Copyright IrlandTouristen, Einheimische, Total-Laien, ambitionierte Amateure und Foto-Profis knipsten mit Handy und Digitalkamera alleine im Sommer 2013 in Irland über 80 Millionen neue Fotos von Irland. Über Facebook, Snapchat, Instagram, Email und Blogs wurden 800 Millionen Kopien in den globalen digitalen Raum geschoben. Irland satt.

Diese Aussage habe ich gerade erfunden. Sie könnte aber dennoch wahr sein, wahrscheinlich ist sie sogar untertrieben.

“Wir amüsieren uns zu Tode” prognostizierte im vergangenen Jahrhundert der damals angesagte Kulturkritiker Neil Postman. 30 Jahre später dürfen viele von uns mit Recht behaupten: “Hurra, wir leben noch” . Wir leben, vielleicht und gerade, weil wir uns dem Dauer-Amüsement entzogen haben. Die Dekonstruktion der Wirklichkeit hält derweil unvermindert an, beschleunigt sich in der Logik einer Nullfolge. Der Medien-Professor Postman beschrieb in den 80-er Jahren die Entleerung jeglicher Inhalte durch die Bilderflut des Massenmdiums Fernsehen. Er warnte vergeblich vor der fortschreitenden Infantilsierung der Menschen und dem Verfall von Urteilsbildung, Schamgefühl und Moral.

Mit dem Internet und der potenzierten digitalen Verfielfachung der Bilderflut sind wir längst drei Schritte weiter und weit über Postman´s Alpträume hinaus. Die digitale Welt absorbiert die alte “authentische” Realität. Digital-Zeit und Echt-Zeit verschmelzen. Google Glass schiebt sich auf unsere Nasen. Heute morgen beklagt Ulrich Greiner in der “Fünf vor 8:00”-Kolumne von Zeit Online den so religiösen wie blöde-verblödenden Bild-Kult der Gegenwart:  

“Manchmal wünscht man sich in die Zeit der Höhlenmalerei zurück, in der Bilder noch etwas Seltenes und Kostbares waren. Heute, da fast jeder ein Handy bei sich trägt, bleibt nichts mehr ungefilmt und unfotografiert. Wir ertrinken in einer Flut von Bildern, ohne es eigentlich zu merken.

 Wann immer uns etwas begegnet, das als sehenswert gilt, reißen wir die Arme hoch und blicken auf das Bild, das die Kamera uns zeigt. Dieses Hochrecken der Arme war einst ein Zeichen der Unterwerfung oder des Jubels. Heute ist es Zeichen einer neuen Blindheit. . . .

Der Fotowahn entspringt keinem rationalen Kalkül. Er verrät einen technisch hochgerüsteten Fetischismus, für den im Ernst nur das wirklich ist, was von einem Bild beglaubigt werden kann. Kein Abitur ist wahrhaft bestanden, kein Ja-Wort gegeben, kein Geburtstag gefeiert, wenn es nicht hundertfach Ablichtungen davon gibt.

 In Adalbert Stifters Nachsommer besucht der Held eine Aufführung des Lear am Burgtheater und wird davon zu Tränen gerührt. Er empfindet das, was er auf der Bühne sieht, als “die wirklichste Wirklichkeit”, als eine Wirklichkeit höherer Ordnung. Diese höhere Ordnung wird von der Kunst gestiftet, sie hat religiösen Charakter.

 Auch der Bildfetischismus hat religiösen Charakter. Doch wir sind, um bei dem Vergleich zu bleiben, von einer hochentwickelten Schriftreligion, wie sie für Stifter selbstverständlich war, auf eine archaische Schwundstufe zurückgefallen, die für Analphabeten gemacht scheint. Nur wenige Zeitschriften vertrauen noch der Macht des Wortes allein, und ihre Auflage ist gering. Medien mit großer Verbreitung überbieten einander mit der Größe und Menge ihrer Bilder.”

Greiner hat recht. Aber hilft sein Lamento auch weiter? Können wir uns der Bilderflut entgegenstellen, der Musikflut, der Info- und der Wissens-Flut, können wir die große Malaise beeinflussen, mildern, gar beenden? Wie auch. Als Dinousaurier der digitalen Welt ( Menschen ab 35) haben wir aber mindestens vier Handlungs-Optionen:

1. Wir lamentieren weiter und leiden an der großen Malaise. Wir sind altmodisch, aus der Zeit gefallene Krittler.

2. Wir ignorieren die große Malaise und verweigern uns. Wir sind komplett aus der Zeit gefallen, leben immerhin unseren kleinen rebellischen Impuls.

3. Wir schwimmen mit und höhlen uns weiter aus. Wir sind zeitgemäß, am Arsch und es tut gar nicht weh. Nur manchmal vielleicht . . .

4. Wir reiten die Welle der digitalen Flut. Wir sind tragische Meister. Wir beschränken uns selbst, wir genießen den temporären Verzicht, wir setzen auf Qualität  und vertrauen darauf, dass Qualität zumindest in Nischen überleben wird.

Welche Option wählt Ihr?