Woher kommst du wirklich

Woher kommst Du wirklich? Wie leicht es ist, ein Rassist zu sein – oder zumindest als Rassist zu gelten. Tagtäglich bekommen wir nun schmerzhafte Lektionen in korrektem Sprechen erteilt, wir erfahren was wir alles nicht mehr sagen sollen und dürfen. In der vergangenen Woche löste Lady Hussey, eine alte Freundin der verstorbenen Queen, auf der Nachbarinsel einen prächtigen Skandal aus. Sie hatte Ngozi Fulani, einer schwarzen Britin am Rande eines Empfangs im Buckingham Palace die falschen Fragen gestellt, ihr dazu noch ans Haupthaar gefasst. Ngozi Fulani, Chefin der Charity Sistah Space, beschwerte sich öffentlich und löste einen riesigen Wirbel aus.

Die 83jährige Susan Hussey, Mitglied des Königshauses, führte den folgenden Dialog und sah sich daraufhin dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt:

Lady Hussey: Woher kommst du?
Ngozi Fulani: Sistah Space.
Lady Hussey: Nein, woher kommt ihr?
Ngozi Fulani: Wir sind in Hackney ansässig.
Lady Hussey: Nein, aus welchem Teil von Afrika kommt ihr?
Ngozi Fulani: Ich weiß es nicht, sie haben keine Aufzeichnungen hinterlassen.
Lady Hussey: Du musst doch wissen, wo du herkommst, ich habe eine Zeit lang in Frankreich gelebt. Woher kommst du?
Ngozi Fulani: Von hier, aus Großbritannien.
Lady Hussey: Nein, aber welche Nationalität haben Sie?
Ngozi Fulani: Ich bin hier geboren und bin Britin.
Lady Hussey: Nein, aber woher kommen Sie wirklich, woher kommt Ihr Volk?
Ngozi Fulani: ‘Mein Volk’, Lady, was ist das?
Lady Hussey: Oh, ich sehe schon, es wird schwierig werden, Sie dazu zu bringen, zu sagen, woher Sie kommen. Wann sind Sie zum ersten Mal hierher gekommen?
Ngozi Fulani: Lady! Ich bin britische Staatsbürgerin, meine Eltern kamen in den 50er Jahren hierher, als…
Lady Hussey: Oh, ich wusste, dass wir am Ende darauf kommen würden, Sie sind aus der Karibik!
Ngozi Fulani: Nein, Lady, ich bin afrikanischer Herkunft, karibischer Abstammung und britischer Nationalität.
Lady Hussey: Oh, Sie sind also von…
(Transkript der überlieferten Unterhaltung laut BBC, übersetzt) 

Woher kommen Sie wirklich? Während Wohlmeinende der alten Dame reine Ungeschicklichkeit attestierten, sahen sich Kritiker der Königlichen Familie einmal mehr bestätigt: Hinter den Palastmauern blühe der Rassismus einer weißen Elite wie eh und je. Die Lady jedenfalls wurde von den Royals sofort aus dem Verkehr gezogen, sie legte ihre Ehrenämter im Palast flugs nieder.

Völlige Fassungslosigkeit in Irland

Völlige Fassungslosigkeit löste der englische Disput in Irland aus. Denn die Fragen, die einer englischen Lady nun zum Verhängnis wurden, gehören hier zum Standard-Repertoire der Konversation. Wenn sich auf der Insel zwei Fremde treffen (Marketing-Sprech: Freunde, die sich noch nicht begegnet sind), fällt die Frage nach dem Woher – nach Begrüßungs- und Wetterfloskel – spätestens im dritten Satz: “Where are you from” – “Wo sind Sie her” galt bislang als die zugegeben neugierige und doch unschuldige Schlüsselfrage zur besseren Einordnung des Gegenübers: Im tribalistischen Irland würde man vom Herkunftsort im nächsten Schritt auf die gemeinsamen Bekannten und Freunde und natürlich auf die Familie des Gesprächspartners schließen – nach zwei, drei Minuten standardisiertem Smalltalk wissen beide Seiten in etwa, mit wem sie es zu tun haben.

Dieses Smalltalk-Muster aus den Zeiten, als Irland eine mehr oder weniger abgeschottete Insel war, als der Ausländer-Anteil unter 0,5 Prozent lag, als die Iren unter sich waren, führt nun zunehmend zu Missverständnissen, Verstimmung und Kontroversen: 13 Prozent der Bevölkerung Irlands stammen heute aus einem anderen Land, und viele Blow-ins, Hereingewehte, wie wir gerne genannt werden, sehen sich regelmäßig mit der nachgeschobenen Frage konfrontiert: “Ja, aber wo kommst Du wirklich her?”.

Mein hartnäckiger deutscher Akzent verrät auch nach all den Jahren zuverlässig, dass meine Familie nicht seit zehn Generationen in West Cork lebt, dass ich kein Ire bin. Ich komme aus Glengarriff, gerade eben und auch all die vergangenen 22 Jahre – doch viele Gesprächspartner wollen nun wissen, woher ich “wirklich komme”. Mal ist die Frage unschuldig, mal ungeschickt, mal unterschwellig ablehnend und manchmal bewusst verletztend. Im besten Falle signalisiert sie Interesse am anderen, im schlimmsten bedeutet sie ihm, dass er nicht dazu sondern zu den anderen gehört, oder dass sie weder gleich noch gleichwertig ist. Die Grenzen zur Fremdenfeindlichkeit sind dann fließend.

Ich habe die Frage nach der “wirklichen Herkunft” auch allzu oft gehört – und je nach Gegenüber (und eigener Stimmungslage) wirkte sie ausladend und ausgrenzend, vermittelte die klare Botschaft: “Du bist keiner von uns”. Othering nennt die englischsprachige Fachwelt dieses Phänomen der ebenso subtilen wie deutlichen Distanzierung und Abgrenzung. Eine gute deutsche Übersetzung gibt es nicht, VerAnderung und Fremd-Machung lassen erahnen, was gemeint ist.

Dieses soziale Machtspiel von Akzeptanz und Ablehnung, von “Wir und Ihr” ist ein Viel-Dimensionales. Neben Nationalität und ethnischer Zugehörigkeit können auch das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, die Religionszugehörigkeit, die politische Überzeugung oder der soziale Status darüber entscheiden, ob jemand dazu gehört oder nicht.

Die Irish Times-Kolumnistin Róisín Ingle hat sich im Gegensatz zu vielen Landsleuten intensiv mit dem Othering auseinandergesetzt und interessante Schlüsse für sich gezogen. Sie schreibt in ihrer aktuellen Kolumne:

“Manchmal fragte ich sogar: “Macht es Ihnen etwas aus, wenn man Sie fragt, woher Sie kommen?” und erhielt interessante Antworten von “natürlich nicht, ich habe braune Haut und spreche mit einem indischen Akzent” bis hin zu “es ist einfach sehr langweilig nach dem 15. Mal.

Meine Freundin asiatischer Herkunft sagte mir, sie betrachte dies als einen angeborenen Teil der irischen Neugier. “Sie wird in der Regel mit Herzlichkeit ausgeteilt, als Teil der natürlichen irischen Vorliebe, jede Begegnung mit Plauderei zu unterfüttern und auf gut gemeinte Weise nach Informationen zu graben”.

Neugier hin, Herzlichkeit her: Die Frage “Woher kommst Du wirklich?” hat nun auch in Irland, dem Land des freundlichen Alltags-Verhörs, ihre Unschuld verloren.

Foto: Eliane Zimmermann