Freitag, 24. Januar. Heute morgen lag ein Hauch von Lockdown über der Insel Irland. Seit den frühen Morgenstunden wütete Sturm Éowyn grollend und tosend nordwärts über Land. Rot rot rot: Erstmals wurde für das gesamte Land die höchste Sturmwarnung ausgerufen – verbunden mit der Aufforderung an alle Menschen, unbedingt in den Häusern zu bleiben und sich vor dem lebensgefährlichen Wind zu schützen. Irinnen und Iren sind gehorsame Menschen: Die Straßen waren leer und verlassen. Schulen, Behörden und viele Firmen blieben geschlossen, der öffentliche Transport wurde eingestellt. Mit gutem Grund: Der nach einer Tolkien-Wortschöpfung benannte Sturm fegte mit neuen Rekordgeschwindgkeiten über Irland hinweg: Im County Galway wurden 183 Km/h gemessen – das ist der höchste Wert seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Irland vor 80 Jahren. Auch andere Messstellen meldeten neue Spitzenwerte.

Hier bei uns in West Cork kam der von einem auf Hochtouren laufenden Jet Stream angetriebene Orkan zuerst an Land. Wir hatten vermeintlich schlechte Karten – und blieben in unserer Ortschaft doch weitgehend verschont, abgesehen von einem kurzen Ausfall von Strom und Internet und ein paar abgerissenen Ästen. Man kann ja auch mal Glück haben. Andere Landesteile, dieses Mal vor allem das Landesinnere, berichten von ehrheblichen Schäden, von umgestürzten Bäumen und ramponierten Gebäuden. 715.000 Haushalte und Geschäfte sind in der Republik gerade ohne Strom, in Nordirland sind es fast 100.000. Vielerots ist die Wasserversorgung unterbrochen und das Internet ausgefallen. Dennoch sieht es so aus, dass der sensationslüstern als „Jahrhundertsturm“ gehypte Éowyn trotz seiner Rekordgeschwindigkeiten weniger zerstörerisch ist als der schlimmste Monstersturm, den wir hier auf der Insel erlebten: Orkan Darwin toppte den windrekordreichen Winter 2013/14 am 12. Februar 2014 mit wüsten Zerstörungen, massivem Landverlust und gigantischen Schäden von geschätzt 286 Millionen Euro.

In der Ruhe vor dem Sturm kaufte ich gestern im Dorfladen ein. Die Junior-Chefin sah dem nächsten Morgen sichtlich genervt entgegen: „Die größte Sorge mancher Menschen ist, ob es morgen auch sicher frisches Brot gibt. Ich sage allen, klar gibt es morgen frisches Brot. Ich sage aber nicht wo, denn ob es in die Läden transportiert werden kann, weiß ich nicht“.

Heute morgen las ich bei RTÉ, dass den Iren das geschnittene Sandwich-Weißbrot das ist, was dem Deutschen das Klopapier. Wenn Naturkatastrophen oder Pandemien drohen, horten wir mit Vorliebe Abputzhilfen für den Allerwertesten. Die Iren kaufen dafür doppelte oder dreifache Mengen White Sliced Pan – das superweiche geschnittene Weißbrot in Kastenform, das wir als Brot nicht gerne durchgehen lassen.  Der irische Psychologe Ian Robertson erklärte diese Vorliebe in Notzeiten so: „Aufgeschnittenes Weißbrot ist ein klassisches Trostessen. Hier sind wir also, zu Hause, belagert, und haben das Gefühl: Oh mein Gott, die Elemente werden uns umbringen. Deshalb neigen wir dazu, zum Frühstück weißes Toastbrot und Marmelade zu essen. Das Sliced White Pan ist eine Art Symbol für Sicherheit und Komfort.“

Ich habe darüber nachgedacht, warum die Irinnen und Iren bei aufziehenden Krisen ans Essen denken und die Deutschen ans Verdauen – und kam zu keinem Ergebnis. Ich habe das irische Erfolgsrezept mit dem geschnittenen Fluffi-Toastbrot zum Frühstück gerade noch mal ausprobiert. Ohne Erfolg. Ich sorge mich jetzt um meine Verdaung . . .

 

EDIT 16:23: Der Sturm kostete nach aktuellen Erkenntnissen kein Menschenleben. Erste grobe Schätzungen gehen von einem Schaden von über 100 Millionen Euro alleine in der Republik Irland aus.

EDIT 25.01: In Donegal kam am Freitag ein Mann ums Leben, als ein Baum auf sein Auto stürzte.

Foto: © Pat The Baker; beliebtes irisches Weißbrot, proteinreich, wenig Fett, vegan, plastikfrei. 

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