Inis Mor

Dun Aengus, Inis More

Ein Besuch auf der Aran-Insel Inis Mor und ein Blick hinter die Kulissen der beliebten Ausflugsinsel, die sich massiv mit dem Tagestourismus eingelassen hat,

Eine junge Litauerin unterhält sich fließend auf Gälisch mit einer alten Irin. Die Frau lebt mit ihrer Familie auf Inis Mor, der größten der drei Aran-Inseln in der Bucht von Galway. Sie spricht die Inselsprache Irisch fast perfekt und wechselt spielerisch leicht ins Englische. Sie wartet auch auf den Abflug vom kleinen Flugplatz Inverin bei Spiddal hinüber nach Inis Mor (Inishmore). Für die Achtminutensünde in der zehnsitzigen Propellermaschine Britten-Norman BN-2 Islander unterbreche ich meine Flugabstinenz. Seit ich mit der Fähre zu den Aran-Inseln in der Bucht von Galway fahre, wollte ich immer schon einmal mit dem luftigen Insel-Hopper fliegen. Die Inselbewohner haben seit den frühen Siebziger-Jahren eine Flugverbindung zum Festland, das Wetter spielt gerade so mit. Die Sicht wird etwas besser. Heute die Premiere mit Aer Arann, ein alter Wunsch geht in Erfüllung.

Inis Mor ist halt eine Insel. Da wird ein Inselzuschlag berechnet. Aber 120 Euro pro Nacht für ein Einzelzimmer im Bed & Breakfast? Soll ich wirklich? Muss ich wohl, sonst kann ich auf dem Festland bleiben. Preiswerter geht es diesen September auf der größten der drei Aran-Inseln nicht. Mit derlei Selbstbeschwichtigungen habe ich mich zur Buchung in einem landesüblichen B&B unweit vom Pier von Kilronan durchgerungen. Jetzt sitze ich hier im ersten Obergeschoss im Zimmer 9 und schaue aus dem Fenster auf den Hinterhof. Auf eine Blechhüttenlandschaft, auf den Hintereingang, auf die massive Feuertreppe, auf den mannsbreiten Entlüftungsschacht. Den kann ich sogar hören. Er röhrt mit dem Wind um die Wette. Tag und Nacht.

Inis Mor

Mein Blick aus Zimmer 9

Ganz da hinten sehe ich ein paar Steinmauern, ein paar Felder, ein Viehfuttergitter, einen rostigroten Rest eines Betonmischers aus einer anderen Epoche, allerlei Ausgedientes, was irgendwann hinter dem Betonzaun des Vergessens verschwand – und einen Zipfel Atlantik. 120 Euro. Man bezahlt ja nicht für den Blick. Im Zimmer stehen drei Betten, für jede Nacht eines. Den Wasserkocher mit Nescafé gibt es auch noch. Ich habe das Tischchen zum Schreiben an das Fenster gerückt. Die B&B-Besitzer, Vater, Mutter, Sohn, benutzen gerne den Hintereingang direkt unter mir. Sie haben mit dem Gästen wenig zu tun. Das Freundlichsein delegieren sie an ihr internationales Personal. Die Bedienerinnen machen das gut – und sind dabei auch noch ehrlich: “Ich will Dich nicht belügen, der Ziegenkäse ist nicht von der Insel. Den guten Käse von Gabriel und Orla bekommst Du im Supermarkt”. Hier auf dem Frühstücks-Buffet sollte der importierte Ziegenkäse reichen.

