Ferns Cathefral

St. Edan’s Cathedral, Europas kleinste Kathedrale. Auf dem kleinen Friedhof finden sich die Gräber einiger geschichtlich bedeutsamer Personen wie das von König Dermot MacMurrough oder das von Father John Murphy, dem Anführer der 1798er Rebellion

Ortstermin in Ferns im Südosten Irlands: Das kleine Ferns in der  Grafschaft Wexford präsentiert sich wie ein verträumtes Postkarten-Dörfchen für Irland-Touristen, ideal für einen Foto-Stopp: Gleich am Ortseingang steht ein schmuckes kleines Cottage mit Strohdach. Direkt daneben befindet sich eine Kirche (übrigens die kleinste Kathedrale Europas) mit einem alten Friedhof und dahinter die Ruine einer Abtei aus dem 12. Jahrhundert. Am nordwestlichen Rand des Dorfes erhebt sich die Ruine einer Normannen-Burg.

Ein beschaulicher Ort, fotogen, verträumt. Und doch: Hier wurde Geschichte gemacht. Ferns war einst Sitz der Könige der Provinz Leinster. Von hier aus herrschten sie über eine der fruchtbarsten Regionen Irlands, die auch das strategisch wichtige Dublin einschließt. Und hier in Ferns, genauer: auf dem alten Friedhof neben der Kathedrale St. Edan’s, liegt Dermot MacMurrough (1110-71) begraben, der als der Mann in die Geschichte einging, der die Normannen nach Irland holte und damit einen der am längsten anhaltenden Konflikte heraufbeschwor.

Das Grab in Ferns Irland

Das Grab von König Dermot MacMourrough (1110-1171) auf dem Friedhof von St. Edan’s in Ferns, Co. Wexford. Ursprünglich ragte über dem Grab ein Hochkreuz auf, das während der Invasion Cromwells zerstört wurde

Inmitten der anderen Gräber ist es ein recht unauffälliges Grab, eigentlich kaum der Rede wert. Ein Besucher läuft schnell daran vorbei, schenkt der Stätte, an der nichts weiter zu sehen ist, als der abgebrochene Schaft eines Hochkreuzes, kaum Beachtung. Wäre daneben nicht die kleine, fast verwitterte Steintafel mit dem Hinweis auf eben jenen Dermot MacMurrough, bei dessen Namen man stutzt, sich erinnert, um dann in Gedanken 800 Jahre in der Zeit zurückzureisen.

Irland im 12. Jahrhundert ist politisch in kleine und kleinste Königreiche und Clans zersplittert, deren Anführer miteinander im Streit liegen, jeder auf seinen Vorteil und Machterhalt erpicht. Über Dermot MacMurrough heißt es, er war niederträchtig und hinterhältig, aber auch gewieft. Er, der bereits mit fünfzehn Jahren den Thron von Leinster bestiegen hatte, hatte schnell gelernt, sich durchzusetzen. Er zog es vor, gefürchtet, anstatt geliebt zu werden. Konkurrenten ließ er aus dem Weg räumen, ihnen die Augen ausstechen oder sie kastrieren, damit sie keinen Nachwuchs produzieren konnten. 1166 allerdings wandte sich das Blatt: Seine Widersacher verbündeten sich, ihr Angriff erwischte den alternden König unvorbereitet.

Die Abtei von Ferns

Die Ruine von St. Mary’s Augustian Abbey in Ferns, 1158 von Dermot MacMurrough gegründet. Im Winter 1167/68 fand Dermot hier Zuflucht, während er auf die Ankunft der Normannen wartete

Dermot floh ins Exil, mit Frau, Tochter (die noch eine wichtige Rolle spielen sollte) und Gefolge. Als Jugendlicher hatte er mit ansehen müssen, wie Widersacher seinen Vater umbrachten und zur Demütigung zusammen mit einem Hund verscharrten. Ein ähnliches Schicksal befürchtend, setzte sich Dermot nach Frankreich ab. Dort handelte er mit Heinrich II., Herzog der Normandie und außerdem König von England, ein folgenreiches Abkommen aus: Als Gegenleistung für militärische Unterstützung sollte Heinrich Ländereien in Irland erhalten. Der Rest ist bekannt: Im Frühjahr 1169 landeten Heinrichs Anglo-Normannen in Irland – und blieben. Es folgten achthundert Jahre Besetzung und Unterdrückung.

