen Großteil der vergangenen zwölf Monate in der Teilisolation und im Fünf-Kilometer-Freigehege um unser Haus verbracht. Vor gut einem Jahr, da spreizten sich die wohlhabenden Pferde-Ir*innen noch auf der Nachbarinsel bei den Statusrennen in Cheltenham, um danach virusgeladen heimzukehren.

Die Regierung war schon gefahrenbewusst genug, um das Rugby-Spiel zwischen Irland und Italien in Dublin abzusagen, aber nicht gut genug im Bild, auch die 6000 italienischen Fans vom Fun-Trip auf die Insel abzuhalten. Nach der Schließung von Kindergärten, Schulen und Universitäten sah sich die Regierung gezwungen, auch das größte Freizeitspektakel des irischen Spaß-Jahres abzublasen: den St. Patrick’s Day am 17. März.

Morgen ist schon wieder St. Patrick’s Day. Ein Jahr verflog wie im Traum (für manche wie im Alptraum). Auch morgen wird Dublin mehr einer ausgestorbenen Geisterstadt gleichen als einem Karnevalsumzug mit einer Million Feiernden. Im Gegensatz zum schockstarren und angstbeladenen Nicht-Ereignis 2020 sind die Feierwilligen in diesem Jahr für eine Pandemie-adäquate Wohnzimmer-Feier immerhin gut vorbereitet: St. Patrick’s Day @home. Das Stout der Firma, mit der der Nationalfeiertag heute zwanghaft assoziiert wird, ist nach aktuellen Berichten ausverkauft. Das Pint Schwarzes fließt in diesem Jahr allerdings in Strömen nur aus Dosen.

Während die Zapfhähne stillgelegt bleiben, rüsten sich Iren, Wahl- und Möchtegern-Irinnen in den eigenen vier Wänden für den grünen Frohsinn. Online-Feiern, Zoom-Parties und auf 2022 vertröstende Video-Streams der Tourismus-Vermarkter sollen ein wenig grünen Flair in die Quarantäne-Buden zaubern. Die Imagebastler und Illusionsverkäufer meinen tatsächlich, wir sollten morgen Pint-schlürfend am Bildschirm sitzen und an der nächsten Rekordnachricht arbeiten: Das im Stout vereinte Irland produzierte am 17. März 2021 erstmals einen Bierdosenberg, der die Höhe des heiligen Croagh Patrick übersteigt.

 

Stoisch, gelassen und durchaus mobil im dritten Lockdown

Wie sehr sich die Menschen am Feiertag 2021 tatsächlich an die Corona-Regeln halten werden, ist derweil unsicher. Die massenhafte Überwachung unserer Mobiltelefone vermittelte den Behörden in dieser Woche die Erkenntnis, dass die Disziplin rapide sinkt: Die Bewegungsprofile zeigen, wie die Mobilität vor allem in den ländlichen Gegenden zuletzt, nach fast zweieinhalb Monaten drittem Lockdown, drastisch zugenommen hat. Selbst der Zehnkilometer-Radius ist vielen deutlich zu eng geworden. Wen wunderts?

Gerade bringt Joe der Kurier ein Paket und Nachrichten: Auf der benachbarten Halbinsel Beara, wo er lebt, sei seit Wochen schon fast kein Ferienhaus frei. Joes Frau fühle sich beim Einkauf im lokalen Supermarkt wie in der Fremde: Sie kennt die meisten anderen Kunden nicht. Wo kommen die Reisenden trotz des Reiseverbots her? frage ich Joe. Das seien vor allem irische Stadtmenschen aus den fernen Metropolen, aus Dublin, Cork oder Limerick, die aufs Land flüchten, um die Pandemie hier auszusitzen.

Man muss den vereinigten Schlupfloch-Nutzern zugute halten, dass eine unglücklich agierende und unterirdisch kommunizierende Regierung große Mitverantwortung an der zunehmend legeren Gangart hat: Ihr fällt außer Einsperren nicht viel ein. Die Abwägung von Grundrechten bleibt ihr ein rätselhaftes Kontinental-Ritual. Sie lässt zudem die Menschen gerne im Ungefähren, was nun Recht und Gesetz ist, was Hinweis und Richtlinie oder sogar nur Empfehlung. Gesetze werden über Nacht erlassen und schlecht kommuniziert, andere, wie die Hotel-Quarantäne für Reisende aus Hotspots, werden seit Monaten angekündigt, aber nicht umgesetzt. So geben sich längst viele Menschen stoisch und geduldig – und nutzen die vielen Hintertürchen, um sich ein wenig Leben zurückzuholen im strengsten Dauer-Lockdown Europas.

Eine aktuelle Online-Umfrage von Journal.ie belegt den Trend zum “zivilen Ungehorsam”. Auf die Frage “Halten Sie sich noch an die Einschränkungen der Stufe 5?”, antworteten 44 Prozent mit “immer” und 56 Prozent mit “meistens”, “manchmal” oder “nie.”

