Sie jammern und sie schimpfen ständig über den Regen, für übertriebenes Schutzbedürfnis vor dem nassen klimaprägenden Element sind die Menschen in Irland trotzdem nicht bekannt. Schirme, Mützen und gute Regenkleidung gehören hier nicht zwangsläufig zur Grundausstattung. So hat es mich auch nie übermäßig gewundert, das sich die zivilisatorische Errungenschaft von Wartehäuschen an der Bushaltestelle, von Unterständen auf dem Sportplatz oder von Schutzhütten in den Bergen in Irland nie durchgesetzt hat. Irgendwann begann ich mich in meiner wasserdichten Goretex-Kutte als verweichlichter Kontinental-Europäer zu begreifen. Ich war immer wasserscheu genug, um die wenigen Schutzangebote offensiv anzunehmen – zum Beispiel das runde Wartehäuschen mit Sitzbänken an der Bushaltestelle auf dem zentralen Platz unseres Städtchens Bantry in West Cork.
Als ich vor einigen Wochen über den Wolfe Tone Square schlenderte, traute ich meinen Augen nicht: Wo gerade noch das Wartehäuschen gestanden hatte, lag ein Schutthaufen. Kurz Zeit später installierten Arbeiter an Stelle des Häuschens eine futuristisch anmutende, so hohe wie schlanke Skulptur aus mattiertem Edelstahl. Ich stellte mir vor, wie sich meine dünnste Version am besten unter dieses Kunstwerk (?) stellen könnte, um maximal drei Prozent der auf mich nieder prasselnden Regentropfen abzuwenden. Zu dem am Bodenbelag arbeitenden Mann vom Fach stammelte ich entgeistert: „Das Ding bietet ja nicht gerade viel Schutz“. Er schaute kurz auf und meinte nur: „Eigentlich gar keinen“.
Das Ding macht viele Menschen zornig und wütend
Am Donnerstag erschien die neue Ausgabe unserer regionalen Wochenzeitung Southern Star. Auf der Titelseite: Das Ding – unter der Headline: „Verärgerung über ein 670.000 € teures Schild, das den Unterstand ersetzt.“ Der Artikel war lehrreich und bescherte mir mehrere Erkenntnisse: 1. Das Ding wird The Sign genannt, das Schild. 2. Das Ding kostete 670.000 Euro. 3. Das Ding wurde von der ortsfernen Regionalverwaltung Cork County Council zusammen mit der irischen Tourimusbehörde Fáilte Ireland ausbaldowert und finanziert. 4. Das Ding hat nicht die Aufgabe, Menschen vor Regen zu schützen. Vielmehr sei das Schild ein informativer Wegweiser zu den besonderen Orten des Städtchens, mehr aber noch: ein großes offenes Fenster, durch das die Menschen, und dabei überwiegend die Bantry besuchenden Menschen, einen unverstellten Blick auf den Hafen und das Wasser werfen können. Und 5: Ich bin nicht alleine. Es gibt in Bantry auch jede Menge Einheimische, die einen Unterstand oder ein Wartehäuschen zu schätzen wissen und die jetzt richtig wütend sind.
Die ganze Wut über den Stahlrahmen, der uns endlich beibringt, wie man in Bantry richtig aufs Wasser schaut, entlud sich in den unsozialen Medien. Die Menschen, die ihrem Zorn auf Facebook im Bantry Notice Board Luft verschafften, schrieben von Korruption, Veruntreuung öffentlichen Geldes, sie riefen nach einer Untersuchungskommission und forderten die Bestrafung der Verantwortlichen. Ganz besonders ging mir der Kommentar eines Mannes unter die Haut, der in letzter Zeit keine Nacht in einem eigenen Bett verbracht hatte und der sich gerne in dem Wartehäuschen aufhielt. Er wies darauf hin, wie man in Irland gerne Probleme zum Schein löst: Hast Du Obdachlose, die auf einer Parkbank schlafen, nimm die Parkbank weg. Genau, dachte ich mir; so kontrolliert und dominiert man heute den öffentlichen Raum, beziehungsweise das, was davon übrig ist. Der Kommentar erinnerte mich an die Diskussion, ob wir in in unserem Dorf Glengarriff öffentliche Abfalleimer und Papierkörbe aufstellen sollten. Die Abstimmung in der Tourismus-Vereinigung ging damals fast einstimmig aus: Nein. Begründung: Wenn wir sie aufstellen, werden sie benutzt und wir müssen sie leeren lassen.