Vor drei, vier Jahrzehnten gab es hier auf den Aran Islands im B&B und auch im Lebensmittelladen eine einzige Käsesorte, Galtee Schmelz-Cheddar. Heute serviert man Ziegenkäse, drei Sorten Kuhkäse. Lachs. Dazu fünf verschiedene Cerealien, Dosenfrüchte, viele süße dünne Säfte. Das Rührei verdächtig fein gerührt. “Nein, frisch” – nicht aus der Cateringflasche. Glück gehabt. Ansonsten hat sich nicht viel verändert. Ein konzentrierter Blick über das Buffet reicht, um den Zuckerbedarf für eine Woche zu decken. Es gibt ja noch den Spar-Laden um die Ecke. Der ist so gut, wenn nicht besser sortiert, wie unser Spar-Laden in West-Cork. Ein irisches Komplettangebot mit großer Alkohol-Abteilung. Es ist noch nicht so lange her, dass Wein hier ein Fremdwort war. Jetzt mangelt es an nichts mehr – außer vielleicht am Maß.

 

Inishmore

Die Karawane setzt sich in Bewegung

Die knapp 800 Einwohner von Inis Mor haben sich mit dem Tages-Tourismus eingelassen. Seit sie die Kontrolle über den Fährbetrieb abgegeben haben, werden die drei Inseln in der Galway Bay von Frühjahr bis Herbst von großen Fährschiffen angesteuert. Sie kommen von Doolin, von Rossaveal und direkt aus der Stadt Galway mit 200 Menschen und mehr. In der Hochsaison im August kümmern sich die Insulaner um die Urlaubskasse von 2000 Tagesgästen – versuchen, Ihnen einen Ausflug mit dem Fahrrad, mit der Pferdekutsche oder dem Minibus schmackhaft zu machen. Wer all dies nicht will, sollte wenigstens im nahen Fish&Chips, in den Pubs und Restaurants seine Euros lassen – und im Spar-Laden.

350 Gästebetten kann Inis Mor aufbieten. 95 Prozent der Touristen verlassen die Insel am Abend wieder. Eng wird es in den B&B, Pensionen und Ferienhäusern im Hochsommer oder wenn eine große Familienfeier auf der Insel statt findet. Inis Mor wird gerne für Hochzeitsfeiern angesteuert, inklusive der berüchtigen Stag- and Hen-Parties. Die wilden vorehelichen Drinkrituale sind nicht überall gern gesehen, das bekannteste Insel-Pub verbannt Polterabende – und Fahrräder gleich mit.

Gut, dass die Gäste kommen – und dass sie wieder gehen

“Es ist gut, dass so viele Gäste kommen”, sagt man auf Inis Mor. Sie halten die Insel-Community nach dem Niedergang der Fischerei am Leben. Es ist noch besser, dass sie alle wieder gehen, ergänzen manche. Sie hoffen darauf, dass sich die Aran-Inseln bald aus der einseitigen Umklammerung des Tagestourismus befreien können. Es gibt Hoffnung: Gutes Breitband-Internet lockt schon jetzt Menschen vom Festland an, die ortsunabhängig arbeiten können und die der Stadt den Rücken kehren wollen. Die jungen Leute von Inis Mor hoffen, dass bald die neuen Jobs kommen. Der Inselnachwuchs hat traditionell ein Faible für maritime Berufe. Bald soll draußen im Atlantik vor der Inselgruppe ein großer Offshore-Windpark gebaut werden. Die Leute von Aran sollen einen Teil des Kuchens in Form von Arbeitsplätzen abbekommen.

Bis dahin rollen die Pferdekutschen, fahren die Minibusse, surren die Leihräder (ab 20 Euro). Was machen die Urlauber mit ihrem Tag auf der Insel? Die meisten zieht es wohl zum berühmten Dun Aengus, dem halbrunden Steinfort aus der Bronzezeit hoch auf den Klippen. Die Karawane zu dem acht Kilometer vom Pier entfernten Kulturwunder setzt sich um 11 Uhr nach Ankunft der Fähren in Bewegung. Die letzten 800 Meter hoch zum Fort müssen zu Fuß bewältigt werden. Der Weg ist steinig und steil. Nicht alle kommen oben an. Macht nichts: Unten an der Straße gibt es Proviant und Souvenirs in Hülle und Fülle.

