Sackgasse digitale Fotografie: Ich bin Hobby-Fotograf mit einer Vorliebe für Landschaften. Die Entwicklung der digitalen Landschafts-Fotografie bereitet mir allerdings Augenschmerz und Überdruss. Deshalb einige provokative Anmerkungen mit einem Schuss Polemik und dem Wunsch, dass Anders-Denkende ( zum Beispiel angesprochene Fotografen) ihre Praxis erklären. Auf Photo-Shaming anhand von Beispiel-Fotos wurde bewusst verzichtet.
20 Jahre machen den Unterschied
Es ist gerade 20 Jahre her. Wir ließen uns von Fotografien in Bildbänden, in Reiseführern oder bei Dia-Vorträgen einstimmen auf das wirkliche Erlebnis. Bald würden wir reisen und den Ort selber in seiner wahren Schönheit sehen und genießen. Vor-Freude.
Heute hält kein Ort mehr den Ab-Bildern stand, die von ihm im Internet zirkulieren. Die Wirklichkeit ist ein blasser Abklatsch ihrer Ab-Bildungen geworden. Ent-Täuschung. Oder?
Was ist geschehen? Ich kann mich nicht genau erinnern, wann der Total-Riss erstmals sichtbar wurde zwischen der Wahrnehmung des menschlichen Auges und den Produkten digitalen Abbildens. Es war ein Prozess mit eskalierenden Brüchen. Einst geschätzte FotografInnen wechselten einer nach der anderen das Lager, verschwendeten sich an die Verfälschung des Wahrgenommenen. Der Druck, sich vom Fußvolk der Fotografie zu unterschieden, schickte die Professionellen im Konvoi in die Diaspora der Wahrnehmung: Fake pics.
Vermeintlich perfekt mit geheimnisvollem Makel
Fake Pics. Photo Porn. Phantasie-Landschaften wie aus einem Herr-der-Ringe-Film, Flüsse, in denen gefrierende Photoshop-Milch fließt, tief hängende Wolken-Monster, ein verzerrter Raum, der den Betrachter zu verschlucken droht und gleichzeitig seltsam platt wirkt, obszön aufdringliche Farben und eine Intensität, die die Natur dem menschlichen Auge niemals so zumuten würde wie es ein smartes Foto aus dem iPhone X tut. Vermeintlich perfekte Fotos mit einem geheimnisvollen Makel, Ab-Bilder von Landschaftsobjekten, die sich über ihren Gegenstand erheben, indem sie ihm seine Einmaligkeit absprechen. Denn jedes digitale Ab-Bild kann jederzeit beliebig mutieren.
Fake Pics, die verfälschten Abbildungen von existierender Landschaft, sind die visuellen Entsprechungen der wirklichen Fake News. Sie sind die Negierung der Wahrheit und gleichzeitig die Flucht aus der Wirklichkeit. Sie sind im besten Falle Phantasie, doch sie sind niemals Kunst: Denn Kunst ist die Auseinandersetzung des Menschen mit Inhalt. In der digitalen Fotografie kreiert die Technologie das Bild, der Chip ist der Kreative, die abgebildete Landschaft ist immer dieselbe, dem Menschen bleibt das mehr oder weniger geschickte Drehen an digitalen Reglern.
Während die Natur leidet, während die Landschaften der Erde immer armseliger werden, ausgeplündert, verbaut, zersiedelt, zerstört, versteigt sich deren Darstellung in immer neue Phantasmen. Je mehr die Erde leidet, desto bombastischer und großartiger werden die Abbildungen von ihren letzten heilen Inseln. Die Wahrnehmung unserer professionell Wahrnehmenden krankt am David-Attenborough-Syndrom. Alles so schön heile Welt hier, oder nicht?
Auf der Roten Liste der aussterbenden Berufe
Die Digitalisierung hat die Fotografie als altes analoges Handwerk abgeschafft. Keine 200 Jahren nach der Erfindung der Fotografie hat die digitale Nivellierung und Demokratisierung das Handwerk des Fotografen auf die Rote Liste der aussterbenden Berufe gedrängt. Die Grenzen zwischen Laientum, Amateurismus, Hobby und Profession sind längst unkenntlich geworden.
Heute ist jeder, der ein Smartphone einigermaßen gerade halten kann, ein Fotograf; jede, die sich ein zeitgemäßes Smartphone leisten und dessen Kamera halbwegs bedienen kann, eine Fotografin. Abermillionen Fotos von Alltags-FotografInnen fluten täglich das Internet. Es gibt kein Entkommen. Da will der um seine Existenz kämpfende Profi wenigstens der bessere Fälscher sein, nie zuvor gesehene Ästhetik produzieren um jeden Regler-Preis. Doch am Photoshop-Regler sitzen auch die anderen. So entstand ein Wettkampf um die immer extremere Verfremdung der Ab-Bilder.
Um sich die flüchtige Aufmerksamkeit der gierenden, sich an immer gewagtere Interpetationen gewöhnenden Augenpaare zu sichern, ist keine Interpretation des Gesehenen extrem genug. Die Verzückung des sehenden Publikums muss immer neu entfacht werden. Die Foto-Galerie wird zur Freak Landscape Show.
