Hungry Hill_Wandern in Irland mit WanderlustWer in Irland auf perfektes Wetter wartet, wird sein Leben mit Warten verbringen. Sagt Mark. Wie alle Iren hat er ein freundlich ironisches Verhältnis zum Inselwetter und rät zu Pragmatismus: “Du machst morgens Deinen Plan für den Tag noch bevor Du die Gardinen aufziehst, und dann hältst Du daran fest, egal was Dir da draußen an Wetter begegnet.”.

Hungry Hill_Wandern in Irland mit WanderlustEs regnet, als wir um zehn Uhr zu unserer Umrundung des Hungry Hill aufbrechen. Temperatur knapp unter zehn Grad. Mark nennt dies “a soft day”.  Am Fuß des mächtigen Bergmassivs treffen wir zufällig Patrick, den Bauern, der sein Leben am Hungry Hill verbracht hat und von dem man sagt, er kennt den höchsten Berg auf der Beara Peninsula im Südwesten Irlands wie sein eigenes Wohnzimmer. Zwei, drei Mal pro Jahr  ist Patrick in seinem langen Leben – er ist nun 76 Jahre alt –  den Hill abgegangen, um nach seinen Schafen zu sehen.

Hungry Hill_Wandern in Irland mit WanderlustWandern in Irland mit WanderlustEs regnet. It is a soft day. Ja, an einem solchen Tag kann man auch Berge wie den Hungry Hill unterhalb der 550-Meter-Höhenlinie umrunden. Im dichten Nebel allerdings würde man nicht da hoch gehen. Patrick erklärt uns noch, dass der Berg (Cnoc Dáod) im Irischen und lokal der “Berg der zwei Gesichter” heißt und dass die Engländer ihn früher Angry Hill, den “Zornigen Berg” nannten — bevor die Geometer vom Ordnance Survey den massiven Gebirgsblock als “Hungrigen Berg” (Hungry Hill) in die Karten eintrugen und seinen Namen damit gewissermaßen verewigten.

Mark macht sichs gemütlichEs regnet den ganzen Tag. Mark macht es sich zwischendurch unter einer vorspringenden Felsplatte gemütlich. Ein bisschen Behaglichkeit muss sein, und eine gute Geschichte sollte man nicht für sich behalten: Der viel gereiste Ire war mit einem Tedesco, einem Deutschen, in Marokko in der Sahara unterwegs. Mitten in der Wüste werden die Beiden von Polizisten aufgegriffen. Sie werden nach Ihrer Nationalität gefragt. Der Deutsche kann gehen. Der Ire wird sofort verhaftet. Nach einer Woche Internierungslager erfährt Mark warum. Der marokkanische Polizist, der ihn festgesetzt hat, sagt ihm: “Von Irland kenne ich nur zweierlei: “Chris de Burgh und die IRA” . Und die IRA hatte mit der Polisario zu tun, die gegen Marokko um die Unabhängigkeit der West-Sahara kämpfte. Mark ist jedenfalls längst wieder frei und sitzt nun gemütlich unter der Felsplatte und verspeist einen Apfel. “A drink and a leak”; dann geht es weiter.

Wie schön der Regen ist. Wie schön der mächtige Berg im Regen steht. Die Felsen, die Gesteinsbrocken, die schmelzende Gletscher nach der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren in der Landschaft zurück ließen, glänzen, als hätte sie der Regen poliert. Der Berg steht im Nebel. Schön und bedrohlich. Nur milde zornig. 9 Grad. Handschuhe wären eine Möglichkeit.

Es regnet, als wir unsere Runde am späten Nachmittag beenden. 12 Kilometer und 1000 Höhenmeter weiter. Wir haben die Augen des Berggesichts gesehen, wir sind auf den Augen-Lidern gegangen, aus denen sich die Tränen der Wasserfälle lösen — einer davon ist “Mare´s Tail”, Irlands höchster Wasserfall (davon demnächst mehr an dieser Stelle). Wir haben die beiden einsam und versteckt gelegenen Gletscherseen bewundert. Wir sind durch Moor und sumpfige Wiesen, durch Bäche und durch Gletscherdurchbrüche gegangen. Wir sind stellenweise gekraxelt, manche auf allen Vieren. Wir sind entgegen traditionellem Rat über 550 Metern Höhe in dichtem Nebel gegangen. Das GPS führte uns sicher an steilen Klippen und gefährlichen Abgründen vorbei. Technik macht das kleine Abenteuer kalkulierbar.

Zurück in der Comfort Zone. Es ist eine Wonne, nach einem Tag am Berg aus den Schuhen zu steigen, das schwere Regenzeug abzulegen und das kleine Wunder zu bestaunen: Unter der schüzenden Kleidungsschicht, unter der atmenden Außenhaut aus High-Tech-Kunststoff, ist alles trocken und warm. Der alte Spruch fällt mir ein, der so langweilig wie richtig ist: “Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.”

Rund um den Hungry Hill

Zwei Tage später (oder waren es drei?): Ein Blauer-Himmel-Tag. Jetzt gehen all die in die Berge, die gerne warten. Die Entscheidungen erst treffen, nachdem sie am Morgen die Gardinen aufgezogen haben.

Wandern in Irland. Mit Wanderlust

Alle Fotos: Markus Bäuchle / Wanderlust 2012-13. Dies ist die aktualisierte Version eines Beitrags vom 21. Mai 2012.