Weil wir gerade dabei sind: Ralf Sotscheck hat in seiner gestrigen Kolumne das meist gehasste Unternehmen Irlands aufs Korn genommen: EIR. Das war nicht gut für meinen Blutdruck, denn EIR ist nicht nur das schlechteste Unternehmen, das mir jemals begegnet ist – es ist auch das Unternehmen, das mir am meisten Lebenszeit geklaut und am meisten Verdruss im Alltag bereitet hat. EIR ist die irische Telekom. Sie betreibt trotz anhaltender Erfolgslosigkeit das Festnetz, das Breitbandnetz und beachtliche Teile des Mobilfunknetzes auf der Insel. EIR kann uns also richtig weh tun – und tut es. Zumindest dies erfolgreich. Seit über 20 Jahren.

Im Folgenden poste ich deshalb noch einmal meinen unter seelischen Schmerzen geschriebenen Aufschrei aus dem vergangenen Jahr. Inzwischen sind wir drei Auseinandersetzungen und eine Aufsichtsbeschwerde bei der irischen Regulierungsbehörde Com Reg weiter. Doch das ist eine andere Geschichte für ein andermal. Gerade war das Internet mal wieder für eine Stunde verschwunden, ich drücke deshalb jetzt schnell auf “Veröffentlichen” und sende diesen Text noch einmal hinaus zu Euch in die wunderbare Welt, wo Internet und Telefon das tun, was sie tun sollen  . . .

Bevor ich wirklich drücke, noch schnell die Antwort auf die Frage von Freunden aus Deutschland: Wie hält man das so lange aus? Nur mit Humor.

 

Wir schrieben das Jahr 2021, ein Tag im Januar . . . Tag der Abrechnung.

Manchmal wacht er am frühen Morgen schweißgebadet auf, in seinen Ohren dröhnt Warteschleifenmusik. Im wiederkehrenden Schachteltraum hatte er sich erneut in den schier unendlichen Weiten der Warte-Loops von EIR verloren. Mein Alter Ego Zanoni spricht von schlimmsten Alpträumen – und diese haben einen Namen: EIR. Mein beladener  Freund ist noch immer ein guter Christ, schwer wiegen deshalb seine jüngsten Worte: “Oh Lord, save us from EIR” – auf Deutsch etwa: “Oh Herr, EIRlöse uns!”

EIR ist das traurige Überbleibsel der einst stolzen nationalen irischen Telefongesellschaft Eircom. In den vergangenen Jahren wurde das privatisierte Unternehmen von profitgierigen Firmen-Jongleuren brutal ausgebeint und ausgeweidet. Dumm nur, dass EIR noch immer weite Teile des irischen Telekommunikationsnetzes, man will es nicht aussprechen, verwaltet und betreut.

 

Alpträume oder Bootcamp

 

Mein alter Freund hat sich für die Alpträume entschieden, ich für das ultimative Bootcamp zum Training von Gelassenheit. Denn auch ich bin Kunde von EIR – und ja, manchmal weine ich verzweifelt ins Kissen, bitte um EIRlösung und EIRbarmen. Seit 20 Jahren behauptet unsere Telekom den traurigen Titel, die schlimmste Firma zu sein, mit der ich in meinem ganzen Leben zu tun hatte – und das will bei heftiger Konkurrenz wie Facebook oer Amazon etwas heißen. EIR behindert unsere Geschäfte, verhindert unsere sozialen Kontakte und stiehlt mir Lebenszeit in der Größenordnung eines unnützen Hobbies.

Das Festnetz-Telefon ist tot, aus der Highspeed-Leitung tröpfeln nur einsame Kilobytes, das Breitband-Internet könnte schmaler nicht sein. Mobilfunkempfang? Ein Fremdwort hier in der selbst gewählten Web-Diaspora im irischen Busch. Seit wir hierher in unsere fabelhafte Wahlheimat am Atlantik gezogen sind, kämpfen wir um das rare Lebens-Elixier Erreichbarkeit  – um Bandbreite und Signalstärke. Klar, irgendwas geht immer, selbst wenn wir zum Telefonieren eine Meile die Straße hoch fahren müssen . . .

 

 

Die digitale Gegenwart ist fern

 

Wir haben alles und alle ausprobiert, wir haben mit allen Mitteln versucht, EIRlösung zu finden und diese Firma hinter uns zu lassen. Wir waren bei Gaunern, die uns Satelliten-Internet, 100 Megabyte zum Preis von einer Unze Silber, verkauften. Wir waren Kunden bei allen Telcos dieser kleinen irischen Internet-Welt. Uns halfen heldenhafte EIR-Techniker auf eigene Faust, sie klöppelten uns die dreifach vom Sturm zerrissene Telefonleitung aus reiner Menschenfreundlichkeit nach drei Wochen ohne Anschluss provisorisch wieder zusammen. Wir träumten von Signal-Re-Beamern, Wimax-Wundern und turmhohen Empfängermasten hinterm Haus. Wir wechselten die Internetmodems, wie manche Bachelors ihre Unterwäsche, im Dreimonatstakt – und wir sind noch immer nicht in der digitalen Gegenwart angekommen.