Wir sind gespannt, über wie viele Hinterzimmer-Pubs und Wohnzimmer-Parties übermorgen wieder in den irischen Medien berichtet wird. Die irische Garda jedenfalls schickt am Paddys Day 2.500 Polizisten auf Streife, um die anschwellende Mobilität wieder zu deckeln.

 

St. Patricks Day 2021

Wenn grüne Schafe Eimer voller schwarzer Brühe trinken

 

Falsche Bilder der Irishness lassen die Kassen klingeln

 

St. Patrick’s Day, die Feier zu Ehren des irischen Nationalheiligen, von dem niemand genau weiß, wie und wann er lebte, ist Weihnachten, Karneval, Fasching und Oktoberfest im März. Seit dem Jahr 2010 ist es auch der Tag des um die Erde reisenden grünen Lichts. Zum irischen Nationalfeiertag werden in allen Erdteilen mehrere hundert mehr oder weniger berühmte Gebäude und Sehenswürdigkeiten in Grün beleuchtet. The Global Greening machte keinen Halt vor den Pyramiden von Gizeh, dem Sydney Opera House, der Christus-Statue von Rio, dem Schiefen Turm von Pisa, dem Empire State Building in New York, dem London Eye, den Niagara-Fällen, den Viktoria-Fällen, dem Berliner Olympiaturm, dem Rheinfall von Schaffhausen und der Fußball-Arena des FC Bayern München.

Selbst Russen und Chinesen können sich der neuen globalen Lichterkette nicht mehr verschließen. In diesem Jahr muss dann auch noch ein einsamer Briefkasten auf einem Gipfel in Norwegen 350 Kilometer nördlich des Polarkreises für die grüne Show herhalten. Nord-Rekord, Cheers. Vielleicht auch Symbol und Lichtstrahl der Hoffnung für all die durch Covid-Restriktionen Isolierten und Einsamen dieser Welt?

 

Alternativ-Programm: Jenseits des üblichen Getümmels könnte der St. Patrick’s Day @home auch eine Gelegenheit zu Besinnung und Neuorientierung sein: Der English-Professor Joe Cleary sinnierte zum PD 2018 öffentlich in der Irish Times über den globalen Erfolg der grünen irischen Marketingmaschinerie. Der irische Professor in Yale, Connecticut, USA, zählt den St. Patrick´s Day – neben dem Smartphone, dem Klimawandel oder der Missherrschaft des reichsten einen Prozents, zu den sieben globalen Wundern des 21. Jahrhunderts. Er schreibt, den Iren gebühre weltweit so viel Sympathie, weil sie ein erfolgreiches Symbol sind für den gelungenen Aufstieg vom Proletariat („hibernian hod carriers“) in das Establishment der anglophonen Welt. Und Cleary weist darauf hin, dass seit den 90-er Jahren staatliche irische Stellen, halbstaatliche irische Agenturen und ein profit-süchtiges Corporate Ireland sich gezielt und erfolgreich dafür einsetzen, ein simples und leicht auszubeutendes Image von Irland zu zeichnen und weltweit zu festigen.

Diese Bilder der Irishness sind so erfolgreich wie trivial und letztendlich falsch: Wenn grüne Schafe Eimer voll schwarzer Sauce trinken, wenn singende Menschen mit hohen grünen Leprechaun-Hüten durch die Straßen ziehen, wenn der grün bemäntelte Plastik-Bischof seinen goldenen Stab schwingt, wenn züchtige Mädchen in grünen Strumpfhosen im Gleichschritt paradieren, und wenn der grüne Taoiseach dem mächtigen Onkel im Weißen Haus die Kleeschüssel reicht (2022 dann wieder). Dazu ein kräftiger Schuss Katholisches und Sixpack-weise Insel-Trunk.

Irlands halbstaatlicher Marketing-Maschine ist es tatsächlich gelungen, eine der drei Grundfarben der menschlichen Wahrnehmung zu kapern, global für sich zu beanspruchen und für eigene Zwecke auszubeuten: Grün ist Irland, grün ist irisch – und sonst nichts? Grün ist auch Äthiopien, Afghanistan, Italien, Ungarn oder Brasilien. Grün steht für Kurdistan – und grün ist der Islam. Grün sollte die Erde sein, statt zunehmend beton- und asphaltgrau. Aber wen interessierts. Die Frage bleibt: Warum eigentlich hält der Rest der Welt die Irinnen und Iren für dermaßen ober-sympathisch (freundlich, gutmütig, humorvoll, unterhaltsam, harmlos . . . ), dass man ihnen eine ganze Grundfarbe überlässt?

Grün ist die Hoffnung.

 

 

Fotos: Tourism Ireland (Schafe), Eliane Zimmermann (2, unten) , Markus Bäuchle (oben)