In den Augen der Iren gilt Dermot deshalb als Verräter, der sein Land verkauft und dem ärgsten Feind die Hintertür geöffnet hatte. Doch bei Licht betrachtet hatte Dermot nur getan, was jeder andere Herrscher in einer ähnlichen Notlage wohl ebenfalls getan hätte: Er wandte sich an einen Verbündeten. Viele irische Chieftains unterhielten Kontakte zu Clan-Chefs entlang der Westküste Englands. Der fatale Unterschied bestand darin, dass Dermots Verbündeter eine militärische Supermacht mit einem ungesättigten Hunger auf neue Ländereien befehligte.

Die Normannen, Nachfahren der Wikinger, waren auf groß angelegte und gut koordinierte Eroberungszüge spezialisiert. Normannische Gruppen hatten Süditalien erobert und England, und auf Kreuzzügen im Nahen Osten den Sarazenen das Fürchten gelehrt. Mit den irischen Kriegern hatten die normannischen Ritter, obwohl in der Unterzahl, leichtes Spiel. Im Handumdrehen hatten sie Dermots Königreich zurückerobert. Im August 1170 fiel die Hafenstadt Waterford nach heftigem Widerstand. Dublin ergab sich kampflos wenige Wochen später im September.

Das Schloss von Ferns

Die Ruine von Ferns Castle, erbaut ca. 1220 während der Herrschaft der Anglo-Normannen, bevor Ferns an strategischer Bedeutung verlor

Shakespeares Richard III. bot ein Königreich für ein Pferd. Der gewiefte Dermot bot seine Tochter für ein Königreich – und hatte mehr Erfolg. Ein Teil der Abmachung mit Heinrich II. sah vor, dass der Anführer der Anglo-Normannen, der ehrgeizige Richard de Clare (1130-1176), besser bekannt als “Strongbow”, außer Ländereien auch Dermots Tochter Aoife zur Frau erhalten würde. Dies eröffnete völlig neue politische Perspektiven, erwarb Strongbow dadurch doch einen legitimen Anspruch auf Dermots Thron. Es winkten nicht nur Ländereien, sondern auch die Gründung einer neuen Herrscher-Dynastie. Kaum war die Stadt Waterford erobert, drängte Strongbow zur Trauung – eine englisch-irische Hochzeit mit Symbolwert.

Doch Luftschlösser zerbrechen bekanntlich leicht und Königreiche zerfallen früher oder später. Weder Dermot noch Strongbow konnten sich lange ihres Sieges erfreuen. Dermot starb im Frühjahr 1171 in seiner zurückeroberten Residenz in Ferns, plötzlich und unerwartet (es wird gemunkelt, die Natur hatte ihn als Strafe für seinen Verrat innerlich verfaulen lassen). Schwiegersohn Strongbow, obwohl legitimer Thronerbe, musste seinem Lehnsherren Heinrich II. das Feld überlassen. Die englische Krone hatte Irland nun fest in der Hand, und würde so schnell nicht loslassen.

Von all dem sollte Dermot nichts mehr mitbekommen. Er starb im seeligen Glauben, sein Königreich zurückerobert und seiner Tochter einen treusorgenden Gatten verschafft zu haben, und ruht nun in seinem Grab unter dem Hochkreuz-Stumpen. Wie das Grab eines Königs sieht es wahrlich nicht aus. Oder ist es eher das Grab eines Verräters?

Am Tag meines Besuchs in Ferns folgte mir ein herrenloser Hund, ein freundlicher Boxer-Mischling, der sich über Gesellschaft bei seinem Spaziergang freute. Während ich am Grab von Dermot MacMurrough verweilte und über die Ereignisse sinnierte, die den Verlauf der irischen Geschichte ändern sollten, stromerte er auf dem Friedhof herum und beschnupperte eifrig Grabsteine. Er schien sich bestens auszukennen: Am Grab von Dermot MacMurrough hob er das Bein, um seinen persönlichen Kommentar zur Geschichte abzugeben …

 

Alle Fotos: © Dirk Huck