Glengarriff

Unser kleines Dorf Glengarriff

Die Gerüchteküche brodelte seit langem, jetzt sind sie eingetroffen: 90 Menschen aus der Ukraine, überwiegend Frauen und Kinder, haben in unserem kleinen Dorf Glengarriff seit dieser Woche eine Bleibe gefunden. Die Eigentümer des Park-Hotels haben mit der irischen Regierung einen Vertrag abgeschlossen, die vom Krieg aus ihrer Heimat geflüchteten UkrainerInnen bis zum kommenden Juni aufzunehmen. Das Hotel war vorbereitet: Die Doppelbetten wichen neuen Einzelbetten, Stromleitungen wurden neu verlegt, Versammlungsräume neu eingerichtet. Die Gäste aus Osteuropa werden nicht nur ein paar Tage bleiben, die meisten werden mindestens ein halbes Jahr im Park-Hotel leben. Im Juni dann wollen die Eigentümer wieder auf Tourismus-Betrieb umschalten.

Ungefähr 60.000 UkrainerInnen hat Irland bis heute aufgenommen. Während die Menschen aus den Kriegsgebieten in Städten wie Dublin, Cork, Limerick und Galway nicht groß auffallen, prägen sie das Leben im ländlichen Irland zunehmend mit. In den Dörfern und Kleinstädten des County Clare, in Ballyvaughan, Ennistymon oder Lisdoonvarna leben seit Monaten rund 3500 Geflüchtete. Die gelb-blauen Fahnen wehen. In Lisdoonvarna wurden zuletzt mehr Ukrainer als Einheimische gezählt (Ein Beitrag dazu hier). Ganz ähnlich wird das auch in Glengarriff sein. Der Kernort, bekannt als The Village, hat gerade einmal 140 Einwohner. Die Aufregung ist deshalb groß, ob diese Spontan-Vergrößerung der Bevölkerung von 140 auf 230 Einwohner gut gehen wird.

Glengarriff Irland

Park Hotel Glengarriff: Eine Bleibe für 90 UkrainerInnen

Man erinnert sich an den vergangenen Winter, als ein geschäftstüchtiger Gastronom in Glengarriff 20 wohnsitzlosen Menschen in Kooperation mit den Behörden Unterkünfte in seinem B&B zur Verfügung stellte – unter ihnen auch Männer, die sich wegen Mordverdacht, Pädophilie oder Waffenbesitz in Gerichtssälen gut auskennen. Die immense Spannung im Dorf entlud sich hier und dort in Scharmützeln und bösartigen Graffities. Die Erfahrungen im County Clare sind dagegen weitgehend positiv: Einheimische und ukrainische Gäste leben dort bislang recht reibungslos und konfliktfrei zusammen – was unter anderem daran liegt, dass Irinnen und Iren Meister der Improvisation sind.

Nicht alle Einheimischen attestieren der Regierung, eine stimmige Flüchtlingspolitik zu machen. Zu viele Horrormeldungen über gestrandete Neuankömmlinge und überfüllte Unterkünfte machten in den vergangenen Monaten die Runde. Die hohe Intransparenz des Regierungshandelns und die schlechte Kommunikation schaffen wenig Vertrauen. Auch gibt es Stimmen, dass die Regierung es noch nicht einmal geschafft habe, für die eigene Bevölkerung genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich dominiert der eklatante Mangel an Häusern und Wohnungen den politischen Diskurs seit über zwei Jahren. Viele junge Familien haben kaum eine Chance mehr auf ein eigenes Heim, junge und nicht mehr ganz junge Menschen wohnen mangels Alternativen bei Ihren Eltern, Mietwohnungen sind rar, rund 10.000 Menschen leben auf der Straße.

Auch der gute alte Neid mischt kräftig mit

Auch der gute alte Neid, eine Haupttriebfeder des irischen Alltags, mischt kräftig mit: Heftig erörtern die Locals die beachtlichen Summen, die viele Hoteliers jetzt für die Unterbringung der Geflüchteten einstreichen. Von Profitgeiern und Kriegsgewinnlern ist die Rede. Manche Hotelbesitzer halten öffentlich dagegen: Er habe aus Empathie gehandelt und nicht aus Gewinnstreben, sagte der Eigentümer des Hydro Hotels in Lisdoonvarna, Marcus White, der Irish Times. White nahm im Sommer 250 UkrainerInnen und 60 Haustiere in seinem Traditionshaus auf. Der Hotelier legte Wert auf die Feststellung, dass er mit Touristen mehr Geld verdienen könne als mit Geflüchteten. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass von Ende Oktober bis Anfang April kaum Urlauber in den Westen Irlands kommen – auch nicht nach Lisdoonvarna.

Die irische Tourismus-Lobby schaut derweil nervös auf die kommende Reisesaison. Der Verband der Reiseindustrie (ITIC) rechnet der Regierung vor, dass derzeit 22 Prozent aller Gästeunterkünfte und 15 Prozent aller Hotelbetten von Geflüchteten aus der Ukraine und von Asylsuchenden aus anderen Ländern belegt seien – Tendenz steigend. Pro Woche kommen im Schnitt 1000 weitere Menschen auf der Insel an und benötigen ein Dach über dem Kopf. ITIC forderte deshalb rasche Maßnahmen vom Staat und eine Begrenzung der Belegungsquote in Tourismusbetrieben auf 12 bis 15 Prozent durch den schnellen Bau neuer Unterkünfte. Die bestehenden Sammelunterkünfte Irlands (Direct Provision) sind allerdings schwer in Verruf geraten: In ihnen sei die Verletzung der Menschenwürde eher die Regel als die Ausnahme.

Es dürfte also eng werden im Jahr 2023 in Irlands Herbergen, wenn sich aus der Not Reisende und Vergnügungs-Reisende um die vorhandenen Betten streiten. Andererseits nehmen in diesen von Inflation und Geldnöten geprägten Monaten viele Menschen Abstand von einer Urlaubsreise – die Einen, weil sie ihr Geld für Notzeiten sparen wollen, die anderen, weil sie kein Geld mehr haben, um den Urlaub zu bezahlen. Schon heute ist jedenfalls klar, dass die bisweilen schwer erträglichen Wohnmobil-Kolonnen, die die engen Landsträßchen am wilden Atlantik verstopfen, in der kommenden Saison noch erheblich anwachsen werden. Während die Einen um ihre Existenz kämpfen, fahren die Anderen in raumgreifenden Wohnwannen aus Spaß ihren Hausstand spazieren – und das alles gleichzeitig auf dieser wunderbaren, kleinen grünen Insel.


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Fotos: Eliane Zimmermann (unten); Markus Bäuchle