Hugo Hamilton

 

Mit Wortgewalt gegen die Sprachlosigkeit

 

Palmen in Dublin von Hugo Hamilton,
übersetzt von Henning Ahrens

Eine Rezension von Ellen Dunne

 

 

 

„Ich bin in einem sprachlichen
Albtraum aufgewachsen,
mit Deutsch, Irisch und Englisch,
und wusste nie genau,
zu welchem Land ich gehöre.“ (S. 12)

 

 

 

 

Es ist ein persönliches Trauma, das Hugo Hamilton immer wieder in seinen autobiografisch gefärbten Werken behandelt. Die Mutter Deutsche, der Vater irischer Nationalist, der Englisch als Sprache der Besatzer in seinem Haus strikt ablehnt und ausschließlich Gälisch mit seinen Kindern spricht.

Geboren 1953 als Johannes Ó hUrmoltaigh, wuchs Hugo Hamilton zwischen allen kulturellen Stühlen auf. Die innere Heimatlosigkeit und Sehnsucht danach, irgendwo so richtig dazu zu gehören, hat er bereits mehrfach fiktional verarbeitet, auch in seinem 2003 erschienen Welterfolg Gescheckte Menschen (The Speckled People).

Obwohl ich damals noch keine Ahnung hatte, dass ich nur ein Jahr später selbst ein Leben als deutschsprachige Emigrantin auf der Insel führen würde, war ich begeistert von dem autobiografischen Roman. Palmen in Dublin erzählt nun die Fortsetzung dieses Versuchs, Wurzeln zu schlagen.

 

Ellen Dunne, Foto ©Orla Connolly

Die Vorkosterin: Ellen Dunne stellt auf Irlandnews lesenswerte Bücher aus und über Irland vor. Im Salzburger Land geboren und aufgewachsen, weckten zunächst die Berichte über den Nordirland-Konflikt in den 90ern ihr Interesse an der Insel. Seit 2004 lebt sie in und um Dublin, wo sie zunächst mehrere Jahre im Google Europa-Hauptquartier arbeitete. Inzwischen ist sie freie Texterin und Autorin. Ihre bisherigen Romane und Kurzgeschichten werden bei Haymon, Suhrkamp/Insel und Eire verlegt. Auf IrlandNews schreibt sie über Literatur aus und über Irland. Mehr über Ellen gibt es unter www.ellen-dunne.com Foto: ©Orla Connolly

Ein Mann sucht seine Stimme – und flüchtet vor seinen Gläubigern

Nach ein paar Jahren in Berlin kehrt der namenlose Protagonist mit seiner ebenfalls irischen Frau Helen und den beiden Kindern zurück ins Dublin der späten 80er. Dort managt er gälische Trad-Musiker’innen, gibt seinen Job jedoch auf, um ein Buch zu schreiben und seine Frau bei deren Geschäftsidee zu unterstützen – ein Fitness-Café. Doch die Suche nach einer eigenen Stimme im Sprachchaos der eigenen Herkunft gestaltet sich schwierig.

Dem angehenden Schriftsteller fehlen die Worte, dem unternehmerischen Enthusiasmus folgen alsbald wirtschaftliche Turbulenzen. Bald geben sich Schuldeneintreiber die Klinke in die Hand, und erneut tun sich Fragen zur weiteren Zukunft auf. Zwischen diese Handlungsklammer schieben sich immer wieder Erinnerungen an die Kindheit, Rückblenden auf die traumatische Vorgeschichte von Hamiltons Mutter in Nazi-Deutschland – und viel Dubliner Storytelling. Passagen, in denen sich wir Wahl-Ir’innen ebenso wiederfinden wie Fans der Insel und ihres Lebensgefühls.

 

»In Dublin kehrt jeder von irgendwo zurück. Die Pubs sind voller Heimkehr. Man redet über Begegnungen, Drogentrips, Busfahrten auf toten Straßen. Man lacht über die Sterblichkeit. Man lacht über das Leben. Man lacht über das Befremden, die Erfahrung des Unterschieds, das unfassbare Missverstehen der Welt. « (S. 18)

 

Palmen als Sinnbild für die Entwurzelung

Auch die titelgebenden Palmen im Garten der jungen Familie dürften allen Irland-Reisenden bekannt sein. Buschig und mit schwertartigen, trocken raschelnden Blättern ausgestattet, verbreiten sie trotz nordischen Klimas mediterrane Stimmung, sorgen aber auch für Irritation. Denn so wie der Protagonist passen diese aus Neuseeland stammenden Gewächse nicht so richtig ins Bild. Sie sind nicht, was sie zu sein scheinen. Keine Palmen, sondern sogenannte Kohlbäume. Und ein Sinnbild für den zähen inneren Kampf, der in der Brust – und im Kiefer – des Autors tobt.

Seine Wurzellosigkeit scheint ihm sogar physische Schmerzen zu bereiten. In endlosen Spaziergängen rund um das nächtliche Dublin versucht er ihnen zu entkommen, reflektiert in schönen Sprachbildern seine Stadt, beobachtet ihre Menschen und hadert mit seiner Herkunft. Erst am Ende des Buches gibt es eine Erklärung für die mysteriösen Symptome. Und das Heil liegt einmal mehr in der Flucht, einer weiteren Emigration. Dort endlich findet der Autor die lang gesuchten Worte für seine Geschichte. Die Geschichte der Gescheckten Menschen.

 

»Das irische Wort für Emigration ist auch das Wort für Tränen. Ein Emigrant ist jemand, der in Tränen aufgelöst durch die Welt zieht. Unter Tränen geht. Ein tränenreicher Reisender.« (S. 24)

 

Meine Meinung

Palmen in Dublin ist ein Roman wie ein Besuch in einem guten Pub. Man verbringt ein paar Stunden in der Gesellschaft netter Leute. Sie erzählen Schnurren von absurd bis melancholisch, manchmal ohne viel Zusammenhang. Auf dem Nachhauseweg fragt man sich, worum es eigentlich ging die ganze Zeit. Kommt zum Schluss: nicht so wichtig, man will bald zurückkommen. Noch mehr Geschichten hören.

Auch wenn nicht alle von Hamiltons Exkursen gleich interessant sind. Wer sich für das Dublin einer zunehmend vergangenen Zeit interessiert und die verhandelten Themen in Gescheckte Menschen mochte, wird auch an Palmen in Dublin Freude haben.

 

Palmen in Dublin
Hugo Hamilton, übersetzt von Henning Ahrens
Erschienen im Juli 2020 im Verlag Luchterhand,
288 Seiten, 22 Euro, Im lokalen Buchhandel oder bei Buch7

 

Fotos:  Ellen Dunne (Titelfoto), Verlag Luchterhand, Ellen Dunne (© Orla Connolly)