René Böll verbrachte seit Mitte der 50-er Jahre mit seiner Familie viele Sommerferien auf Achill Island im County Mayo in Irlands Westen. Er war selber noch Kind, als er hoch auf den Kliffen von Dookinella nur mit Feldsteinen markierte Orte und ihre verborgene Bedeutung entdeckte: Cillíní, die Grabfelder der ungetauften Kinder Achills. Wie vielerorts in Irland begruben auch die Menschen von Achill Island ihre ungetauften toten Kinder abseits der Friedhöfe in ungeweihtem Boden. Nach herrschender Kirchenlehre waren die ungetauften Seelen nicht von der Erbsünde befreit und konnten deshalb nicht in den Himmel kommen. Das Paradies blieb ihnen verwehrt. Ihnen war von den Kirchenlehrern eine Existenz im Limbus, einer Art Vorhölle, vorgeschrieben — und die kleinen Körper wurden heimlich und ohne Ritual. meist nachts, an Orten abseits der geweihten Friedhöfe begraben.
von deinem curragh aus
wenn du makrelen fischst
siehst du mein grab
Es gibt über 1200 heute noch bekannte Cillíní (das irische Wort bedeutet kleine Kirche oder kleiner Kirchhof) in Irland und mutmaßlich noch einmal so viele in Vergessenheit geratene Orte, an denen neben den ungetauften Kindern meist auch Fremde, Mörder und Selbstmörder namenlos und ohne Stein oder Kreuz begraben wurden. Die Tradition der getrennten Bestattung stammt wohl aus vorchristlicher Zeit und wurde in Irland auf Geheiß des katholischen Klerus bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts praktiziert.
etwas besseres als den tod
fand ich nicht
bei meinem besuch auf dieser erde
Die irischen Cillíní waren einerseits geheime Orte, über die man nicht sprach — andererseits waren die Orte, an denen die Kinderfriedhöfe vor allem ab dem 17. Jahrhundert entstanden, mit Bedacht ausgewählt. Sie liegen oft an landschaftlich besonderen Orten wie auf den Höhen von Klippen, oft auch an einstmals heiligen oder wichtigen Orten mit Kirchenruinen oder vor-christlichen Monumenten wie Steinkreisen und Steinreihen — aber auch im Abseits, fern der täglichen Wege, „im Niemandsland zwischen zwei Dörfern“ (René Böll) oder gar im Zentrum eines Feenhügels.
Bis in die heutigen Tage sind diese Orte der ungetauften Kinder Irlands mit einem kollektiven Tabu belegt — und doch drückt sich schon in der bewussten Wahl des Ortes ein Motiv des erinnern Wollens aus, und doch gibt es heute, da die Kirchenlehre vom Limbus, dem Ort zwischen Himmel und Hölle, langsam einer Betrachtung gewichen ist, die der unschuldigen und doch unerlösten Kinderseele auch von Kirchenseite Hoffnung auf Rettung (!) macht. Vielerorts in Irland bemühen sich Menschen heute erfolgreich, die Erinnerung an die ungetauften Kinder Irlands zurück ins kollektive Bewusstsein zu holen, die Scham der eigenen Tradition zu überwinden und den offiziellen Segen der Kirche für die Orte der Ausgrenzung einzufordern.
leben konntest du nicht
mein kind ohne namen
es blieb ein stein nur am meer
Der Maler René Böll fühlte sich von den Cillíní auf Achill Island seit seiner Kindheit angezogen. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich nun „mit älteren Augen“ intensiv mit den Kinderfriedhöfen, den Orten und deren Bedeutung. Er suchte, identifizierte, fotografierte und dokumentierte auf Achill bislang über 20 geheime Friedhöfe — viele fand er mit Hilfe von Einheimischen, die noch um die Orte wussten und bereit waren, dieses Wissen zu teilen. Die Beschäftigung mit den Cillíní mündete in einem künstlerischen Projekt, mit dem René Böll dazu beitragen will, die vergessenen Kinder Irlands in die Erinnerung zurück zu holen und ihnen erstmals einen Teil ihrer verweigerten gesellschaftlich-kulturellen Identität zu schenken. Der Maler versteht seine meditativ-spirituelle Arbeit als „Spurensuche“, als Versuch, sich dem „einem rein optischen Sehen Verborgenen, Nicht-Existenzen anzunähern“. Böll malt in der ihm eigenen klassischen Technik mit besonderen Pigmenten und Malmaterialien. Die Ergebnisse des Projekts Cillíní sind jetzt in einer Ausstellung im LVR-Landesmuseum Bonn zu sehen.
