Deutsche in Irland

Anke Morgenroth: Die Hamburgerin lebt seit 1984 in Irland.

Auswandern, Ortswechsel, Neubeginn: Warum zieht es Deutsche (Schweizer und Österreicher) ausgerechnet nach Irland? Wie leben sie hier? Wurden ihre Erwartungen erfüllt, was gefällt ihnen, womit haben sie Probleme? Wir stellen Menschen vor, die den Sprung gewagt haben und auf der Insel leben. Heute: Anke Morgenroth

Anke Morgenroth stammt aus Hamburg. 1984 wanderte die gelernte Sozialarbeiterin zusammen mit ihrem Mann nach Irland aus. Ihre vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter, wurden in Irland geboren. Seit 2000 betreibt Anke in Tirnawannagh nahe Bawnboy im Co. Cavan, unweit der Marble Arch Caves, das kleine Kunsthandwerks- und Tourismus-Unternehmen „Bear Essentials“ (www.bearessentials.ie). Irlandnews-Autor Dirk Huck* unterhielt sich mit ihr auf dem Arts and Crafts Festival in Farmleigh in Dublins Phoenix Park im Mai 2014.

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Anke Morgenroth und ihre Bären-Kollektion

Anke, was hat Sie nach Irland geführt?

Ich bin in Hamburg aufgewachsen und wollte immer schon aus der Großstadt weg. Ursprünglich wollten mein Mann und ich nach Kanada auswandern. Aber damals nahmen die Kanadier keine Deutschen auf — es sei denn, man hatte ein prall gefülltes Bankkonto. Wir hatten damals Freunde in Irland und sind auch ein wenig im Land herum gereist. Uns sagte sofort die wunderschöne Landschaft und die Gastfreundschaft der Menschen zu.

Ein weiterer Punkt war, dass wir gerne eigenes Land und ein Haus haben wollten. In Deutschland wäre das für uns nicht möglich gewesen. In Irland hatten wir die Freiheit, für vergleichsweise wenig Geld ein Stück Land zu kaufen mit einem alten Haus darauf und es selbst herzurichten. Es war auch der Wunsch nach Selbstverwirklichung. Zu Anfang hatten wir zum Beispiel unseren eigenen Gemüsegarten und eine Bienenzucht.

Hatten Sie konkrete Pläne, wie ihr Leben in Irland aussehen sollte?

Einen Langzeitplan, was genau wir hier machen wollten, hatten wir eigentlich nicht. Es ging eher um die Idee, für sein eigenes Leben selbst verantwortlich sein zu können. In Deutschland fühlten wir uns von den Möglichkeiten her zu sehr eingeschränkt, vor allem in finanzieller Hinsicht. Es war zum Beispiel auch nicht von Anfang an geplant gewesen, auf dem Land zu leben und dort Kinder großzuziehen. Das kam alles erst, als wir in Irland waren.

Warum haben Sie sich ausgerechnet das County Cavan ausgesucht?

Das war mehr durch Zufall. Wir hatten damals Freunde, die nach Cavan ausgewandert waren und lernten durch sie wiederum andere Deutsche in der Region kennen. Wir hatten uns auch Häuser in Donegal angesehen. Donegal ist wunderschön. Aber ich bin doch froh, dass wir nicht so weit nach Westen gegangen sind. Speziell jetzt mit dem Unternehmen wäre das von Nachteil. Manchmal weiß man ja nicht, wohin es einen verschlägt. Ich denke, es hatte seinen guten Grund, dass wir in Cavan gelandet sind.

Wie empfanden Sie das Einleben?

Das fanden wir gar nicht so schwer. Spätestens als die Kinder geboren wurden – unser erster Sohn wurde 1986 geboren – waren wir in die Gemeinschaft eingebunden und an allem beteiligt. Ohne die Kinder wäre das sicherlich schwieriger gewesen. Ich weiß zum Beispiel von Leuten, die als Rentner nach Irland herüber kamen und am Ende doch mehr einen Deutschklub gebildet haben und unter sich blieben. Das wollten wir nicht. Wir haben es genossen, mit den Nachbarn und den Iren zu mixen. Durch die Kinder ging es ja auch nicht anders.

Die berühmte Gastfreundschaft der Iren half Ihnen beim Einleben?

