Der Sunday Independent titelt heute morgen: „Offene Revolte“. Ist die Geduld der Irinnen und Iren mit ihren Regierungen und den groben Zumutungen der vergangenen Jahre doch nicht unendlich? Braut sich hier eine Revolte zusammen, die im Systemkollaps enden könnte? Gestern gingen bei 93 Demonstrationen im Land über 150.000 Menschen auf die Straßen, um gegen die Politik der Regierung zu protestieren. Das ist in der jüngeren Geschichte des Landes ohne Beispiel. Offiziell geht es um die umstrittene Einführung von Wassergebühren, und drei von fünf Iren weigern sich bislang beharrlich, diese Gebühren zu bezahlen. Die Einführung der Water-Tax allerdings ist nur ein finales Symbol für die gegen die eigenen Bürger gerichtete Regierungs-Politik der vergangenen sieben Jahre.
Wie kein anderes Volk in West- und Mitteleuropa mussten die Menschen auf der Insel für die dreckigen Geschäfte ihrer Banken bluten und die Zeche bitter bezahlen: Jahrelang jagten sich drastische Kürzungen von staatlichen Leistungen und die Erhöung alter sowie die Einführung neuer Steuern und Abgaben und katapultierten viele irische Haushalte zurück in die Armut. Ausgerechnet bei den in allen Ländern Europas längst üblichen Wassergebühren ist jetzt Schluss — dies allerdings auch, weil die Regierung es zuließ, dass sich mit dem neuen nationalen Wasser-Versorger „Irish Water“ flugs ein weiterer sagenhafter Selbstbedienungsladen für Manager etablierte, der den Nachweis guter Arbeit bislang völlig schuldig blieb. „Wir haben die Schnauze voll, dass wir immer weniger zum Leben haben und sich diese Herrschaften in Dublin das Geld wieder bündelweise in die eigenen Taschen stopfen“, wettert etwa unser Nachbar John.
Die Stimmung im Land passt so gar nicht zu der Erfolgs-Story Irland, die seit langem europaweit erzählt wird, um die Euro-Krise klein zu reden. Denn die Stimmung ist mies. Ganz offensichtlich wollen die Iren ein völlig neues politisches System, eine neue Partei und einen glaubwürdigen Neuanfang. Die Unterstützung für die nicht-atablierten Kräfte wächst sprunghaft, unabhängige Kandidaten dominierten die Wahlen der vergangenen Monate. Das explosive politische Klima im Land belegt auch die aktuelle Großumfrage von Millward Brown, die heute morgen veröffentlicht wurde: Demnach ist die politisch nicht gerade zuverlässige Sinn Fein, eine Partei mit vielen Verstrickungen, mit aktuellen Skandalen und einer aufgrund der Nähe zur IRA ungeklärten Vergangenheit, nun die meist unterstütze politische Partei in der Republik: Sinn Fein würden aktuell 26 Prozent der Iren wählen. Die beiden Regierungsparteien Fine Gael und Labour sind indes auf 22 und sieben Prozent abgestürzt. Und die jahrzehntelange Regierungspartei Fianna Fail profitiert kein bisschen von der poilitischen Krise, stagniert bei 20 Prozent: Die Iren haben offensichtlich doch nicht vergessen, dass die korrupte Fianna Fail-Regierung Bertie Aherns das Land bereitwillig in die tiefe Krise gestürzt hat. So stehen nun alle drei Führer der etablierten politischen Parteien (und aus anderen Gründen auch der Chef von Sinn Fein) unter massivem Druck — und die Tage der Fine-Gael-Labour-Regierung scheinen gezählt.
Alarmierend sind vor allem diese aktuellen Umfrage.Ergebnisse: Nur noch 29 Prozent der Iren haben Vertrauen in das aktuelle Parteiensystem. Sogar 47 Prozent der Wahlberechtigten fordern die Gründung einer neuen Partei. Die Irinnen und Iren sind zwar Weltmeister im folgenlosen Ankündigen ( „Wir bezahlen die Haussteuer nicht. Gleich. Aber dann doch.“), doch es verdichten sich gerade die Anzeichen, dass auch die eher sanftmütigen Menschen auf der Insel nun endgültig genug haben von der Ungerechtigkeit der von der EU gelenkten Regierungs-Politik. Gefordert wird ein radikaler Wechsel. Irland quo vadis?
