19. Mai 2020, Dienstag.

Irland in den Zeiten von Corona. Wir leben auf dem Land in Irlands äußerstem Südwesten, in einer Streusiedlung am westlichen Rand Europas, direkt am Atlantik. Auch in dieser einsamen, abgelegenen Gegend wird das Leben jetzt völlig vom neuartigen Coronavirus beherrscht. Wir, Eliane [e] und Markus [m], schreiben ein gemeinsames öffentliches Tagebuch über unser Leben in Irland in Zeiten von Corona. Heute schreibt Markus . . .
Dabei gilt auch in den kommenden drei Wochen für den Großteil der Bevölkerung: Stay home, bleib daheim und verzichte auf alle unnötigen Fahrten. Bewegen darf man sich weiterhin nur in einem Umkreis von fünf Kilometern um die eigene Wohnung – es sei denn, es gibt in diesem Bereich keine Shops zum Einkauf lebenswichtiger Waren. In der Fünf-Kilometer-Zone dürfen jetzt auch bis zu vier Menschen im Freien zusammen kommen, die nicht im selben Haushalt leben. Sie müssen allerdings jeweils wie gehabt zwei Meter Sicherheitsabstand wahren. Die Regierung rät zum Tragen von Schutzmasken in der Öffentlichkeit, schreibt diese aber nicht vor.
Erst am 8. Juni wird der notwendige (!) Freigang auf stolze 20 Kilometer erweitert, und ab dem 20. Juli darf auch wieder innerhalb Irlands außerhalb der eigenen Region gereist werden. Die Kindergärten machen am 20. Juli wieder auf, Schulen und Universitäten erst im September zum neuen Schuljahr. Viele Menschen, die noch einen Job haben, werden über das Jahresende hinaus im Heimbüro arbeiten. Die mächtigen amerikanischen Digital-Konzerne wittern jetzt ihre Chance, die Mehrheit der Menschen dauerhaft an den digitalen Tropf im Home Office zu hängen.
Die irische Regierung agiert aufgrund des fragilen Gesundheitssystems und der wenigen Intensivbetten äußerst vorsichtig. Die neo-liberale Privatisierungs- und Sparpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat eine leicht verwundbare Gesellschaft geschaffen, in der sich die Wohlhabenden den schnellen Zugang zu privaten Gesundheitsleistungen erkaufen und die wenig Betuchten auf langen Wartelisten landen.
Immerhin: Die geschäftsführende Regierung will die eigenen Bürger vor dem Leid und dem Chaos, das auf der großen Nachbarinsel Großbritannien herrscht, unbedingt bewahren. Die Restriktionen hier in Irland sind wesentlich schärfer als die in Deutschland, und der Öffnungsprozess wird wesentlich länger dauern als in den meisten europäischen Ländern. Die Irinnen und Iren haben beispielsweise kaum Aussichten, noch in diesem Jahr Urlaub im Ausland zu machen.
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Irland ist anders. Trotz der wesentlich drastischeren Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte bleibt die Stimmung gelassen. Die große Mehrheit trägt die Entscheidungen der Regierung und das Schneckentempo des Neustarts mit. Andersdenkende äußern Kritik allenfalls in privaten Gesprächen, Demonstrationen gegen Corona-Politik, Bill Gates oder eine vermeintliche Diktatur gibt es nicht. Man arrangiert sich anders, sucht die Frei- und die Spielräume eher im Stillen . . .
Manche Iren blicken bewundernd und gleichzeitig ein wenig verständnislos auf Deutschland. Nachbar John kann die Demonstrationen nicht verstehen, preist aber die Höhe des Kurzarbeitergelds und die ansehnliche finanzielle Unterstützung der meisten Menschen in Germany. Von mächtigen Bazooka-Programmen der Scholz-Merkelschen Art kann man hier nur träumen.
