Manche Alpträume durchlebe und durchleide ich hellwach, mitten am Tag und mit weit offenen Augen. Am 18. November vergangenen Jahres, einem Montag, saß ich am Scheibtisch und sah sie wieder stundenlang durch die Bucht pflügen: Vier jeweils 27 Meter lange irische Trawler: Die Fiona K III mit der Ocean Venture II, die Ocean Crest mit der Wavecrest, Fangschiffe der Fischerfamilien Kennedy (Dingle), Minihane (Castletownbere) und Sheehy (Baltimore). In Paaren zogen die Trawler, Synchronschwimmern gleich, durch das Wasser, bis das kleinmaschige Schleppnetz prall mit Sprotten gefüllt war. Ich hatte die Beutezüge der Sprottenfischer seit vielen Jahren beoabachtet und darüber geschrieben. Ich wusste: Bald würde der kleine silberne Fisch auch aus der Bantry Bay verschwunden sein – und mit ihm das meiste Leben: Fische, Säugetiere, Vögel. Hatten eine Handvoll wohlhabender Fischer das Recht, auch diese Bucht in eine Todeszone zu verwandeln? Es war der Tag, an dem ich mich entschied, doch noch einmal für die Natur anzutreten und für den Erhalt der Sprotte zu kämpfen.
Es ist eine bisweilen nervenzehrende und oft frustrierende Arbeit, mit begrenzten Mitteln gegen die zynischen Mächte der Zerstörung der natürlichen Welt anzukämpfen. Wir können aber nicht länger tatenlos zusehen: Ende vergangenen Jahres gründeten wir in der Bantry Bay die Kampagne „Save Our Sprat“ – Rettet die Sprotten. Eine Gruppe Gleichgesinnter hat sich zusammengefunden und bereitet sich für den Kampf der kommenden Monate vor: Wir knüpfen Allianzen, suchen Kooperationen, erstellen eine Website und Social-Media-Seiten, bereiten Presseveröffentlichungen und Medienauftritte vor; treffen Politiker und schreiben Briefe an die Regierung. Bald schon wird in Bantry eine große öffentliche Veranstaltung die Kampagne eröffnen. Wir haben ein klares Ziel: Die Schleppnetz-Schiffe und die Sprottenfischer dürfen in kommenden Herbst nicht in die Bantry Bay zurückkehren. Der Sprottenfang in allen Buchten und in den küstennahen Gewässern Irlands muss aufhören. Sofort.
Das ist der Stand der Dinge
Vor einigen Tagen schrieb ich diese kurze Zusammenfassung für unsere künftige Website. Ich teile sie hier, weil sie einen ganz guten Überblick vermittelt, um was es uns geht:
„Die Sprotte (Sprattus sprattus) ist ein kleiner, unscheinbarer Fisch, der die Weltmeere in riesigen Schwärmen bevölkert. Sie ist unauffällig, aber für das Leben im Meer unverzichtbar: Die Sprotte bildet die Grundlage des Nahrungsnetzes. Der 15 Zentimeter große Fisch, der einem jungen Hering ähnelt, ernährt sich von Plankton und wandelt es in Protein für zahlreiche Säugetiere, Meeresvögel und größere Fische um: Makrelen, Heringe, Seehechte, Kabeljau, Wale, Delfine, Seehunde, Papageitaucher, Seeschwalben, Basstölpel, Lummen, Kormorane, Dreizehenmöwen – und sogar die wieder angesiedelten Seeadler sind auf die Sprotte angewiesen.
Als die Sardinen, Heringe (und später Makrelen) durch Überfischung fast aus den irischen Gewässern verschwunden waren, begannen – wie sonst nirgendwo in Europas Meeren – einige einheimische Fischer Ende der 90er Jahre, die Sprotte im größeren Stil zu fangen.
Seit nunmehr eineinhalb Jahrzehnten fischen eine Handvoll riesige Trawler, alleine oder in Paaren, jedes Jahr mehr als zehntausend Tonnen Sprotten aus Irlands Buchten und küstennahen Gewässern. Sie warten auf den Herbst, wenn die Sprottenschwärme den Schutz der Buchten suchen, um dort in ruhigen Gewässern zu laichen. Von Oktober bis Januar sind die kleinen silbrigen Fische leichte Beute – und mit ihnen verschwinden die Eier der noch nicht abgelegten nächsten Generation aus den Meeren. Die Bestände sinken schnell und stetig dem Aussterben entgegen.