René Böll hat mir freundlichweise den Katalog zur Ausstellung hier nach Irland geschickt und die Betrachtung von Digital-Kopien seiner Cillíní-Gemälde ermöglicht. Gerne würde ich — auch weil mich die Geschichte und Bedeutung der geheimen Begräbnis-Orte der vergessenen Kinder Irlands seit langem beschäftigt — die Originale betrachten. Fürs Erste nuss ich mich auf die Frage an Euch beschränken: Wer von Euch im Raum Köln-Bonn möchte die Ausstellung eimal besuchen und uns hier auf Irlandnews.com seine Eindrücke schildern? Eine Email an markus@irlandnews.com ist erwünscht. Hier die Details zur Ausstellung:
In der Ausstellung „Cillíní – Die Friedhöfe der ungetauften Kinder Irlands auf Achill Island“ im LVR-LandesMuseum präsentiert René Böll seine Bildkompositionen und die begleitenden dokumentarischen Fotografien der Orte und Landschaften, nicht im Kontext einer klassischen gehängten Raumpräsentation, sondern baut einen eigenen malerischen Landschaftsraum in die Ausstellung, die der Betrachter wie ein dreidimensionales Bild gleichsam umschreiten, betreten oder auch als reale Landschaftsgestaltung wahrnehmen kann. Das LVR-LandesMuseum Bonn stellt die Werke vom 2. Oktober 2014 bis zum 4. Januar 2015 aus. Der Begleitkatalog zur Ausstellung erscheint im Eigenverlag des Künstlers und kostet während der Ausstellung 14,90 Euro.
Informationen über Leben und Arbeiten von René Böll gibt es hier: www.rene-boell.de. Die jeweils drei-zeiligen Texte in der Tradition des Haiku stammen ebenfalls von Böll und sollen die visuelle Annäherung in der Dimension der Sprache übersetzen und weiterführen.
unter einem grauen stein
liegst du, kleiner mensch
achtlos der wanderer
Alle Bilder: © René Böll
Hugely evocative paintings and script. Reminds me a little of AE’s (George Russell’s) theosophical paintings. (Is unbaptised meant at one point in the first paragraph, I wonder). I have recently completed a long article on the social history of Limbo and cillíní, so this all resonates greatly with me. Maith thú.
Yes Liam, ungetauft = unbaptised. Would love to read your article. Has it been published?
Genau. D´Chille.
Hör ich in Cillíní etwa das allemannische „Chille/Kille“ für Kirche?
Die Tradition der getrennten Bestattung ist auch in Deutschland nicht unbekannt. Zumindest von kirchlichen Friedhöfen im ländlichen Bereich hier in Niedersachsen weiß ich, dass Ungetaufte, Selbstmörder, Mörder und Abtrünnige separat, entlang der Friedhofsmauer, bestattet wurden. Die Leichname wurden nicht – wie christlich üblich – nach Osten ausgerichtet, sondern quer beigesetzt. Zum einen galten sie eben nicht als Erlöste, denen das Paradies offen stand, zum anderen sichtbar für alle, dass Schande über sie gekommen war. Und das ist nicht nur katholische Tradition gewesen, sondern gleichermaßen evangelische und das auch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.
Danke, Susanne, ja das ist keine rein irische Geschichte — und dennoch in ihrer Radikalität hebt sie sich ab. Es gilt aber nicht, den Stab zu brechen über irgendwelche Täter — es geht um die gesamte Gesellschaft und ihren Stand in der Welt und der Zeit.
Ein zweiter wurde folgendermaßen in Erinnerung gebracht.
Immerhin hat sich die Denkweise doch geändert.
VIelen Dank für die Fotos, Peter!
Auf Achill haben wir auch schon einige der „Friedhöfe“ besucht.
Es gibt zumindest einen auf dem ein „Engel“ zur Erinnerung errichtet wurde.
Macht schon traurig, wenn man darüber nachdenkt, welcher „Geist“ damals vorherrschte.
Das klingt alles unendlich traurig !! Jetzt weiß ich auch wieder warum ich diese zum Teil sehr scheinheilige Kirche nicht akzeptieren kann. Was haben diese unschuldigen Kinder den schon groß getan um so „bestraft „zu werden ??? Und das schlimmste, alles akzeptieren es und machen mit …..