Mir geht es wie John: Die vielstimmigen Demonstrationen von Freiheits-„Kämpfern“, Wutbürgern, Regierungskritikern, Merkel-Hassern, Impfgegnern, von Anti-Semiten, Gates-Gegnern, von Rechts-Extremen, Geängstigten und Besorgten, von Menschen, die um ihre Existenz fürchten, oder sie schon verloren haben – das große Gezeter wirkt aus der Ferne wie Szenen aus einer über-reifen, dekadenten Gesellschaft im Spätstadium, in der ein Grund-Konsens und gemeinsame Haltungen nicht mehr möglich scheinen. Die eigene Freiheit geht über alles, überstrahlt alles und kommt leicht ohne die Verantwortung für die Anderen und die Gemeinschaft aus. Dagegensein schlägt konstruktives Miteinander, der Alleingang die Solidarität, Meinen geht vor Zuhören. Und jeder weiß jetzt bescheid – und lässt das die anderen auch wissen.
Die Hoffnung bleibt, dass die schweigende Mehrheit in Deutschland anders denkt und handelt als die, die sich lautstark auf öffentlichen Plätzen und in den sozialen Medien äußern. Aus der Distanz von 2000 Kilometern sieht es jedenfalls so aus, als müsste diese schweigende Mehrheit, das, was man so schön als die gesellschaftliche Mitte bezeichnet, sich nun klar und deutlich zeigen. Sie darf weder den Rechten und den Populisten, noch den Verschwörungs-Eingeweihten und den Phantasten, noch der im Ausnahmezustand agierenden Regierung das Feld schweigend und kampflos überlassen.
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Zurück in den Bergen. Die Ausweitung des Zwei-Kilometer-ums-Haus-Käfigs zum komfortablen Fünf-Kilometer-Frei-Gehege hat mir ganz offiziell schon sehr geholfen. Ich kann jetzt wieder völlig regel-konform die Berge erreichen und hoch über den Atlantik aufsteigen. In den vergangenen Tagen habe ich unseren Hausberg Cobh Dubh (den schwarzen Schlund) und seinen über hundert Meter höheren Nachbarn, den Namenlosen, besser denn je kennen gelernt. Der in den Landkarten Namenlose, den Einheimische Derroograne nennen, bietet grandiose Aussichten auf die Caha und die Shehy Mountains, auf die Bantry Bay und den Glengarriff Harbour, auf vergessene Täler und verlassene Häuser. Ich war unterwegs auf Zeitreisen. Doch davon – abgesehen von den Fotos für diesen Beitrag – ein andermal . . .
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Und noch etwas Positives: Weil Ferien-Reisen hierher nach Irland in der nahen Zukunft nicht möglich sein werden, öffnen wir hier auf Irlandnews noch in dieser Woche einen Sehnsuchts-Raum: Mein liebstes Irland-Foto. Wer macht mit?
Fotos: Markus Bäuchle; Vignette: Eliane Zimmermann
Liebe Manuela, lieber Markus,
so ganz unwidersprochen kann ich eure Auffassungen nicht lassen, es ist viel zu einfach und viel zu pauschal, allen denen meinungsmässig entgegenzutreten, welche die staatlichen Maßnahmen zumindest hinterfragen. Und das sind mitnichten nur Verschwörungsfanatiker, gespaltene Persönlichkeiten und Anhänger diffuser politischer Anschauungen.
Sowohl in der Republik Irland als auch in der Bunfesrepublik Deutschland wurden in den letzte Wochen massivst in Grundrechte eingeschnitten und zumindest in Deutschland ist das in weiten Teilen außerhalb der Rechtsnormen durchgesetzt worden. Beispiel: die Bewohner einer ganzen Kleinstadt wurden unter „Hausarrest“ gestellt, eine freiheitsentziehende Maßnahme, die hier IMMER unter den Richtervorbehalt fällt.
Derjenige, der sich über solche Maßnahmen Sorgen macht und diese auch äußert, darf nicht in diese Wutbürgerecke gestellt werden. Wir haben jetzt alle am eigenen Leib erfahren, wie leicht man sicher geglaubte Grundrechte verlieren kann, es kommt immer auf die Sachlage und die immer wieder beschriebene Alternativlosigkeit an, um den Menschen das schmackhaft zu machen.