Die an Irlands Küsten gefangenen Sprotten werden aus dem Bauch der Trawler in verschlossene Container in Häfen wie Baltimore, Castletownbere oder Dingle gepumpt und mit Lastwagen zu den Fischverarbeitungsfabriken in Killybegs, County Donegal, transportiert. Menschen essen heute selten Sprotten. Stattdessen werden sie zu Fischmehl verarbeitet und als Futter an Lachsfarmen verkauft. Um ein Kilogramm Zuchtlachs zu „produzieren“, benötigen die Farmen fünf Kilogramm Wildfische. Ein kleiner Teil des Fangs wird als Haustierfutter und sogar als Dünger verkauft.
Für die Sprotte gibt es in Europa keine Fangquoten. Da die kleinen Fische nur als Tierfutter dienen, lassen sie sich nicht viel Geld verdienen. Sie werden zu 15 Cent pro Kilogramm oder 150 Euro pro Tonne gehandelt. Daher setzen die wenigen irischen Fischer, die der Sprotte nachstellen, auf möglichst große, bis zu 27 Meter lange Fangboote, um möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu fangen.
Diese Praxis der Überfischung dieser völlig ungeschützten Art hat dramatische Konsequenzen: Die Sprottenbestände sind mittlerweile massiv dezimiert, und die kleinen Fische drohen aus den irischen Gewässern zu verschwinden. Die Bestände stehen vor dem Kollaps. Lokale Fischer von der irischen Südküste berichten, dass die Sprotte dort mehr oder weniger verschwunden ist – und mit ihr die Wale, die Delfine, das marine Leben.
Seit einigen Jahren plündern die Sprotten-Trawler systematisch die Bestände in der Bantry Bay. Jeden Herbst ziehen ihre dicht gewobenen Schleppnetze durch die Bucht und ziehen neben hunderten Tonnen Sprotte auch zahlreiche andere Meeresbewohner in den Tod: Seehunde, Delfine, Weißfische …
Die Buchten, in denen die Sprotten verschwinden, verwandeln sich langsam in Todeszonen: Räuber, die nicht mehr genug Nahrung finden, ziehen in andere Fanggründe oder verhungern und sterben langsam aus. Der ökologische Niedergang betrifft nicht nur die Tiere. Tote Gewässer sind schlecht für alle Menschen, die vom Fischfang abhängig sind. Fischer, deren Zielarten auf die Sprotte angewiesen sind, sehen einer düsteren Zukunft entgegen. Tote Gewässer sind schlecht für den Tourismus. Mehrere Aquatourismus-Betreiber haben bereits ihren Betrieb eingestellt oder müssen dies tun, da Touristen nicht für das Nichts – oder nur für Plastik – bezahlen. Tote Gewässer sind schlecht für die Anwohner und sogar für die Hafenbehörden, da auch deren Geschäft verschwindet.
Seit dem Jahr 2019 hat die irische Regierung erfolglos versucht, große Fangschiffe aus der Sechsmeilenzone und aus den Buchten des Landes zu verbannen. Die Richtlinien wurden erfolgreich von zwei Fischern aus Castletownbere und Dingle vor Gericht angefochten. Die Richter erkannten die Notwendigkeit des Verbots an, erklärten das Gesetz jedoch aufgrund formaler Fehler für ungültig. Seit dem Jahr 2023 verspricht die Regierung ein neues Gesetz, zögert ihre Entscheidungen jedoch bis heute heraus.
Deshalb haben wir, besorgte Bürger der Bantry Bay und Umgebung, beschlossen, die Umweltkampagne „Rettet unsere Sprotte“ zu gründen und uns für ein sofortiges Verbot des Sprottenfangs in unserer Bantry Bay und in allen Buchten und küstennahen Gewässern des Landes einzusetzen.
Wir wollen uns mit anderen Gruppen in anderen Buchten koordinieren und unsere Stimme erheben, damit wir in Dublin, im Dáil und in den Regierungsgebäuden laut und deutlich gehört werden: Die Ausrottung der Sprotte muss sofort aufhören.
Lasst uns den Sprottenfang stoppen, bevor es zu spät ist. Lasst uns den Sprottenfang stoppen, bevor unsere Buchten zu Todeszonen werden.
Lasst uns den Sprottenfang stoppen, damit die beutemachenden Trawler im nächsten Herbst, im Oktober 2025, nicht in unsere Buchten zurückkehren.
