Irland SturmEine  irische Geschichte von Marie-Louise Lagger

Der Himmel färbt sich gelblich. Es herrscht atemlose Stille. Möwen fliegen landeinwärts. Irgendetwas liegt in der Luft. Plötzlich wird es dunkel. Ich beeile mich, nach Hause zu kommen.

Der Himmel öffnet seine Schleusen, Regen klatscht  horizontal gegen meine Autoscheibe. Regenschirme sind in Irland nutzlos. Ich verlasse mein Auto und renne zum Haus. Der Regen peitscht mir ins Gesicht. Tropfnass gelingt es mir, die Haustür hinter mir zuzuziehen.

Draußen bricht die Hölle los. Es beginnt wie auf Knopfdruck zu stürmen. Die Bezeichnung “der Wind heult” ist hier nicht mehr angebracht. Es hört sich an, wie das Brüllen eines wilden Tieres. Eigenartige Geräusche kommen aus meinem Dachgebälk. Die Böen schlagen in voller Wucht vom Atlantik her an mein Haus. Manchmal geht ein Zittern durch die Wände.

Der Strom fällt aus. Nun hilft nur noch ein warmes Torffeuer und Kerzenlicht. Dass ich zwei Katzen habe,  kann ich nur erahnen. Auf dem Sofa entdecke ich zwei Wolldeckenbeulen. Ich ziehe die Decke zurück und blicke in verängstigte Katzenaugen. Ich streichle ihnen tröstend übers Köpfchen. Es wird schon nichts passieren, meine Kleinen. Plötzlich werden die Beiden dann doch neugierig und setzen sich ans Fenster. Gebannt sehen sie dem Treiben zu und wundern sich, was da alles auf einmal fliegen kann: Blumentöpfe, Abfallcontainer, Äste……, ja sogar ein Gartenhäuschen, eben alles, was nicht niet- und nagelfest befestigt ist.

Der Sturm steigert sich. Windstärke 11 wurde vorausgesagt, was Böen um die 140 Stundenkilometer bedeuten kann und dies vor der Haustür und nicht auf irgendeiner Bergspitze. Das Haus zu verlassen ist nun nicht mehr möglich. Es heißt also einfach ausharren. Zum Glück habe ich noch etwas Käse und Wurst im Kühlschrank und siehe da, eine Flasche Rotwein. Da werde ich mir wohl heute ein Gläschen davon gönnen. Wann der Strom zurückkommen wird, wissen die Götter.

Das Donnern des Meeres wird immer lauter. Der Regen hämmert gegen die Fensterscheibe. Ich lehne mich zurück und eines meiner Kätzchen krabbelt auf meinen Schoss. Irgendwie ist es gemütlich. Das Torffeuer verbreitet eine wohlige Wärme. Ich ergebe mich meinem Schicksal. Wenn ich etwas in Irland gelernt habe, dann Gelassenheit. Wenn das Dach davonfliegen will, wird es dies tun, ob ich mich ängstige oder nicht. Ich schließe die Augen, lausche dem Sturm und bin rundherum zufrieden.

Ich werde müde und gehe schlafen. Meine beiden Kätzchen kriechen auf meine Bettdecke und wir versuchen ins Land der Träume zu entschwinden, was bei dieser Geräuschkulisse leichter gesagt ist als getan. Auf meinem Nachtisch liegt griffbereit die Taschenlampe.

Am nächsten Morgen, es stürmt immer noch, wache ich auf und halte meine Taschenlampe fest umklammert. Ich war unbewußt wohl doch auf Flucht eingestellt. Ich stehe auf und sehe, daß mein Auto noch vor der Türe steht und daß mein Haus noch ein Dach hat. Dann ist ja alles in Ordnung. Ich kämpfe mich zu meinem Auto und “fliege” lächelnd zur Arbeit.

* Marie Louise Lagger lebt seit dem Jahr 2006 im County Mayo in der Nähe von Westport, Irland. Die Schweizerin kennt Irland seit ihrem ersten Besuch im Jahr 1980. Seitdem ging ihr die Grüne Insel nicht mehr aus dem Kopf. Heute trotzt sie der massiven Rezession in der Wahlheimat mit  Optimismus.

Foto