Ja, auf jeden Fall. Als wir im Winter 1984 kamen, erlebte Irland einen der härtesten Winter überhaupt. Sogar der See war zugefroren. Die Nachbarn waren unheimlich hilfsbereit. Während wir an unserem Haus arbeiteten, versorgte uns die Nachbarin jeden Morgen mit frisch gebackenen Scones. Und abends mussten wir immer auf eine Tasse Tee bei ihnen vorbeischauen.

Bei uns spielte sicherlich auch eine Rolle, dass Irland Mitte der 1980er eine tiefe Rezession erlebte und viele Iren das Land verließen. Da war es dann ein wenig so: Alles wandert aus, warum kommt ihr ausgerechnet nach Irland? Da bestand schon eine gewisse Neugier und ein großes Interesse an uns Neuankömmlingen.

Gibt es Dinge aus der „alten“ Heimat, die Sie vermissen?

Zu Anfang war es ganz klar das Essen. Hier in Irland hat man doch eine völlig andere Ernährungsweise. Damals gab es zum Beispiel keinen richtigen Kaffee. Auch kannte keiner eine Kiwi. Das alles kam erst später, schlagartig.

Hat sich Ihr Verhältnis zur „alten“ Heimat verändert?

Eigenartigerweise ist jetzt, seit ich älter bin, das Bedürfnis, meine Eltern in Hamburg zu besuchen, größer, als umgekehrt. Wenn ich jetzt nach Hamburg reise, genieße ich manches dort viel mehr, als während meiner Kindheit. Damals war ich jung und wollte weg. Jetzt ist es doch eher so, dass ich die guten Seiten am Deutschen mehr schätze. Auch durch meine Kinder: Meine Jüngste zum Beispiel liebt Deutschland und möchte gerne später dorthin ziehen. Dadurch wird es auch mir wieder näher gebracht, dass doch ein ganzer Teil von mir selbst Deutscher ist. Heute weiß ich meine eigene Kindheit und Entwicklung besser zu schätzen und sehe die Vorteile, die ich dadurch hatte.

Gibt es eventuell Pläne, nach Deutschland zurück zu gehen?

Das wiederum kann ich mir nicht vorstellen. Nicht so sehr wegen eventueller Bedenken, dort nicht mehr leben zu können, sondern weil meine Familie hier ist. Mein zwei ältesten Kinder sind sehr irisch, sind selbstständig und fest verwurzelt. In Deutschland habe ich keine Geschwister, nur noch meine Eltern.

Ich genieße es, wenn ich eine Woche in Hamburg verbringe. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wieder in der Großstadt zu leben, sei es in Irland oder in Deutschland. Und als älterer Mensch aufs Land zu ziehen und sich dort wieder zu integrieren, das ist doch sehr schwierig.

Hat sich Ihr Bild von Irland im Laufe der Zeit gewandelt?

Manchmal bin ich schon etwas traurig über die Celtic-Tiger-Situation, die auch für unsere Kinder von großem Nachteil war. Die ganze Zeit über war Geld im Überfluss da und es wurde viel getrunken. Überhaupt, die ganze Trinkkultur ist zum Beispiel etwas, das ich total ablehne.

Auch wünsche ich mir manchmal mehr Unterstützung für junge Menschen. Die hohe Selbstmordrate unter jungen Männern ist doch sehr erschütternd. Als man hierher gezogen ist, hat man da ja nicht reingeschaut. Aber wenn man hier lebt, bekommt man das alles mit. Aber man kann nicht das eine haben ohne das andere. Es gibt ja auch in Deutschland Dinge, die man nicht gut findet.

Teddybär KreationenWie kam es zum Unternehmen „Bear Essentials“?

Als Sozialarbeiterin habe ich immer schon viel Kunsthandwerk gemacht und mit Kindern und Familien gearbeitet. Irgendwann kam die Überlegung, ob sich daraus vielleicht ein Unternehmen entwickeln ließe. Ich wollte von zu Hause aus arbeiten. Eine Unternehmensberaterin in Nordirland, die sich speziell um Frauen im Kunsthandwerk kümmert, riet mir, mich auf eine Sache zu konzentrieren. So kam mir die Idee mit den Teddybären, in Anlehnung an die alte Steiff-Tradition. Anschließend habe ich zwei Jahre lang im Selbstunterricht am Design von Teddybären gearbeitet. Daraus hat sich „Bear Essentials“ entwickelt.