Und diese Meinungen gibt es auch in Irland und die Iren neigen nun nicht gerade zum Wutbürgertum…
Und gerade wir Deutschen brauchen solche Quer- und Andersdenker dringend…. bei unserer Vergangenheit…
Und diese gesamten seltsamen Demonstrationen nehmen medial einen Raum ein, der ihnen eigentlich nicht zusteht, wem also mag wohl diese Überrepräsentierung nutzen?
Liebe Grüße demnächst wieder aus Leitrim.
Und ganz sicher
Liebe Wanderfreunde in Irland, lieber Markus,
es schmerzt schon, die schönen Bilder aus West-Cork zu sehen und zu wissen, dass eine Reise in diesem Jahr wohl eher nicht möglich ist. Glengarriff war/ist immer einer meiner Lieblingsziele. Ja, wir halten eine Menge aus, aber aus meiner Sicht auch notwendigerweise. Und es geht ja nicht nur uns so. Wie du schreibst, haben die Iren kaum eine Aussicht, ihren Urlaub außerhalb Irlands zu verbringen. Wie „gerne“ würde ich jetzt bei euch „festsitzen“. Meine bisherigen etlichen Irlandreisen haben auf mich fast wie eine zweite Heimat gewirkt. Und ich bewundere die von dir beschriebene Gelassenheit der Iren angesichts der fortbestehenden Einschränkungen. Wie ungeduldig sind dagegen viele Menschen in Deutschland anstatt sich auf das zu besinnen, was ihnen hier dennoch offen steht und einmal Heimat ganz hautnah zu erleben, als die sehnsüchtige Vorstellung zu hegen, wann es denn nun endlich wieder nach Mallorca oder auf die Seychellen geht. Die Menschen sind verschieden und mir dagegen würde ein Ausflug zum Hungry Hill oder nach Gougane Barra in dieser Situation durchaus genügen. Ich wünsche euch, dass es schrittweise „nach oben“ geht, dass ihr West-Cork bald wieder ganz erwandern könnt und die bis dahin nötige Gelassenheit bewahren könnt.
Ganz herzliche Grüße aus Hamburg
Fritz Buchholz
Vielen Dank, lieber Fritz. Es sind günstige Zeiten, um die innere Freiheit zu entdecken oder zu pflegen . . . Alles Gute nach Hamburg!
Ich würde so gerne meine Tochter und meine Enkelkinder wiedersehen, die in Irland leben.
Sobald die Quarantäne aufgehoben wird, buche ich Flüge :-)
Dann wird das Wiedersehen umso schöner . . . , liebe Gaby.
Liebes schönes grünes Irland,wo ich wohne sieht das Land Österreich geographisch wie eine Schnecke aus ,im Schneckenhaus verborgen langsam voran tasten,wir sind auch ein kleines Land,wie viele andere kleine Länder die man gern übersieht,darum muss man mehr kämpfen den,den großen wird alles freiwillig zugetragen,wir haben momentan wenig Fallzahlen,sukzessive werden Lockerungen im Allgemeinen anstrebt,beobachtet und viele die natürlich ihre Existenz verloren haben vor dem Nichts stehen werden mit Recht wütig,Dieser Zwiespalt entweder verhungern untergehen oder an Corona sterben belastet die Psyche den Menschen sehr.Es trifft immer die finanziell Schwächeren am meisten.
Aus dieser Not und Angst heraus kann kein konstruktives Miteinander funktionieren .Der eine ist zu gierig um zu helfen,verlangt aber vom Benachteiligten,konstruktiv,mit Vernunft und Einsicht alles hinzunehmen und auch wenn der Mensch stirbt.
Darum kann ich die Demos nachvollziehen ob sie was nützen,weiß ich nicht.
Es ist ein grausames Spiel.
Abgesehen davon werden die Menschen mit unterschiedlicher Information verunsichert.
Auch sehr unterschiedlicher Behandlungen.
