»In den Rosses hatte die Heiratszeit begonnen, die Zeit zwischen dem Dreikönigstag und dem Beginn der Fastenzeit. Conall Ferry wollte heiraten. Das würde ihm jedoch nicht leichtfallen, denn er war von scheuem und unbeholfenem Wesen. Er ging niemals zum Tanz oder zu anderen Geselligkeiten, wo ein junger Mann Mädchen treffen und Bekanntschaften schließen konnte« (S. 7; aus Mickey – Gott hab ihn selig!)

 

Geschichten aus einem versunkenen Irland

 

Selbst der beste Plan von Seamus Ó Grianna,
übersetzt von Gabriele Haefs und Julian Haefs.

Rezensiert von Ellen Dunne

Schon die ersten oben zitierten Sätze bringen auf den Punkt, worum es in Séamas Ó Griannas Sammlung von 15 Erzählungen meist geht. Männer aus den „Rosses“, dem äußersten irisch-sprachigen Westen Donegals, begeben sich auf die Suche nach einer Heiratskandidatin. Dass diese Pläne immer wieder von allerlei Rivalen, Launen des Schicksals und eigenem Ungeschick durchkreuzt werden, versteht sich von selbst. Und so entspinnen sich launig erzählte Geschichten rund um verschlungene Lebenswege, menschliche Verwicklungen und so einige tragische Schicksale. Sind denn solche über hundert Jahre alten Stories aus einem Irland, das es so nicht mehr gibt, heute noch lesenswert? Ich finde: absolut!

Ellen Dunne, Foto ©Orla Connolly

Die Vorkosterin: Ellen Dunne stellt auf Irlandnews lesenswerte Bücher aus und über Irland vor. Im Salzburger Land geboren und aufgewachsen, weckten zunächst die Berichte über den Nordirland-Konflikt in den 90ern ihr Interesse an der Insel. Seit 2004 lebt sie in und um Dublin, wo sie zunächst mehrere Jahre im Google Europa-Hauptquartier arbeitete. Inzwischen ist sie freie Texterin und Autorin. Ihre bisherigen Romane und Kurzgeschichten werden bei Haymon, Suhrkamp/Insel und Eire verlegt. Auf IrlandNews schreibt sie über Literatur aus und über Irland. Mehr über Ellen gibt es unter www.ellen-dunne.com Foto: ©Orla Connolly

Séamus Ó Grianna: Irischer Storyteller und Verfechter eines vereinigten Irland

Geboren 1889 in eine Familie der Geschichtenerzähler, verbrachte Séamus Ó Grianna den größten Teil seines Lebens zwischen seinem Geburtsort Rannafast im irischsprachigen und Dublin. In jüngeren Jahren verbrachte er immer wieder Monate am Stück als Erntehelfer in Schottland – eine Zeit, die Ó Grianna zur Entscheidung brachte, Lehrer zu werden, und mehrfach Eingang in seine Erzählungen gefunden hat. Innerhalb von fünf Jahrzehnten schrieb er über 30 Bücher und zählt neben Máirtín Ó Cadhain zu einem der wichtigsten Vertreter der Literatur in gälischer Sprache.

Die beiden teilten auch ihr Engagement für ein unabhängiges, vereinigtes Irland. Für seine republikanische Überzeugung verbrachte Ó Grianna mehrere Jahre im Gefängnis, unterrichtete dort weiter die Sprache des Widerstands. Gleichzeitig trat er für den Englischunterricht ein, um die irische Bevölkerung aus der Isolation ihrer Sprache zu holen. Erst in späteren Jahren wendete er sich enttäuscht von der Regierung in Dublin ab – und verweigerte sich jeglicher Modernisierung der gälischen Sprache durch Ergänzungen mit moderneren Begriffen. Widersprüchliche Haltungen, die sich auch in Selbst der beste Plan wiederfinden.

Ironisches Sittenbild, wortgewaltig gezeichnet und wunderbar übersetzt

So wie das Gälische selbst lesen sich die Geschichten in Selbst der beste Plan wie Botschaften aus einer verlorenen Zeit. Sie drehen sich die um Einzelschicksale von Menschen aus den Rosses, die geprägt sind von allem, was die Iren in den 1920ern und 1930ern so bewegte: das täglich hart erkämpfte Brot der Bauern, Fischer und Torfstecher, sowie ihre zeitlose Suche nach Liebe und gegenseitige Rivalitäten. Themen also, die uns durchaus durch den modernen Alltag begleiten. Was sie meiner Meinung nach so zeitlos lesbar macht ist die spürbare Sympathie und das Augenzwinkern, mit denen Ó Grianna seine Protagonist’innen durch ihre großen und kleinen Dramen ihres Lebens begleitet. Die originelle, oft charmant altmodische Sprache unterhält mit viel trockenem Humor, der auch in der deutschen Übersetzung durch Gabriele und Julian Haefs wirklich hervorragend gelungen ist.