Der Blick aus dem Fort hinunter auf die Klippen und den Atlantik: Grandios. Wofür diese Verteidigunsanlage vor 3000 Jahren, oder waren es ein paar weniger, wohl einmal gebaut wurde? Von kriegerischen Handlungen auf der Insel ist nichts bekannt. Eine Theorie will wissen, dass es sich bei Dun Aengus wie auch bei den großen Ringforts auf Inis Mor um bronzezeitliche Statussymbole handelt. Clanführer bauten die Forts, weil sie es konnten. Ab 14:30 Uhr trottet und strampelt die Karawane zum Pier zurück.

 

Inis Mor

Jede Menge Räder für die Tagesgäste (20 Euro)

Wer alte Steine mag, kommt auf Inis Mor auf seine Kosten. Es gibt hier mehr Kirchenruinen als aktiv betriebene Kirchen (3), was auch den vom Glauben Abgefallenen gefallen dürfte. Es gibt mannshohe Steingräber, in denen niemand begraben ist – und schöne traditionelle Friedhöfe, einer davon in den Dünen gelegen, die Kirchenruine halb im Sand versteckt. Wer Natur mag, wird sich zunächst auch wohl fühlen. Die Süßwasser-Lagunen auf der Insel geben vielen Vogelarten eine Heimat. Die Vögel leiden am wenigsten unter der ungelösten Abwasserfrage. Der Inselfelsen benötigt dringend ein öffentliches Abwassersystem. Das County Council schaut noch immer weg. Weit besser geebnet dank privater Initiativen scheint der Weg zu einer sauberen Energieversorgung. Die Pläne für ein eigenes Windrad gedeihen, schon seit 2016 sind in den 14 Dörfern und Weilern der Insel zahlreiche Elektroautos unterwegs, es entstehen gut isolierte Häuser mit Wärmepumpen.

 

Das Wurmloch

Am Wormhole

Mein zweiter Lieblingsort liegt weniger als zwei Kilometer von Dun Aengus entfernt an der Südküste: Das Wormhole (Wurmloch, irisch: Poll na bPeist) ein rechtwinkliges Naturbecken, liegt auf der ebenen Plattform einer Klippe unter einer 20 Meter höheren Klippe und sieht aus wie ein in Stein gemeißelter Swimming Pool. Das etwa 20 auf 8 Meter große Wasserbecken soll rund 2o Meter tief sein und ist durch Unterwasserkanäle mit dem Atlantik und mit einer Höhle verbunden. Das Wormhole, auch unter dem Namen The Serpent´s Lair (das Versteck der Schlange, der Unterschlupf des Ungeheuers) bekannt, wirkt an sonnigen windstillen Tagen harmlos und lockt zum Baden. Doch es ist ein gefährlicher Ort. Das Wasser im Becken wird durch die unterirdischen Kanäle den Gezeiten unterworfen, hohe Wellen füllen das Becken bei unruhiger See von oben. Dieser Ort ist magisch, bezaubernd unheimlich, ungezähmt und wild. Er verlangt Respekt. Der Weg zum Wormhole führt querfelsein die Küste entlang über die verkarstete Kalksteinlandschaft des Insel-Burren.

Die Zeit vergeht wie im Flug. Am letzten Abend genehmige ich mir eine Portion Fish&Chips bei Joe Watty´s. Satte 20 Euro. Inis Mor ist halt eine Insel. Eine sehr irische Insel.

 

Inis Mor

Meine Achtminutensünde mit Aer Arann


Auf Irlandnews gibt es keine Paywall. Alle aktuellen und insgesamt 3600 Beiträge aus und über Irland stehen Ihnen hier kostenlos zur Verfügung. Sie können unsere Arbeit unterstützen und mit einer Spende zur Kostendeckung beitragen. Wir würden uns darüber sehr freuen. Hier geht es zum Spendenformular.


Fotos: Markus Bäuchle