Mehr zum Thema: Irish Independent
Zureck zum Thema: Das kommt davon, wenn genuegend Leute auf die Strasse gehen! Zum ersten Mal seit der Bestehung der jetzigen, irischen Regierung hat in Sachen „Water Charges“ Labour gegen Fine Gael gestimmt. Ein Referendum darueber, dass irisches Trinwasser nicht privatisiert werden kann und soll. Es bewegt sich was oder wie ein anderer dazu sagte: Das Ende ist nah! Das Ende von FG!
http://www.breakingnews.ie/ireland/labour-votes-against-fine-gael-over-water-charges-649887.html
Natuerlich sollte man sich ueberlegen, wie man eigene Projekte startet, um etwas zu aendern. Aber es ist genauso wichtig auf die Strasse zu gehen, um zu demonstrieren! Das zeigen uns die Iren gerade.
Bhutan hat Glueck: es hat kein Oel! Dafuer hat es Bhutan-Gas … *scherz*
Und schließlich sind diese Politiker / das Parlament nichts anderes als das, was das Wahlvolk verdient hat: sein Spiegelbild.
Erzaehl das mal den armen Schweinen in Deutschland, die weniger als €900 im Monat zum Leben haben …
Fangt an mit Euren eigenen Projekten, Nenad
Mach ich demnaechst: Ich zuechte eine Canabis-Plantage, umweltfreundlich, gewinnbringend und steuerfrei! :D
Ich denke, wir müssen die Perspektive ändern und uns darum kümmern, was besser funktioniert und wie wir es besser machen können. Das ewige (bloß verbale) Herumkritteln an „den Politikern“ bringt uns gar nicht weiter. Und schließlich sind diese Politiker / das Parlament nichts anderes als das, was das Wahlvolk verdient hat: sein Spiegelbild.
Ich schaute gestern auf Arte den Film „Wachstum, was nun“, einen hochinteressanten Film der französischen Journalistin Marie-Monique Robin. Sie sucht nach Modellen und Versuchen, die den Schritt in die post-kapitalistische Gesellschaft wagen. Ein klasse Beispiel ist das kleine Land Bhutan. Eingequetscht zwischen Indien und China hat sich Bhutan zu einem Langsziet-Projekt erklärt, das sich der kapitalistischen Zins-Wachstums-Spirale zu entziehen versucht und tatt des Wachstumsindikators BIP/GNP das Konzept der Gross National Happiness umzusetzen versucht: Glück und Zufriedenheit. Umweltschutz und gute Politik statt nacktem Wirtschaftswachstum, das am Ende nur wenigen dient und die Erde komplett zerstört.
Die tun was. Und viele andere tun was, um die Welt aus der Falle des kapitalistischen Wachstums zu befreien. Fangt an mit Euren eigenen Projekten, Nenad — und die da im Dail, im Parlament, in den Parteien müssen und werden sich ändern. Die Zeit ist reif.
Der Film auf arte wird übrigens wiederholt:
http://www.arte.tv/guide/de/050584-000/wachstum-was-nun
Ein Anfang etwas zu aendern waere, dass alle Gesetze und sonstige Entscheidungen, die von Politikern getroffen werden, an den Politikern selbst ausprobiert werden muessten. Nehmen wir mal den Mindestlohn: €8.50 fuer alle Volkvertreter fuer einen Zeitraum von sagen wir zwei Jahren. Ich glaube, dass danach der Mindestlohn wesentlich hoeher ausfallen wuerde. Oder andersrum: wenn unsere Volksvertreter entscheiden ihre Gehaelter zu erhoehen (was ja vor nicht allzulanger Zeit der Fall war und ohne viel Auhebens durchgewunken wurde), dann muessten die Gehaelter in allen anderen Berufen ebenfalls angehoben werden.
Oder wenn sie meinen, man muesste sparen, dann sollten sie das erstmal zwei Jahre lang an sich selbst ausprobieren.
Oder wenn sie meinen, dass ein Krieg irgendwo in der Welt in Ordnung waere und sie das durch Waffenlieferungen oder sonstige Zuwendungen unterstuetzen, muessten sie in voller Montur als erste an die Front.
