20 Jahre erfolgloser Kampf gegen die Zerstörung des maritimen Lebens: Colin Barnes zeigt Gästen seiner Walbeobachtungstour, wie Sprotten aussehen und wovon Wale sich ernähren.

 

Jetzt plündern sie wieder die Bucht. Vier lärmende Schleppnetz-Trawler pflügen den ganzen Tag durch die Bantry Bay auf der Jagd nach Sprotten. Seit Wochen schon dauert dieser zerstörerische Beutezug. Mit zuverlässigem technischem Gerät stellen die Fischer den Schwärmen dieser kleinen Fische nach. Es gibt kein Entkommen. Weder für die Sprotten noch für all die die Vögel, Fische und Säugetiere, die von den Sprotten leben.

Die irischen Sprottenfischer begehen ihre ökologischen Verbrechen auf ganz legale Weise. Ein Gesetz der irischen Regierung zur Begrenzung der Sprottenfischerei durch den Ausschluß der großen Trawler aus Küstengebieten und Buchten ist gescheitert. Gerichte haben es zugunsten von einem halben Dutzend Fischer-Familien einkassiert – weil es schlecht gemacht war und weil sich die Fischer-Dynastien die besten Anwälte leisten können. So geht die Zerstörung weiter, die Ausrottung der Sprotte ist eine Frage der Zeit – und dann bleibt nur noch das Plankton, das der Mensch hier aus dem Meer ziehen kann.

Irish Whales and Dolphins Group

Padraig Whooley

Was können wir tun? Ich rufe Padraig Whooley an. Er lebt auch in West Cork. Gemeinsam mit dem Fischer und Walbeobachter Colin Barnes kämpft der Umweltaktivist von der Irish Whales and Dolphin Group seit zwei Jahrzehnten gegen den Sprottenfang. Padraig sagt, ich hätte ihn besser nicht angerufen, das Thema lässt die Wut in ihm aufsteigen. Denn der lange Kampf war bis heute erfolglos.

Bei aller Wut spricht Padraig druckreife Sätze: ” Sie haben sehr tiefe Taschen . . . Es sind nur ein halbes Dutzend große Boote, die den Schaden anrichten . . . Der Sprottenfang ist die letzte Bastion einer einst stolzen irischen Fischindustrie . . . Ihre Väter und Großväter hätten niemals Sprotten gefangen, sie nannten sich zu Recht noch die Hüter der Meere . . . Deren Nachkommen saugen das Meer leer, und alles nur, um aus dem Fang Fischmehl zu machen für Hunde- und Katzenfutter und Pellets für Zuchtlachse, während die Wale aus den leer gefischten irischen Gewässern verschwinden . . . Das ist ein Wahnsinn, und er ist legal.”

Ratlosigeit und Resignation also. Nicht ganz. Demnächst wird die Irish Whales and Dolphin Group (iwdg,ie) eine Podcastreihe starten, um über die herausragende Bedeutung der Sprotten breit zu informieren, dieser unscheinbaren kleinen Fische, die in Irland kaum ein Mensch essen würde und die doch so wichtig sind für das Leben im und am Meer. Und dann gibt es noch ein wenig Hoffnung auf ein neues Gesetz aus Dublin, oder auf ein Verbot aus Brüssel . . .

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Hier mein Bericht vom 29. Oktober 2019 über den jährlich wiederkehrenden Beutezug der Sheehys, der Minihanes und der Kennedys. Sie haben es bis heute geschafft, ihre Fangboote in Irlands Küstengewässern gegen alle Widerstände aus Umweltschutz, Politik, Tourismus und selbst der Fischerei auf Kurs zu halten.

 

Irland Fischen

 

Draußen auf dem Meer kreuzen zwei große Fischerboote seit Tagen wie Synchron-Schwimmer durch die Bucht. Die Fiona K III der Kennedys aus Dingle und die Ocean Venture II der Minihanes aus Castletownbere, zwei jeweils über 27 Meter lange Fischerei-Schiffe, ziehen Tag für Tag, Stunde um Stunde, das zwischen ihnen gespannte Schleppnetz durch die Bantry Bay. Sie fischen nach Sprotten, einem kleinen, nur etwa 15 Zentimeter großen, silbernen Fisch, der einst in riesigen Schwärmen die Küstengewässer und Buchten von West Cork bewohnte.  Die beiden Trawler sind irische Schiffe, denn nur sie dürfen in den eigenen Hoheitsgewässern innerhalb der Sechs-Meilen-Zone operieren.

Die Sprotte, eine Verwandte des Herings, war eigentlich für den Menschen lange zu klein, um ihr ernsthaft nachzustellen. Seit zwei, drei Jahrzehnten,  da der Hering in diesen Meeren fast ausgerottet und durch eine Fangquote geschützt ist, suchen dieselben Fischereiboote die Gewässer nach der Sprotte ab. Mit ihren Sonaren sind sie überaus erfolgreich gewesen: Auch die europäische Sprotte (Sprattus sprattus) steht nun vor der Ausrottung. Denn für die Sprotte gibt es keine Fang-Quote.

