Michael Collins

Heute vor 100 Jahren, am 22. August 1922, starb Michael Collins. Die prägende Persönlichkeit des irischen Unabhängigkeitskampfes wurde auf dem Höhepunkt eines brutalen Bürgerkriegs das Opfer eines Hinterhalts in der kleinen Streusiedlung Béal na Bláth im ländlichen West Cork zwischen Bandon und Macroom. Michael Collins wurde nur 31 Jahre alt. Er starb an einem Kopfschuss. Collins war zuletzt Chef der provisorischen Regierung Irlands und Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Der aus Sam´s Cross bei Clonakilty in West Cork stammende Freiheitskämpfer und Politiker war mit seinem Tross von 20 Männern in einem gepanzerten Leyland Eight auf dem Weg von einem Inspektions-Besuch in Bandon zurück nach Cork City, als er am Abend bei Béal na Bláth in einen Hinterhalt von IRA-Kämpfern geriet. Anstatt in der gut gesicherten Limousine weiter zu fahren, stellte sich Collins dem Kampf und kam in dem einstündigen Gefecht als Einziger ums Leben. Der Tod von Michael Collins ist eines der prägenden Ereignisse der irischen Geschichte und wirkt bis in die Gegenwart hinein. Die genauen Umstände seines gewaltsamen Todes blieben bis heute ungeklärt und geben Raum für Spekulationen und Mythen.

Michael Collins war der wichtigste Führer im irischen Unabhängigkeitskampf (1919 – 1922). Im Krieg gegen die britische Besatzungsmacht stieg der junge, vielseitig begabte Collins rasch zur zentralen Figur auf. Er war als Finanzminister der provisorischen irischen Regierung für die Mittelbeschaffung im Befreiungskrieg zuständig und leitete gleichzeitig den Geheimdienst der kriegführenden IRA (Irish Republican Army). Collins hatte früh erkannt, dass die schlecht ausgerüsteten irischen Soldaten den offenen Kampf gegen die übermächtigen Briten nie gewinnen könnten und wählte deshalb die Strategie des Guerillakriegs und der ständigen Nadelstiche. Die Rechnung ging auf: Im Juli 1921 schlossen Briten und Iren aufgrund der fest gefahrenen militärischen Lage einen Waffenstillstand und begannen mit den Verhandlungen über einen unabhängigen irischen Staat.

Collins unterschrieb mit dem anglo-irischen Vertrag sein Todesurteil

Michael Collins

Michael Collins im Jahr 1919

Gegen den anfänglichen Widerstand seines größten internen Widersachers, des späteren irischen Dauer-Regierungschefs Eamon de Valera (“The Long Fellow”) wurde Michael Collins (“The Big Fellow”) auch zur zentralen Figur der Verhandlungen des anglo-irischen Vertrags zur Gründung eines irischen Freistaats, den er am 6. Dezember 1921 mit unterschrieb. Collins mutmaßte an jenem Tag in London, dass er damit sein Todesurteil unterschrieben haben könnte – und er behielt Recht.  Denn der Vertrag (“The Treaty”) entzweite die irische republikanische Bewegung: Die Befürworter, die man heute Realpolitiker nennen würde, akzeptierten die britischen Forderungen, dass der irische Freistatt nur relativ unabhängig sein würde. Er blieb Teil des britischen Empire, hatte der britischen Krone gegenüber loyal zu sein und verlor die sechs nordirischen Grafschaften. Die Treaty-Gegner waren zu Kompromissen mit den Briten nicht länger bereit und forderten die sofortige komplette Unabhängigkeit Irlands. Dieser Konflikt, bei dem es im Kern um die Frage ging, wie die Iren mit den Briten umgehen sollten, führte im Juni 2022 zum irischen Bürgerkrieg, der bis Mai 1923 dauerte und tiefe Wunden in der irischen Gesellschaft hinterließ, die bis heute nicht verheilt sind.

