Menschen in West Cork: Nach der Zählweise seiner Mutter ist er jetzt 88 Jahre alt, nach der seines Vaters 86. Die Geburtsurkunde: lange verloren. Am 3. Februar feierte Juri wieder seinen doppelten Geburtstag. Er ist einen langen Weg gegangen. Geboren in Georgien, lebte er in der Ukraine, in Polen, in Bulgarien, in Russland und im Norden Englands. Er war in vielerlei Berufen unterwegs, war Ingenieur, Herrenhausbesitzer, Maler und Pferdeflüsterer.

Als ich ihn vor zehn Jahren erstmals auf einem Waldspaziergang in West Cork traf, suchte er seinen Hund. Juri war damals Maler. Nach einem Unfall konnte er nicht mehr mit den Pferden arbeiten und pinselte stattdessen zum Broterwerb Heiligenbilder. “Eigentlich wollte ich diesen Moses nie wieder malen – aber ich brauche Geld”. So entstand eine weitere Moses-Ikone.

Juri wohnt unweit vom Meer in einem winzigen Holzhäuschen, das er vor eineinhalb Jahrzehnten im Hobbithaus-Stil um eine große Esche herum gebaut hat. Dort, im Schatten des Baumes und einer Herrenhaus-Ruine lebt er heute nach Lieben, Scheidungen und Lieben alleine und weitgehend selbständig. Im gemauerten Ofen brennt kein Feuer. Das Elektro-Öfchen spendet genug Wärme an diesem irischen Vorfrühlingstag.

Juri sitzt am runden Tisch, liest, malt oder schaut Filme am Computer – auf dem Kopf eine russische Offiziersmütze. Er diskutiert gut informiert über Politik, vergnügt sich an alltagsphilosophischen Betrachtungen. Einmal am Tag kommt die Haushaltshilfe vom Gesundheitsdienst und steht ihm bei, er ist gerne glatt rasiert. Manchmal singt er. Manchmal noch geht er vor die Tür.

Der Mann aus Georgien hat vor 18 Jahren beschlossen, in Irland zu leben. Eigentlich wollte er nach einer Wohnbus-Tour durch Irland nach Bulgarien umsiedeln. Kurz vor der Fähre ermunterte ihn eine innere Stimme, zu bleiben. Irland sei schön, Irland sei sicher, Irland werde gut regiert. Er blieb.

Auf seinem kleinen Flecken Land in seinem kleinen Haus ist Juri gerne geduldet. “Wenn ich einmal tot bin, kommt ein Bagger, und das Haus, mit allem was drin ist, wird dem Erdboden gleich gemacht.” Und was kommt danach? “Nichts.” Über Religion und Glauben macht sich der alte Mann gerne lustig. Er wartet nicht auf ein Paradies, das es nicht gibt – und nein, an Engel glaubt er auch nicht. Dennoch malt er sie – teuflische kleine Lichtwesen, gerne mit glimmender Zigarette.

Das Leben, diese Reise zwischen Geburt und Tod, ist ihm genug. Sagt er. Juri schätzt den wachen Augenblick und erzählt gerne, was es braucht, um in Würde alt zu werden: “Ein gesundes Herz und ein schlechtes Gedächtnis”.  (Was sagte ich gerade?)