Kein Mann der Tat

 

Grab von William Butler Yates

Die Asche des Tages
von Máirtín Ó Cadhain

übersetzt von Gabriele Haefs

Eine Rezension von Ellen Dunne

»Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine fiese Stimme.
Die eine Schwägerin rief von ihm zu Hause aus an.
»Schämst du dich gar nicht? Treibst dich rum, wo deine Frau eben erst gestorben ist!«
»Ja, sie ist gestorben«, sagte N. Etwas Besseres fiel ihm nicht ein.« (S. 7)

 

Eine irische Neigung zum schwarzen Humor kann bei der Lektüre von Máirtín Ó Cadhains Die Asche des Tages auf keinen Fall schaden. Denn immer wieder überfällt einen beim Lesen ein Schmunzeln, so fies wie die Stimme der Schwägerin von N., dem Protagonisten. Von der wird N. gleich zu Beginn beauftragt, die Beerdigung seiner just an diesem Tag verstorbenen Frau in die Wege zu leiten. Und scheitert daran – auf 160 manchmal grandiosen, manchmal wie die Hauptfigur mäandernden Seiten.

 

Ellen Dunne, Foto ©Orla Connolly

Die Vorkosterin: Ellen Dunne stellt auf Irlandnews lesenswerte Bücher aus und über Irland vor. Im Salzburger Land geboren und aufgewachsen, weckten zunächst die Berichte über den Nordirland-Konflikt in den 90ern ihr Interesse an der Insel. Seit 2004 lebt sie in und um Dublin, wo sie zunächst mehrere Jahre im Google Europa-Hauptquartier arbeitete. Inzwischen ist sie freie Texterin und Autorin. Ihre bisherigen Romane und Kurzgeschichten werden bei Haymon, Suhrkamp/Insel und Eire verlegt. Auf IrlandNews schreibt sie über Literatur aus und über Irland. Mehr über Ellen gibt es unter www.ellen-dunne.com Foto: ©Orla Connolly

Máirtín Ó Cadhain: Kämpfer für die Irische Sprache und die Irische Sache

Wer fließend Gälisch spricht, dem dürfte Máirtín Ó Cadhain bereits ein Begriff sein. Mir war einer von Irlands bedeutendsten gälischsprachigen Schriftsteller’innen des 20. Jahrhunderts bisher unbekannt. Geboren 1906 in Connemara, verlor Ó Cadhain in den 1930ern sein Lehramt aufgrund seiner Mitgliedschaft in der IRA, für die er später auch seinen Dubliner Kollegen Brendan Behan rekrutieren sollte. Bis zu seinem Tod 1970 setzte er sich für die Irische Sprache und für ein vereinigtes Irland ein – und befürwortete dabei durchaus auch den gewaltsamen Widerstand gegen die britische Armee.

Als Professor für die Irische Sprache lehrte Ó Cadhain an der Trinity University und schrieb zahlreiche Kurzgeschichten, aber auch drei Romane. Die Asche des Tages ist sein letzter und wurde erst 2019, anlässlich von Ó Cadhains 50. Todestag, aus dem Irischen übersetzt. Im deutschen Sprachraum erschienen alle drei Werke beim Stuttgarter Kröner Verlag. Kundig übersetzt von Gabriele Haefs, nimmt uns N. mit auf seine ebenso chaotische wie hartnäckige Flucht vor der Verantwortung – und zunehmend auch der Realität. Dabei begegnet er einem ganzen Panoptikum mehr oder weniger wohltätiger Charaktere:

 

»Der Mann bugsierte ihn nach draußen. Er nannte ihm den Namen eines Bestattungsunternehmers. Nach all dem deprimierenden Gerede, das N. schon gehört hatte, rutschte diese Information auf den Schrotthaufen seines Gedächtnisses. Eine Sekunde darauf versuchte er nicht einmal mehr, sie festzuhalten. Aber der Mann entwickelte jetzt immer größeres Mitgefühl.
»Hier lang«, sagte er, fasste ihn an der Schulter, bog mit ihm in eine Seitenstraße ab und führte ihn in eine Kneipe, die soeben wieder aufmachte, »ein Gläschen wirkt manchmal Wunder. Geben Sie ihm einen Whiskey, damit er sich beruhigt und genug Mut tanken kann, um nach Hause zu gehen, wo er hingehört.
« (S. 37-38)

 

Odyssee durch ein irisches Panoptikum

Bei einem Whiskey bleibt es natürlich nicht. Und auf dem Nachhauseweg stolpert N. von einer Ablenkung ins nächste Unglück. Wird um seine Brieftasche erleichtert, sucht erfolglos nach (empfundenen) Wohltäter’innen und landet sogar im Bett der Sekretärin seines Chefs, die neben einem aus feministischer Sicht eher bedenklichen Namen auch mit einer ganz eigenen Philosophie aufwartet:

 

»Knutschi hatte ihm versichert, Gott bringe mehr Verständnis auf als irgendwer sonst. Es gebe viele Sünden, die Gott nicht einmal ein müdes Lächeln abnötigen, die ihm so schnurzegal seien wie anderen die Reklame im Fernsehen; andererseits konnte man nie wissen, kaum tauchte etwas in Seinem persönlichen Gottsender auf und erregte Seine Aufmerksamkeit, war Er ganz Ohr, steckte die Nase hinein, bekam Glubschaugen, begann zu sabbern, bereit zu jeder Schandtat … Gott und Knutschi schienen sich offenbar bestens zu verstehen.« (S. 86-87)

 

Komisch, traurig, tragisch

Während die Tage vergehen, verstrickt sich N. immer tiefer in seinem Versuch, dem Unausweichlichen auszuweichen. Immer schlechter wird sein Gewissen, immer mehr drehen sich seine teilweis deftigen Gedanken im Kreis. Es geht – wie sollte es anders sein – um das Bedauern über Versäumnisse und falsche Wege, die er in seinem Leben eingeschlagen hat. Immer wieder im Hintergrund die Trauer, der N. bis zum Schluss mit allen Mitteln zu vermeiden sucht. Und so zu einem Sinnbild für uns alle wird, die Tod und Trauer lieber verdrängen anstatt ihnen ins Auge zu sehen.

 

Cover Die Asche des Tages»Es gab überhaupt keine Kommunikation zwischen Lebenden und Toten. Es gab schon eine Art Kommunikation, aber die war wie der Versuch, ein Buch mit leeren Seiten zu lesen. Gute Menschen, so lange sie am Leben waren, konnten Menschlichkeit, Nächstenliebe, Erbarmen, Mitleid und sogar Christlichkeit verströmen. Und das alles hatte er jetzt dringend nötig.« (S. 39)

 

Meine Meinung

Die persönliche Tragikomödie eines ewigen Prokrastinierers. Máirtín Ó Cadhain nimmt uns tief mit in die Gedankenwelt des Witwers N., der an den Umständen, seiner eigenen Entscheidungsschwäche und nicht zuletzt an seiner Trauer verzweifelt. Dabei versteht es Ó Cadhain in typisch irischer Manier, immer wieder den absurden Humor aus tieftraurigen Situationen zu kitzeln.

Herzlichen Dank dem Kröner Verlag für das kostenlose Rezensionsexemplar.

 

Die Asche des Tages

Máirtín Ó Cadhain, übersetzt von Gabriele Haefs
Erschienen im Kröner Verlag, 160 Seiten, 18 Euro,
im lokalen Buchhandel oder bei Buch7

 

Fotos:  Titelfoto Ellen Dunne, Produktfoto Kröner Verlag, Foto Ellen Dunne (© Orla Connolly)