Michael Collins hatte sich positioniert. Er sah den anglo-irischen Vertrag als einen ersten Schritt in die völlige Unabhängigkeit – und machte sich aufgrund seiner Kompromisshaltung viele Feinde im eigenen Lager. Die radikale IRA, die er selber geführt hatte, und Teile des republikanischen Establishments stellten sich gegen ihn. Michael Collins hatte Jahre im Untergrund und auf der ständigen Flucht vor den Briten überlebt. Als er am Morgen des 22. August 1922 das Zimmer 115 im Imperial Hotel in Cork verließ, um eine Besuchsreise ins nahe Bandon anzutreten, wirkte das wie der Beginn eines vergleichsweise ungefährlichen Tages. Collins kehrte nie in das Zimmer 115 auf der South Mall am River Lee zurück. Sein Tod befeuerte den inneririschen Bruderkrieg, von dessen Brutalität alte Irinnen und Iren heute noch sagen, er sei bei weitem schlimmer und schmerzhafter gewesen als 800 Jahre englische Besatzung: Denn die elf Monate Bürgerkrieg zerstörte Familien, Blutsbande und Freundschaften.


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Bis heute ranken sich Geheimnisse um den Tod des irischen Revolutionärs und Politikers. Weil die Ermittlungen zu seinem Tod im August 1922 nachlässig, schlampig, ungenau und unvollständig waren, wird die ganze Wahrheit möglicherweise niemals ans Tageslicht kommen. Zwar hatte ein IRA-Kämpfer, der bei dem Hinterhalt dabei gewesen sein will, einen Todesschützen von der IRA benannt – die Aussagen blieben aber umstritten. Eine andere Theorie vermutet, dass der britische Geheimdienst in die Tötung von Collins verwickelt war.

Rätsel wirft noch immer die Frage auf, wie ein Mann, der jahrelang im gefährlichen Untergrund in und um Dublin überlebte, sich in seinem Heimat-Territorium derart unvorsichtig verhalten konnte. Collins war auf der engen Landstraße von Béal na Bláth ungeschützt aus seinem gepanzerten Wagen gestiegen und hatte sich zur Zielscheibe gemacht. Unvorsichtig und letztlich tödlich war, dass der Konvoi denselben Hin- und Rückweg nahm: Schon am Morgen war Collins mit seinem Trupp durch Béal na Bláth gefahren. Dabei hatte ihn ein IRA-Mann erkannt.

Imperial Hotel Cork

Zimmer 115 im Imperial Hotel in Cork. Hier verbrachte Michael Collins seine letzte Nacht.

Gestern, am Sonntag, dem 21. August 2022, 100 Jahre nach dem verhängnisvollen Attentat versammelten sich viele tausend Menschen am Landsträßchen von Béal na Bláth, um Michael Collins zu würdigen. Die schlichte Gedenkstätte am Straßenrand, die zwei Jahre nach dem Attentat eingeweiht worden war, wurde in den vergangenen Monaten für die Jahrhundertfeier aufgehübscht. Erstmals sprach gestern neben dem Chef der Collins-Partei Fine Gael, Leo Varadkar, auch ein Vorsitzender der Partei Fianna Fail, der amtierende Regierungschef Micheal Martin. Die beiden Mitte-Rechts-Parteien, die derzeit erstmals eine gemeinsame Regierung bilden, repräsentieren bis heute den Konflikt um den anglo-irischen Vertrag: Fine Gael steht in der Tradition von Michael Collins, Fianna Fail in der Tradition der Vertragsgegner um Eamon de Valera.

Dass die Spitzenvertreter beider Parteien gestern erstmals eine Rede am Todesort von Michael Collins hielten, ist eine wichtige Geste auf dem Weg in eine Zukunft, die nicht mehr von den Konflikten der Vergangenheit dominiert wird.

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Tipp: Wer sich dem Thema Irischer Unabhängigkeitskampf und der Person Michael Collins auf leichte Weise nähern will: Der Film Michael Collins des renommierten irischen Regisseurs Neil Jordan aus dem Jahr 1996 mit Liam Neeson und Julia Roberts bietet gewagte Thesen und beste Unterhaltung. Wer es lieber düster und brutal mag (und starke Nerven hat), dem sei der Film The Wind That Shakes The Barley von Ken Loach aus dem Jahr 2006 über den irischen Unabhängigkeits- und Bürgerkrieg empfohlen.

Fotos: von oben: Irische Briefmarke von An Post aus dem Jahr 2022 zu Ehren von Michael Collins; Michael Collins im Jahr 1919, Encyclopaedia Britannica; Zimmer 115: The Imperial Hotel Cork. Die Michael Collins Suite mit der behutsam renovierten Ausstattung von 1922 kann für Übernachtungen gebucht werden. Unten: Míchael Collins Memorial in Béal na Bláth by Hywel Williams, CC BY-SA 2.0

Michael Collins Memorial

Michael Collins Memorial in Béal na Bláth (2012)