Seit gestern nachmittag ist der Beitrag über das Ding samt wuchtiger Debatte von Facebook verschwunden. Die Adminstratorin der Gruppe mutmaßte, dass entweder der OP (der original Poster) oder Facebook den Beitrag gelöscht haben müssen. Sie stellte den ursprünglich anonym eingestellten Beitrag unter ihrem Namen wieder online – verschwunden sind allerdings die vielen empörten Kommentare aufgebrachter Menschen.
Ein Rahmen, durch den man kompetent aufs Meer schauen kann, kostet im Irland der Gegenwart also 670.000 Euro. Na und. Dafür könnte man gerade mal zwei kleine Einfamilienhäuser bauen. Und sogar mehr als zwei (!) Fahrradständer. Im vergangenen Herbst war bekannt geworden, dass die Installation eines überdachten Fahrradständers am Leinster House, dem irischen Parlament, 336.000 Euro verschlungen hatte. Seitdem gilt der Dublin Bike Shed auf der Insel als inoffizielle Währung für den Missbrauch von Geld, das uns der Staat in Form von Steuern und Abgaben abknöpft.
Eins noch: Was macht einen Ort heute zu einem touristischen Hotspot? Er muss nicht schön sein, er muss keine interessante Historie haben, er muss noch nicht einmal etwas Besonderes sein. Vielleicht hat Bantry mit seinem Ding das Abstrusity-Marketing für sich entdeckt: Schaffe einen bizarren Ort und erzähle eine absurde Story dazu: Die Leute werden es lieben – schon weil andere es hassen. [Auch dieser Beitrag ist nicht gesponsert und sollte keinesfalls als Marketing verstanden werden ;-) ]
Update: „Das Ding“ im irischen Zwielicht am 25. Januar:
Nachtrag 30. Januar: Die Grafschaftsverwaltung Cork County Council und die Tourismus-Behörde Fáilte Ireland haben inzwischen auf öffentlichen Druck hin präzisiert, dass von der Summe von 670.000 Euro auch 22 neue Infotafeln (Storyboards) in Bantry sowie „Sitzgelegenheiten“ und „Verbesserungen von Straßenbelag und Beleuchtung“ im Rahmen des „Destination Towns Programme“ finanziert worden seien. Das Problem an der Sache: Ortsferne Institutionen schaffen ohne Einbeziehung der Bevölkerung, ja ohne überhaupt zu informieren, von oben herab Infrastruktur für Touristen zulasten der Bewohner. Das nützliche Buswartehäuschen wird abgeräumt, um den Ort für Touristen, hier vor allem für Kreuzfahrtgäste, mit einem fragwürdigen Gegenstand aus Stahl scheinbar attraktiver zu machen. Bantry bräuchte seit Jahrzehnten dringend Geld für den Hochwasserschutz und für Einrichtungen, die die Gemeinde stärken, etwa ein Gemeindezentrum für Vereine und Gruppen. Und was wird es sonst noch bekommen? Eine elitäre Konzerthalle für aus aller Welt anreisendes Kulturkonsumvolk . . .
Fotos: Markus Bäuchle
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Unfassbar, wirklich unfassbar, ich dachte der Fahrradständer war schon der Höhepunkt.
Und hat der Sturm es weggeweht?