Schließt Euch uns an, um das Leben in der Bantry Bay und in allen irischen Buchten und Küstengewässern zu schützen!“
Auch Irland-Urlauber können uns unterstützen
Es kann gut sein, dass wir in den kommenden Monaten auch Eure Unterstützung, die Hilfe der vielen Irland-Freunde und Irland-Urlauber benötigen, die gerne ins Land kommen, um hier Ferien zu machen und die wilde Natur zu genießen. Denn wenn wir nicht schnell erfolgreich sind, wird es bald nicht mehr viel lebendige Natur an Irlands Küsten zu bewundern geben. Von den Veranstaltern von Wal- und Delfin-Beobachtungstouren im Land wissen wir: Ihr Geschäft ist stark rückläufig und akut bedroht. Überall dort, wo Fischer die Sprotte bereits ausgerottet haben, verschwinden auch die Wale. Die Zahl der Sichtungen der herrlichen Meeeressäuger an Irlands Atlantikküste ist stark rückäufig. (Mehr darüber, wie Irland-Freunde aus dem Ausland uns unterstützen können, demnächst hier)
Fotos: Markus Bäuchle; Logo: Eliane Zimmermann
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Lieber Markus
Vielen herzlichen Dank für diese Informationen und Deinen/Euren erneuten umfangreichen Einsatz. Ganz spontan fiel mir wieder die – als Weissagung der Cree bezeichnete- alte indianische Mahnung ein, die auch wir einst bei so vielen Kämpfen für die Natur, das Leben der Erde benutzt haben:
Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet,
der letzte Fisch gefangen ist,
werdet ihr feststellen,
dass man Geld nicht essen kann.
Ich wünsche „SAVE OUR SPRAT“ viele tatkräftige und vor allem viele – und auch bis in höchste Kreise einflussreiche- Unterstützer sowie eine weite Vernetzung in alle Bereiche der Gesellschaft damit dieser Kampf (diesmal ohne Formfehler) für die Sprotte (und alles Leben das mit ihr – existenziell – verbunden ist) gewonnen wird.
Es geht nur über solche halbwegs lokalen Aktionen (beschränkt auf Irland) denn das umfassend bestehende Problem überall anzugehen ist schier unmöglich…
siehe auch hier:
WWF Deutschland. https://www.wwf.de › flotten-pluendern-sprotten
„Flotten plündern Sprotten
04.12.2024 – Die dänisch-schwedische Fischerei auf Sandaal, Sprotte und Stintdorsch war schon einmal unter Verbesserungsauflagen MSC-zertifiziert…“
Allerdings könnten auch zB. über Medien (auch social media) schnell erreichbare Kampagnen wie Blockaden „von aussen“ z.B. keine irischen Waren mehr zu kaufen oder dass Touristen (der Hauptherkunftsländer : GB, USA, D und F) das Land Irland gezielt nicht mehr besuchen den Druck auf hiesige Politiker erhöhen: bis die Sprotte unter Schutz gestellt ist… aber da habt Ihr ja bereits Einiges vor.
Von Herzen Dank.
Hallo Markus, es ist schön dass es noch Menschen wie euch gibt und ich bewundere euren Einsatz! Vielleicht sollte man aber mal zu der Erkenntnis kommen, dass wir nicht die Erde retten können, sondern höchstens uns selbst! Die Erde wird auch ohne uns existieren und das sogar sehr gut. Der Mensch ist ein Raubtier, und wie in der Natur gehen Raubtiere dahin wo die Beute ist. Das erleben wir gerade weltweit. Wenn dort auch nichts mehr zu verteilen ist, dann werden sich die Stärkeren durchsetzen und überleben. Es ist leider so. Erst wenn wir mal kurz vor dem Aussterben sind werden wir aufwachen und unser Tun überdenken. Vielleicht ist es dann aber schon zu spät oder wir selbst rotten uns vorher vollständig aus. Oder aber die Natur/Erde regelt das selbst und versucht uns loszuwerden (Covid19). Wobei das Virus ja anscheinend auch von uns geschaffen wurde. Wir hantieren mit Dingen, von denen wir keine Ahnung haben und deren Auswirkungen wir gar nicht abschätzen können. Kurz gesagt, es muss uns allen wahrscheinlich erst noch viel schlechter gehen, bevor alle aufwachen und an einem Strang ziehen.