Angefangen hat es im Schlafzimmer mit Nähen. Dann wurde das Gewächshaus in einen kleinen Laden umgebaut. Und so ist das Ganze weiter gewachsen in ein kleines Kunsthandwerks- und Tourismus-Unternehmen mit Besucherzentrum. Heute sind wir an den Marble Arch Caves Geopark angeschlossen und helfen mit, die Region und das County Cavan touristisch zu vermarkten.

Gibt es eine Teddybären-Tradition in Irland?

Im Vorfeld habe ich damals kaum Recherche betrieben. Dann hätte ich gewusst, dass es eine Teddybär-Tradition im eigentlichen Sinne in Irland nicht gegeben hat. Zwar gab es auch in Irland Teddybären und Unternehmen, aber eben keine so große Tradition wie zum Beispiel in England mit den Teddybär-Sammlern und den Charakterbären.

Ich habe quasi die deutsche Teddybär-Tradition nach Irland gebracht. Die Celtic-Tiger-Situation hat mir da geholfen – die Leute hatten mehr verfügbares Einkommen und kauften Sammlerstücke. Heute haben wir den größten Teddybär-Shop Irlands. Nur leider ist das wenig bekannt.

Bear Essentials Cavan

Das Besucherzentrum von “Bear Essentials”

Was genau hat es mit „Bear Essentials“ auf sich?

Großen Raum nimmt die Ausbildung ein, die Workshops und Kurse, in denen wir das Kunsthandwerk vermitteln und in denen Kinder und auch Erwachsene ihre Bären selbst herstellen. Im Besucherzentrum vermitteln wir Informationen über echte Bären, die in Irland gelebt haben. Auf der Teddy Bear History Tour erzähle ich von der Tradition der Teddybären in Deutschland, ein wenig auch von der Tradition in Irland. Mir gefällt besonders die Vielfältigkeit des Unternehmens, dass es sich immer wieder in eine andere Richtung entwickelt. Das ist auch mit ein Grund, dass ich noch immer im Unternehmen bin.

Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?

Wir möchten gerne das Besucherzentrum weiter ausbauen und noch interessanter machen. Insbesondere möchten wir verstärkt Schulklassen ansprechen und spezielle Vorträge und Präsentationen anbieten. Die Workshops mit ihren hohen Materialkosten sind für Schulen in der Regel zu teuer. Aber vielleicht schaffen wir es, dass die Kinder am Ende mit einer besonderen Erfahrung nach Hause gehen, auch wenn sie nicht ihren eigenen Teddybär mitnehmen können.

Ferner arbeiten wir daran, das Besucherzentrum auch für ältere Menschen attraktiver zu machen. Zum Beispiel indem wir einmal im Jahr ein Event veranstalten, bei dem es Kaffee und Kuchen gibt und wir den Besuchern etwas über Bären erzählen.

Wie betrachten Sie rückblickend die Auswanderung? Würden Sie nochmal nach Irland auswandern?

Eigentlich wollten wir ja nach Kanada auswandern. Es blieb immer irgendwie das Gefühl, auf halbem Weg stecken geblieben zu sein. Vielleicht hegten wir deshalb die Hoffnung, dass vielleicht eines Tages eines unserer Kinder nach Kanada auswandert und man so doch einmal nach Kanada kommt. Aber das wird wohl nicht passieren.

Was Irland angeht: Nach Irland ist man ausgewandert, weil die Insel schön ist und die Menschen freundlich sind. Ich habe damals nie an das Wetter gedacht. Heute denke ich manchmal: Ein wenig wärmer könnte es schon sein. Aber ich möchte nicht des Wetters wegen für immer in Spanien oder Italien wohnen wollen.

Ich denke, Irland hat uns viel ermöglicht. Wir haben doch sehr viel Positives, und die Kinder sind sehr happy mit ihren Unternehmen. Auch meine Eltern fanden es immer sehr schön, wenn sie nach Irland kamen. Es war eigentlich jeder immer begeistert von dem, was wir hier erlebt haben.

Vielen Dank für das Gespräch, Anke, und alles Gute!

Dirk Huck 2013* Das Gespräch führte Dirk Huck. Der Journalist und Systemberater lebt seit 2007 in Dublin, wo er hauptberuflich als technischer Systemberater für Datenbanksysteme arbeitet. In seiner Freizeit schreibt Dirk in einem bunten Mix über sein neues Heimatland Irland, seine Menschen, seine Geschichte und seine Sehenswürdigkeiten. Dirk hegt eine Vorliebe für interessante und ausgefallene Orte und Geschichten.

 

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