Teure Kunst (da liegt Schönheit IMMER im Auge des Betrachters) so mir nichts dir nichts gegen einen benutzbaren kommunikativen Schutzraum (der egal ob gegen Regen oder um Schatten zu spenden während man auf den Bus wartet eher einlädt mal einen Plausch mit anderen Wartenden abzuhalten) auszutauschen ist eben nicht sehr demokratisch und wird dann auch ungern akzeptiert. Da mag das Ansinnen noch so positiv gewesen sein…
Der Vergleich mit den Müllkörben… ich glaube auch, dass wie Markus bereits sagte Tokio nicht das beste Vergleichsobjekt ist. Sehr, sehr viele Menschen werden nicht im Sinne eines Sauberkeit beinhaltenden Schönheitsempfindens erzogen. Sie wachsen mit Unachtsamkeit gegenüber ihrer Umgebung heran, Beispiele von unsauberen Siedlungen (egal wie klein oder groß) findet man deshalb weltweit. Inzwischen empfinde ich D auch als ziemlich dreckiges Land…
ABER wenn man Strafen auf Wegwerfen im öffentlichen Raum legt und vor allem diese dann auch ruckizucki vollzieht (das ist LEIDER !!! so), dann wird es sauber und bereits die Kleinsten lernen wie es sein soll… siehe Singapur (es gibt noch andere Beispiele die genau demselben Muster folgen aber sie liegen in vom Westen als Diktaturen bezeichneten Staaten) … da kann man auch Müllkörbe hinstellen, die werden dann brav benutzt und ebenso pünktlich geleert… aber die Einstellung hat sich geändert.
Hier mitten im ländlichen Raum sehen z.B. viele Leute gar nicht ein, wozu jetzt via EU Pfand auf Plastikflaschen gelegt wurde. Sie wettern über eine unverschämter Verteuerung beim Kauf und schmeissen die Flaschen bewußt weiterhin zack aus Pickup, Auto- oder Traktorfenster… genauso verbrennen viele noch ihren ganzen Haus -Müll auf ihrem Privatland (trotz hoher angedrohter gesetzlicher Strafen) oder Städter kippen ihn hier oben einfach in die Wälder…
„Der Kommentar erinnerte mich an die Diskussion, ob wir in in unserem Dorf Glengarriff öffentliche Abfalleimer und Papierkörbe aufstellen sollten. Die Abstimmung in der Tourismus-Vereinigung ging damals fast einstimmig aus: Nein. Begründung: Wenn wir sie aufstellen, werden sie benutzt und wir müssen sie leeren lassen.“
Aus meiner Sicht eine gute Entscheidung. Tokio wurde zur saubersten Stadt, nachdem dort alle öffenlichen Mülleimenr abgeschafft wurden. Im Frankfurter Bahnhofsviertel wird mehr Müll in die Gegend geworfen, obwohl die Mülltonnen häufiger als üblich geleert werden.
Wenn Menschen Verantwortung abgeben können, dann tun sie das auch.
Eine gewagte Gleichsetzung zweier völlig unterschiedlicher Kulturen, lieber Dieter. Die öffentlichen Mülleimer wurden in Tokio nach dem Giftgasanschlag 1995 abgeschafft – aus Sicherheitsgründen, um die Terrorgefahr zu verringern – verbunden mit klaren Verhaltensregeln, was mit dem Müll zu tun ist. Japaner essen auch nicht auf der Straße, zudem hat Japan ein sehr gut funktionierendes Müllvermeidungs- und Recyclingsystem.
Du benutzt selber das Wort „nachdem“ und nicht das Wort „weil“. Ein kausaler Zusammenhang besteht da meines Erachtens nicht.
Ich tu mich da etwas schwer mit dem Begriff „Kultur“. Aus dem Blickwinkel der Japaner, die ich kennenlernen durfte (war schon dort), ist deren Kultur unserer sehr ähnlich.
Leider wird der Begriff aktuell auch sehr mißbraucht. Aus meiner Sicht gibt es im menschlichen Verhalten sehr viel Übereinstimmung und der Einfuß der „Kultur“ wird deutlich zu hoch bewertet.
Wir sollten mal nachschauen gehen, ob DAS DING nicht vielleicht mit Sturm Éowyn einen Abflug gemacht hat, bei der üblichen Leichtbauweise doch durchaus denkbar…