Eine ganze Generation von Landschafts-Fotografen hat sich in den vergangenen Jahren an die Idee verschwendet, die Abbildung der Wirklichkeit von der Wirklichkeit maximal zu entkoppeln. Mit eingebauter Digital-Technolgie, mit Filtern, Boostern und Photoshop-artigen Manipulations-Programmen, mit digitalen Objektiven, mit Hue-and-Vibrance-, mit Shadows- und mit Highlight-Reglern, giert der Professional nach dem verlorenenen Status und der knappen Ware Aufmerksamkeit. Die Exklusivität des Berufsstandes ist ihm längst abhanden gekommen. Er fühlt sich und ist tatsächlich in die Enge getrieben. Jede ist heute ein Fotografin. Smartphones liefern dem blutigen Laien heute oft technisch bessere Fotos, als den Alt-Meistern der konventionellen Fotografie mit ihrem längst unterlegenen Equipment. Wo bleibt da der Profi?
Gibt es eine angemessene Bildsprache für die Gegenwart?
Es ist dringend notwendig, eine neue, für unsere Zeit angemessene Bildsprache auch in der Landschafts-Fotografie zu finden und zu entwickeln. Die Kriterien mögen altmodisch erscheinen: Abbilden, was ist, Zeigen, was war. Authentizität statt Effekthascherei. Genaue Beobachtung, das Gefühl für den richtigen Ort und für den richtigen Augenblick. Ob es diese Bildsprache gibt, müssen die fotografierenden Profis herausfinden, und das am Anfang einer Epoche, in der das Standbild, die Fotografie, in den aufziehenden virtuellen Welten der visuellen Parallel-Universen zu versinken droht. Wer schaut schon langweilige Fotos mit der Datenbrille?
Uns droht das Ende der Fotografie. Das Ende könnte so aussehen: Ich stehe an einem grauen Tag auf dem Carrauntoohil und mache eine Panoramaaufnahme von den umliegenden Bergen Kerrys. Das entstandene Grau-in-Grau-Foto in meiner Digitalkamera wird dank Ortungsfunktion und Datenbank-Verbindung gegen das „perfekte“ Foto, irgendwann von irgendwem bei besten Lichtverhältnissen fotografiert und in die globale Bilddatenbank Google-Perfect-Pic-Porn eingestellt, in Sekundenschnelle ausgetauscht. (Das Foto gibt es natürlich im Austausch für mein Bewegungsprofil „umsonst“). Meine letzte Qualifikation besteht darin, mich an den jeweiligen Ort zu begeben. Doch selbst das stellt das neue Angebot von Insta-More-than-Perfect-Pic-Porn in den Schatten: Gegen eine kleine Mitgliedsgebühr kann ich meinen Avatar auf Insta-Maps an jeden Ort der Welt schicken und das perfekte Foto dazu vom Server laden.
Das Ende der Fotografie
Das Ende der Fotografie könnte auch sein: Das Auge will ausruhen in der Wirklichkeit. Das Auge meidet die ewige Redundanz, die ermüdende Verführung, die immer stärker übertreibenden Abbildungen und wendet sich wieder ganz der direkten Wahrnehmung zu. Dies wäre das versöhnliche Ende der Fotografie.
Foto: Markus Baeuchle / Wanderlust
Lieber Markus,
tausend Dank für diesen Artikel, der mir aus der Seele spricht.
Ich denke gern zurück an die Zeiten, in denen Blende und Belichtungszeit manuell eingestellt wurden und man mit Spannung auf die entwickelten Bilder (ca. 1 Woche) wartete, immer in der Hoffnung, möglichst viele Aufnahmen wären überhaupt etwas geworden. Das war noch Spannung pur.
Gemeinsam mit meinem Vater suchten wir die besten Bilder aus, die dann in Farbe nachbestellt wurden. Entwickelt hat mein Vater die Schwarzweißbilder selbst und ich habe die Bilder aus dem Wasserbad in der Wanne gefischt und getrocknet.
Während meiner Irlandaufenthalte habe ich so tolle Bilder gemacht, dass diese nicht gephotoshopped (kann man das so schreiben?) werden mussten.
Übrigens: mein Handy macht nur doofe Photos.
Liebe Grüße und slán
Anja
Lieber Markus,
vielen Dank für den interessanten und lesenswerten Artikel.
Es ist ein weinig ein puristischer Ansatz, der vom Medium ein größtmöglich wahrheitsgetreues Abbild der Realität verlangt.Mir begegnet das in der Musik öfters, wenn z.B. philosophiert wird, wie denn nun eine Gitarre zu klingen habe. Mit Hall oder ohne Hall…? Die Digitalisierung hat hier enormes Potential zurück gegeben in die Hände der Musiker (Homerecording).
Es liegt wohl immer in der Hand des ausübenden Fotografen (oder Musikers), sich mehr oder weniger gewinnbringend mit den neuen Techniken zu beschäftigen.
Ich persönlich liebe die Fantasie anregenden völlig unnatürlichen Timelapse Fotofilme, Filter und Kontraste, HDR, weil es einfach ein schönes Spiel mit den Sinnen ist. Noch habe ich keinen Überdruss verspürt.
Das Bedürfnis nach Authentizität hat übrigens die gute alte Polaroid wiederbelebt.
Liebe Grüße
Patrick