Nur mal ein paar Beispiele fuer gerechte Reformen. Es lebe die Vereinfachung … I hope you catch my drift … :D
“ dass auch die eher sanftmütigen Menschen auf der Insel nun endgültig genug haben von der Ungerechtigkeit der von der EU gelenkten Regierungs-Politik.“
Die Ungerechtigkeit der vom Kapitalismus der ausgewanderten Irischen Vetter gelenkten Steuerpolitik ist anscheinend vergessen. Warum sind die Iren nicht bei den US-Amerikanern betteln gegangen?
„demokratische, reformorientierte politische Kräfte, die man unterstützen sollte? Ich sehe keine … “
Es lebe die Vereinfachung. Welche Reformen würden Sie denn erwarten, befürworten oder akzeptieren?
Jeder erwartet, dass die jeweils regierenden Politiker möglichst seine (natürlich nicht der Politiker) Interessen vertritt. NIEMAND wird zugeben, dass seine Interessen bevorzugt vertreten werden. Da diese Wahrnehmung IMMER vom jeweiligen Standpunkt abhängig ist, ist diese auch niemals objektiv.
-Kleinere Landwirtschaftsbetriebe werden vor den Karren der Großgrundbesitzer gespannt und wundern sich darüber, dass sie vom Subventionstopf am wenigsten bekommen.
-Ärzte schicken Pflegepersonal oder Studenten zu Demos, weil sie sich zu fein dafür sind.
…..
Eine Gesellschaft, die sich nur noch über ein imaginäres Feindbild definieren kann, steht am Abgrund. Mit Feindbildern und Vereinfachungen haben schon einige Staaten negative Erfahrungen gemacht.
Wir hatten auch schon einen demokratisch legitimierten Reformer, der uns an den Abgrund geführt hat.
Stimmt Dieter, den US-Kapitalismus und den opportunistischen (steuer-vermeidenden) Kniefall Irlands vor den US-Konzernen muss man immer wieder in Erinnerung rufen: http://www.irlandnews.com/irische-mythen-die-kinderfreundlichkeit/
Liebe(r) weba2,
der destruktive Ansatz der irischen Regierung (also den Dreckschweinen von FG und FF) gefaellt mir auch nicht. Genausowenig gefaellt es den meisten Iren, dass diese Verbrecher noch im Amt sind. Nur zu ihrer Information: es gibt sogut wie keine demokratische Partei mehr. Weder in Irrland, noch sonst wo, weil die lieben Politiker nur noch auf ihre eigenen Karrieren bedacht sind. DAS ist die Regel in unserer heutigen Zeit. Wo sehen Sie, liebe(r) weba2, demokratische, reformorientierte politische Kräfte, die man unterstützen sollte? Ich sehe keine … :)
Lieber Nenad Ptic,
Sie mögen in Vielem vielleicht Recht haben, aber mir gefällt ihr pauschalisiertes Urteil („Dreckschweine im Dail muessen weg vom Fenster“) und der eher destruktive Ansatz nicht. Welcher Gruppierung oder gar welcher (demokratischen) Partei trauen Sie denn? Wo sehen Sie demokratische, reformorientierte politische Kräfte, die man unterstützen sollte?
„Braut sich hier eine Revolte zusammen, die im Systemkollaps enden könnte?“
Na hoffentlich! Und wenn alles gut geht ist das erst der Anfang.
Nur noch 29 Prozent der Iren haben Vertrauen in das aktuelle Parteiensystem.
Ja, das sind die 29%, die direkt oder indirekt davon profitieren, weil sie dort aktiv mitarbeiten bzw. irgendein Familienmitglied.
Das Gute bei den Wassergebuehr-Forderungen ist ja, dass die Leute einfach kein Geld mehr dafuer uebrig haben. Weder dafuer, noch fuer irgend eine andere Gebuehr oder Steuer. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Nur haben das Enda & Co anscheinend nicht kapiert. Aber die Bevoelkerung hat es endlich kapiert. Ich hoffe, dass ein Regierungssturz die Folge sein wird. Weiss der Geier, was danach kommt aber diese Dreckschweine im Dail muessen weg vom Fenster und zwar allesamt ohne Pensionsbezuege. Schliesslich haben sie sich jahrelang die eigenen Taschen vollgestopft. Da brauchen sie keine Pension.