Beim Kunden-“Service” von EIR anzurufen – ich bin als der Technik-Affinste meines Umfelds dazu verdammt – erfordert Mut, gute mentale Vorbereitung und den Willen zum Leiden. Ich habe im Lauf der Jahre in langem Training gelernt, die Warteschleifen-Musik als Mantra zu deuten, die Atemfrequenz auf wenige Schnaufer pro Minute zu reduzieren – und mich zu freuen, wenn ich nach 40 Minuten Warten aus der Leitung geschubst werde: Keine Nachrichten sind wenigstens keine schlechten Nachrichten . . . Ich lernte beim Warten das Warten.


Die stumme Gemeinde der EIRzürnten

Das meditative Warten auf die Callcenter-Brüder und -Schwestern von Godot stiftet mir neuerdings Sinn: Wir sind in der Einsamkeit der Warteschleife nicht alleine. Wir erleben hier Gemeinschaft in der stummen Gemeinde der EIRzürnten, der EIRledigten und der EIRschöpften. Fast jede Woche spendet uns die wichtigste Zeitung des Landes, die Irish Times, neuen Lebensmut, wenn sie von all den meditativen Erlebnissen der tausenden Anderen in den unerhörten Warte-Loops unserer Telekom-Firma berichtet.

Um nicht mit der langen Historie von 20 Jahren Elend zu langweilen, erzähle ich hier nur das vorerst letzte, bis heute völlig offene Kapitel aus dem Buch des Schweigens. Nach mehreren Monaten und mehreren von EIR einfach ignorierten Kündigungen des völlig desolaten Festnetzanschlusses wurde das Ende unserer Festnetz-Ära im vergangenen Herbst dann doch noch bestätigt. Es war Zeit, bessere Mobilfunkverträge abzuschließen – unser kommunikatives Lebens-Elixier erreicht uns nun in Form von Strahlung aus der Luft. Sogar in unserem Haus (!) konnten wir mittlerweile per WLAN-basiertem Mobilfunk telefonieren. Die rettende Errungenschaft nannte sich “WLAN-Anrufe” und war der einzige Grund, unser telekommunikatives Leben nicht einfach komplett hinter uns zu lassen – und weiterhin monatlich stattliche Beträge brav auf das Konto von EIR zu überweisen.

Sisyphos – der glückliche Mensch am Schreibtisch

 

Mitte November erfreuten wir die Anteilseigner von EIR mit dem Abschluss von zwei doppelt so teuren, komfortablen Mobilfunkverträgen (mit Europa-Flat!). Wir sahen uns auf dem Weg in die digitale Normalität. Die Hoffnung starb zuletzt. Davor noch starb das Feature WLAN Anrufe . Der neue Vetrag kam und die Verbindung zur Welt ging. Fortan fuhren wir wieder die berühmte Meile die Straße hoch zum Telefonieren.

Viele Meditationsstunden später, inklusive zweier Fahrten zum nächsten, 80 Kilometer entfernten EIR-Shop, haben wir einen sensationellen Teilerfolg errungen: Nach drei Wochen Auszeit zog das technische Wunder WLAN Anrufe auf einem unserer beiden Handys wieder ein. Wir können im eigenen Büro telefonieren! Abwechselnd halt. Trotzdem: Hurra. Wir sind alle miteinander verbunden.

Für die Rückkehr des zweiten Handys aus dem Koma meditieren wir noch. Auch zweieinhalb Monate später. Das Versprechen, dereinst ins virtuelle Nirwana zu kommen, hält uns in der Warteschleife; und das Wissen darum, dass der moderne Sisyphos keinen Felsbrocken mehr den Berg hinauf wälzen muss. Er sitzt am Schreibtisch und versucht den Support von EIR anzurufen.

Wie schrieb Albert Camus so lakonisch und weise: Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen . . .

PS: Wer hat auch eine solche “Lieblings-Firma”? Erfahrungsberichte willkommen! Die Kommentarspalte ist geöffnet.

 

[Nachtrag, 1. Februat 2021: ] Veronika, der Lenz ist da – und noch besser: WIFI Call funktioniert nach zweieinhalb Monaten Call-Sabbat seit heute morgen wieder. Halleluja!

 

 

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