Irland Atlantik

Die Sprotte

Die Telefone stehen derzeit nicht still bei der Sea-Fisheries Protection Authority in Clonakilty, der staatlichen Fischerei-Kontrollbehörde. Die Anrufer beschweren sich über den erneuten Beutezug der beiden großen Trawler. Die lokalen Fischer in der Bay mit ihren kleinen Booten sind Jahr um Jahr um diese Zeit entsetzt, wenn die Fischerei-Dickschiffe in die Bucht eindringen und den Sprotten-Schwärmen effizient nachstellen. Fatal ist der Zeitpunkt der Sprottenfischerei. Sie setzt just ein, wenn die Weibchen prall mit Rogen gefüllt sind, wenn sich Männchen und Weibchen zum Ablaichen und Befruchten zu großen Schwärmen zusammen ziehen. Jetzt ist leicht und fett Beute machen. Die Bestände allerdings werden durch die gleichzeitige Vernichtung des Nachwuchses dramatisch dezimiert.

So klein die Sprotte ist, so wichtig ist sie für den Lebensraum Meer. Die Sprotten, die sich von Plankton ernähren, sind die wichtigsten Nahrungsfische für zahlreiche Tiere im Nordost-Atlantik. So wie Sardinen und Sardellen in anderen Meeren ernähren sie fast alle größeren Fische, zahlreiche Seevögel und die Meeressäuger, Delfine und Wale. Wenn die Basis der Nahrungs-Pyramide bröckelt, dann sind alle Lebewesen in der Nahrungskette bedroht.

Colin Barnes, Fischer und Walbeobachter in Union Hall, West Cork, ist seit den frühen 70-er Jahren auf dem Atlantik an Irlands Südwestküste unterwegs. Colin hat keine Illusionen mehr: “Die Sprotten, einst die zahlreichsten Fische in Irlands Gewässern, stehen vor der Ausrottung”. Es gab schier unendliche Mengen dieses kleinen Fisches, aber seit die Menschen ihn mangels größerer küstennaher Arten systematisch befischen, haben die Bestände massiv abgenommen. Sie sind am Verschwinden.

Mit den Sprotten verschwinden allmählich die Tiere, die sich von ihr ernähren: Fische, Vögel und Meeressäuger. Möwen, Lummen, Sturmtaucher, die Makrelen und zahlreiche größere Fische in der Beutekette, Delphine, Tümmler, Schweins-, Finn- und Buckelwale. Sie alle kämpfen jetzt um die rar werdende Grundnahrung. Sie werden verdrängt und wahrscheinlich dezimiert. So funktioniert das Artensterben im Kleinen.

Die gefangenen Sprotten enden übrigens zum größten Teil als Fischmehl. Nur geringe Mengen (“Kieler Sprotten”) gelangen direkt ins Nahrungsangebot des Menschen. Indirekt gelingt das eher. Sprottenmehl, könnte den Magen des Menschen über den Umweg des Zuchtlachses dann doch noch erreichen: in Form von Futter-Pellets für die Lachse der Lachsfarmen in Irland und anderswo. Man benötigt übrigens sieben Kilo Fisch, um ein Kilo ungesunden Zuchtlachs zu “produzieren”. (*)

Ach ja: Der irische Meeres-Minister Michael Creed hat nach massiven Protesten in den vergangenen fünf Jahren endlich ein küstennahes Fischereiverbot und ein “Fangverbot” für Sprottenfischer innerhalb der irischen Sechs-Meilenzone erlassen. Ab dem 1. Januar 2020 wird es allen Schiffen ab einer Länge von 18 Metern (warum eigentlich 18 Meter?) verboten sein, generell in diesen küstennahen Gewässern zu fischen. Für Sprotten-Fischer allerdings gibt es eine Übergangsfrist mit Fangquoten bis Ende 2021. Colin Barnes kämpfte seit Jahren für ein generelles sofortiges Fangverbot für die Sprotte, um sie und damit viele andere Arten zu retten. Und er ist längst nicht am Ziel . . .

 

Aktualisierung 14. Oktober 2020: Es kommt schlimmer.Die beiden oben genannten Fischer Kennedy und Minihane zogen gegen das Fangverbot in der Sechsmeilen-Zone für große Schiffe vor Gericht. Vor wenigen Tagen hat der High Court sein Urteil veröffentlicht: Die gierigen Fischer mit den Riesen-Schiffen bekamen erst mal Recht, sie dürfen die Bucht weiter plündern, weil es der irischen Regierung einmal mehr nicht gelungen ist, ein wasserdichtes Gesetz zu verabschieden. In der Bevölkerung gärt es. Viele Menschen kündigen mittlerweile Widerstand gegen diese lebens-vernichtende Form der Fischerei an.

 

Sprotte

 

O-Ton: “Der Minister hat die im Rahmen der öffentlichen Konsultation aufgeworfenen Fragen sorgfältig geprüft und nach einer eingehenden Bewertung beschlossen, den Schleppnetzfang von Fischereifahrzeugen über 18 Meter Länge ab dem 1. Januar 2020 aus den Küstengewässern innerhalb der Sechsmilenzone und der Basislinien auszuschließen.”

Quelle: Pressemitteilung des Ministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und das Meer.

 

Hier erklärt Colin Barnes, unser Partner für Whale Watching Tours in den Wanderlust-Ferien in Irland, die Sache mit den Sprotten und den anderen Tieren, die wohl bald verschwinden werden, auf anschauliche Weise: 

Quelle: Website von Cork Whale Watch

 

(*) Mehr Informationen über den Zuchtlachs und warum man ihn nicht essen sollte: KLICK

 

Fotos von Colin Barnes und Padraig Whooley (privat); © Hans Hillewaert (Sprotte); Markus Bäuchle (Trawler)

[ed20102019 und 02102020]