Ich wünsche Irland dass die Infektion en
Konstant bleiben um das fragile Gesundheitssystem nicht zu überfordern und menschlich bleibt.
Leider habe ich kein Foto von Irland war noch nie in Irland obwohl ich irische Wurzeln habe,aber ich werde nach Corona nach Irland gehen wenn der Impfstoff Globalweit zu haben ist,ich denke man muss sich dann kontinuierlich impfen,um an Corana nicht zu sterben, damit der Krankheitsverlauf sehr milde verläuft.
Liebes Irland,bei mir in Österreich ist morgen ein Feiertag, Christihimmelfahrt.
Ich wünsche Irland sonnige Tage,bleibt Gesund, bis bald, Andrea Jilek aus Vorarlberg, Österreich.
Das wäre jetzt die Aussicht meiner täglichen Wanderung, wenn wir unseren geplanten Urlaub in Irland hätten antreten können. Wir hoffen inständig, dass wir im September 2020 kommen dürfen. Auch häusliche Quarantäne würden wir akzeptieren.
Dieter, das ist natürlich eine Prime-Aussicht. Sie wird sicher auf Dich warten . . .
Danke für die schönen Bilder zum Hineinträumen, Markus! Viele Irlandreisen haben mein Gehirn mit den passenden Sinneseindrücken angefüllt, die ich nun bei den Fotos abrufen kann. Ich habe immer gedacht, ich brauche sie erst, wenn ich mal körperlich reiseunfähig werde… Wieder was gelernt.
Und auch im Umfeld gibt es zu lernen: Eine schon immer staatskritische Freundin vom weit linken Spektrum entwickelt sich nun auch zu einer zeternden Verfolgten. Wir bleiben im Kontakt, aber es ist spürbar, dass wir unausgesprochen die jeweils andere für verrückt halten. Jede ist ja von ihrer eigenen Ansicht überzeugt, Annäherung nicht möglich. Manche Menschen finden es bereits provokant, wenn ich ehrlich sage, dass ich gerade keine Ahnung habe, was richtig und was falsch ist, alles hat seine Vor- und Nachteile. Vielleicht wissen wir in ein oder zwei Jahren im Rückblick mehr. Wir müssen lernen, die andauernde Unsicherheit auszuhalten und das Viele zu bewahren, was funktioniert.
Ja, Nicola, und wir müssen lernen, einander wieder zuzuhören, tolerant zu sein, mehr das Gemeinsame als das Trennende zu suchen . . .
Ich wäre jetzt lieber in Irland mit all seinen strengen Einschränkungen. Was hier in Deutschland gerade passiert, macht mir Angst. Mein Bundesland Sachsen-Anhalt prescht besonders schnell davon. Anstatt abzuwarten, was die ersten Lockerungen bringen, wird nun alles geöffnet, als gäbe es kein Corona mehr. Und hat man gedacht, es würde ein Umdenken statt finden…nein, es geht wie immer ums Geld! Wir spielen wieder Fußball, über die Autoindustrie wird ein Rettungsschirm gelegt. Die Kreuzfahrtsschiffe sollen wieder in See stechen, ohne Landgang zwar und mit weniger Menschen an Bord.. na hauptsache, sie verpesten wieder die Umwelt. Gerade wurden 250.000 Menschen aus aller Welt nach Hause geholt, und…es warten noch immer Menschen darauf, nach Deutschland zurück geholt zu werden, werden die Rufe nach Urlaub am Mittelmeer und sonstewo lauter und lauter. Deutschland = verwöhnt und dekadent und unbelehrbar! Das dicke Ende wird hier noch kommen, denke ich. Und wenn, dann hoffe ich, dass dieses dicke Ende den Verschwörungstheoretikern, Ignoranten, Impfgegnern und geistigen Volldioten das Maul stopft!
Liebe Grüße nach Ireland, meiner Seelenheimat!
Bleibt gesund!
Manu
Danke Manu, pass auf Dich auf!
Lieben Dank :)