Auswanderer vs. Daheimgebliebene,
Bildung vs. Aberglauben

Der sanfte Spott des Erzählers bleibt dabei kaum einer Figur erspart. Nicht nur der enge Horizont der oft recht simpel gestrickten und von Aberglauben geprägten Landbevölkerung wird ironisch betrachtet (z. B. in „Die Rache der See“). Auch jene Figuren, die den Rosses als Auswanderer nach Schottland oder in die USA entkommen und später zurückkehren, bleiben nicht verschont. Oft werden sie selbst zum Opfer ihrer hochfliegenden Pläne und Herablassung den einfachen „Zurückgebliebenen“ gegenüber, so wie in der titelgebenden Erzählung „Selbst der beste Plan“, aber auch in „Maifest-Zauber“, sowie in „Denis der Träumer“, der wie der Autor selbst seine Zeit in Schottland zum Lesen und Erwerb von Büchern nutzt. Die daraus resultierenden romantischen Ideen sorgen bei den Daheimgebliebenen nur für Kopfschütteln:

»Die Nachbarn sagten, die Bücher würden ihm noch den Kopf verdrehen. Denis achtete nicht auf diese Unkenrufe. Er las weiter. Und je mehr er las, umso weiter entfernte sich seine Weltsicht von den Traditionen und Überzeugungen seiner heimatlichen Rosses. Die Menschen hier hatten keine Ahnung von Liebe. Bei ihnen beruhte die Ehe auf finanziellen Erwägungen anstatt – wie es sein sollte – auf Liebe und nur auf Liebe.« (aus Denis der Träumer, S. 36)Seamus O Grianna

Doch die selbstlose Liebe, die Denis blauäugig predigt, scheitert an Realität und Tradition – und er endet mit einer Notheirat jenseits der fünfzig, bei der er auch um die Mitgift ordentlich feilschen muss. Ein ähnliches Schicksal ereilt auch „Die blonde Mary“, eine kluge, schöne Frau, deren Lebensglück an den eigenen Ansprüchen scheitert. Was – neben einem Zuviel an Bildung – daran schuld sein könnte, damit hält der Erzähler nicht hinterm Berg.

„Die blonde Mary war beeindruckend schön. Selbst ihre Rivalinnen mussten das eingestehen. Auch war sie sanft und liebenswürdig. Aber trotz ihrer Schönheit und ihres Gemüts verbrachte sie die lieblichste Phase im Leben einer jungen Frau – zwischen achtzehn und zwanzig -, ohne dass auch nur ein junger Mann in den Rosses erpicht zu sein schien, sie zu heiraten. Sie trug böses Blut in sich, wie die alten Frauen es ausgedrückt hätten. Ihre Mutter war aus Moorloch hergezogen, einem Bezirk in der Pfarre Kiltywag. Die Frauen aus Moorloch hatten seit vielen Generationen den Ruf, ihre Ehemänner zu gängeln, und waren daher auch als „Satansweiber“ bekannt.“ (aus Die blonde Mary, S. 235)

Bei der Lektüre von Selbst der beste Plan müssen alle, denen Feminismus am Herzen liegt, immer wieder mal ein Auge zudrücken. Denn die Darstellung der weiblichen Figuren entspricht doch sehr stark dem patriarchalen Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts. Ihre einzig wichtige Eigenschaft scheint die Schönheit zu sein, gefolgt von Arbeitsamkeit und der bereitwilligen Unterordnung. Wer über so einen Anachronismus hinwegsehen kann, wird sich bestens mit dem Buch unterhalten. So wie ich.

Meine Meinung

Liebe, Rivalitäten, Auswanderung, Revolution und immer wieder das Meer als gefährlicher Sehnsuchtsort. Séamus Ó Griannas Erzählungen über die Menschen aus dem irischen Nordwesten des frühen 20. Jahrhunderts sind zugleich aus der Zeit gefallen als auch ewig aktuell. Dank der originellen Sprache, dem liebevollen Auge für seine Charaktere und dem trockenen Humor, mit dem Menschen und Gesellschaft seziert werden, ist Selbst der beste Plan ein unterhaltsames Sittenbild einer vergangenen Zeit. Fans von Heinrich Bölls Irischem Tagebuch und dem klassischen, inzwischen weitgehend verlorenen Irland werden daran große Freude haben. Das ausführliche Nachwort von Irland News-Kolumnist Ralf Sotscheck gibt außerdem interessante Einblicke in Séamus Ó Griannas Leben.

 

Selbst der beste Plan
Séamus Ó Grianna, übersetzt von Gabriele Haefs und Julian Haefs
Erschienen im Mare Verlag, 366 Seiten
Erhältlich im lokalen Buchhandel oder beim fairen
Online-Buchhändler Buch7 für 24 €

 


Irlandnews-Buchtipps: Alle Buch-Rezensionen von Ellen Dunne gibt es hier.


 

Fotos:  Titel- und Produktfoto Ellen Dunne, Foto Ellen Dunne (© Orla Connolly)