Sturm Éowyn fegte am frühen Morgen des 24. Januars zerstörerisch über Irland. Heute, fast zwei Wochen später, sind noch immer tausende Haushalte ohne Strom, andere ohne Wasser oder Internet. Hilfs-Teams aus Österreich, Deutschland und Finnland helfen bei der Wiederherstellung der Infrastruktur. Éowyn war einer der stärksten Stürme, den die Insel jemals erlebt hat, mit Rekordwindgeschwindigkeiten von 183 km/h. Der Schaden wird auf 200 Millionen Euro beziffert, Éowyn liegt damit auf Rang vier der zerstörerischsten Unwetter auf der Insel.
Dennoch ist Irland ein sturmerprobtes Land. Schwere Winter-Orkane toben hier regelmäßig, in manchen Jahren gleich eine ganze Handvoll. Viele Menschen reiben sich deshalb verwundert die Augen, wie schlecht vorbereitet sich das Land nun in Wirklichkeit zeigt. Wie kann es sein, dass tausende Häuser von ursprünglich über 750.000 auch zwei Wochen nach dem Unwetter noch immer keinen Strom haben, dass zahlreiche Irinnen und Iren bei Nachbarn, Freunden, Famile duschen und waschen müssen – schlimmer: dass tausende Familien ihre Häuser verlassen mussten, weil sie sie mangels Strom noch nicht einmal mehr heizen konnten, weil sie kein Wasser herbeigepumpt bekamen und weil sie kein Essen kochen konnten?
Die fahrlässige Vorwärtsstrategie, die Energieversorgung in Irland im Hauruckverfahren ohne Absicherung komplett auf Strom umzustellen, rächt sich nun – und den Preis bezahlen nicht die Betreiber der riesigen stromfressenden Datenzentren im Großraum Dublin und auch nicht die Bewohner der Hauptstadt. Den Preis bezahlen die Menschen in den ländlichen Gegenden der Westküste und der Midlands, in Connemara, Donegal, in Roscommon oder Longford. Seit einigen Jahren dürfen in Irland neue Häuser nicht mehr mit Kaminen gebaut werden. Die Wärmepumpe ist jetzt das Maß der Dinge. Holzöfen, Ölheizungen und Gasherde wurden im Namen des Klimaschutzes aus der irischen Moderne verbannt. Doch nun sehnen sich viele Insulaner in ihren winterkalten vier Wänden nach dem wärmenden Kaminfeuer, dem zentralen Holzofen in der Küche („Stanley“) und dem Gasherd zurück.
Viele unzufriedene Stimmen werden zitiert: Man werde von der Regierung in Dublin erst gemaßregelt und dann im Stich gelassen. Angesichts der Gefahr zunehmend schwerer Stürme sei das Land schlecht vorbereitet. Die Regierungen hätten es trotz guter Finanzlage versäumt, endlich eine wetterfeste Infrastruktur auzubauen. Die Regierung hätte nach Éowyn den Katastrophenfall ausrufen müssen. Jetzt müsse es ein Zurück zu fossilen Energien, zu Kamin und Ofen zumindest für den Not- und Katastrophenfall geben. Die vielen Stimmen sind in den Medien hörbar, doch sie formieren sich nicht zu einem stimmgewaltigen Chor – und damit wird es der Regierung wohl wieder leicht gemacht, mehr oder weniger routiniert zur Tagesordnung überzugehen.
Wer glaubt, dass Versäumnisse und Versagen der Entscheider in unseren Demokratien besser, offener und wirkungsvoller aufgearbeitet würden als in autoritären Regimen, der könnte sich irren. Die irische Regierung hat nach vergangenen Sturm- und Flutkatastrophen genauso wenig Verantwortlichkeiten benannt und Lehren gezogen, wie es die demokratisch gewählten Regierungen in fast ganz Europa nach der Corona-Pandemie getan haben: Eine ehrliche Aufarbeitung der Pandemie und vor allem des katastrophalen politischen Umgangs mit ihr wird von der politischen Klasse und den tonangebenden Medien nicht gewünscht und systematisch verhindert.
Fest steht derweil: Die nächsten Winter-Orkane werden schon bald über die Insel Irland ziehen – und die nächste globale Pandemie ist wahrscheinlich auch längst in Vorbereitung.
Foto: Markus Bäuchle
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Jetzt wird schon die Corona-Pandemie mit Stürmen verglichen, und parallelen bei der politischen Aufarbeitung gezogen. Puh, starker Tobak ………….
Aber immerhin, fossile Brennstoffe haben geholfen die Folgen eines Sturmes, der zum Teil auch dem Klimawandel zugeschrieben wird abzumildern. Welche Ironie.
Unabhängig davon: Bleibt gesund, und hoffentlich auch weiterhin wenig Schäden nach Stürmen.
Ich glaube es fällt Menschen schwer aus der Vergangenheit zu lernen und dabei die eigene Schuld aufzuarbeiten. Fast immer endet es in Schuldzuweisungen, die niemandem weiterhelfen. (Johannes 8,7)
Ich sehe das täglich in meinem Beruf. Ohne einen kompetenten, neutralen Moderator und der Zusage, dass niemandem eine Schuld vorgeworfen wird, ist eine Retrospective, anhand derer aus Fehlern gelernt werden kann, nicht möglich.
Wie soll das in einer Gesellschaft funktionieren, in der noch heute über den Kniefall von Willi Brandt kontrovers disskutiert wird.
p.s. ich habe noch eine Kamin und einen Stanley.
Ja, ich auch, lieber Dieter. Hier fällt noch immer so oft der Strom aus. Deshalb: Kamin, Ofen, Gasherd, Photovoltaik-Anlage (die abstruserweise ohne Netzstrom nicht laufen darf), Solarlichter, Generator. Wobei wir im letzten Sturm Glück hatten.
Lieber Markus, das ist traurig zu lesen. Im County Galway durfte ich vor wenigen Tagen völlig zerstörte Wälder wie beispielsweise Barna Woods sehen. Die riesigen Bäume einfach entwurzelt aus der eh dünnen ErdoberFläche, die nur wenigen Halt bietet. Vielleicht kann man von Glück sprechen, dass die Bäume noch keine grossen Blätter trugen – der WindWiderstand wäre noch grösser gewesen.
Die liegengelassenen Bäume auf Spazier- & WanderWegen empören NaturLiebhaber und das lokale «Gouverment» scheint sich nicht wirklich darum kümmern zu wollen. BrennHolz wäre ja jetzt vorhanden, doch die Öfen scheinen nun zu fehlen. Es erinnert mich an die WaldGegend von Gougane Barra, voll mit modernden BaumStämmen als Zeugen einer irischen Kultur, die daran offensichtlich nichts ändern mag.
Vielleicht kommt ja daher der Begriff «sich gegen etwas aufbäumen». Ich wünsche allen Betroffenen die Kraft, sich gegen das Etablishment «aufzubäumen» und durchzusetzen, sodass wieder Ruhe und Frieden Einzug erhalten kann.
Liebe Grüsse Lorenzo