Aran Pullover Irland © Eliane ZimmermannDas irische Wort für Wolle lautet Polyester. Das zumindest könnte man glauben angesichts der Pullover und Decken in den bunt sortierten Touristen-Shops auf der Insel. Ein großer Teil der “irischen” Jacken, Pullis, Schals und Tagesdecken werden längst aus Kunst- und Mikrofaser produziert. Gelegentlich entdeckt man ‘Made in China’ auf dem Etikett, wenn es nicht vorher verschämt vom textilen Stück entfernt wurde. Oder es heißt “Produce of Ireland” – eine trügerische Umschreibung des wahren Produktionsorts.
In einem Land, dessen Landschaft und dessen Image  von Schafen auf grünen Weiden geprägt werden, fand ich das vor Jahren noch überraschend. Ich kann mich nicht erinnern, einen jungen Einheimischen oder einen ganz normalen Iren  jemals in einem wolligen Kleidungsstück gesehen zu haben. Wer ein kleines bisschen auf sein Outfit hält, trägt pflegeleichte Kleidung und schläft in bügelfreier Bettwäsche. Diese beiden Adjektive sind Synonyme für synthetische Fasern und für Arbeitserleichterung in der Waschküche.
Denn Wollkleidung bedeutet auf den ersten Blick mehr Arbeit, sie ist anfällig für Mottenfraß, sie kann nicht einfach in die Waschmaschine gestopft werden und darf weder geschleudert noch im Trockner getrocknet werden. Dieser ist ein wichtiges Haushaltsgerät, denn in einer Wohn-Umgebung mit oft 80 Prozent und mehr Luftfeuchtigkeit, dauert es gerne drei Tage, um Baumwoll- oder Viskosekleidung auf dem Wäscheständer trocken zu bekommen. Polyesterkleidung und Bettwäsche mit Synthetikfaser bekommen somit auch kaum den typischen Langsam-Trocknen-Modergeruch (“Löwen-Käfig”).
Doch wer trägt heute noch Wolle? Ich sehe sie bisweilen an einfach lebenden Menschen, manche Farmer und gelegentlich auch Schiffsleute tragen ‘altmodische’ Strickjacken und Aranpullover. Meistens jedoch sieht man sie an eher ‘alternativ’ lebenden ‘Blow-ins’ (den Zugereisten) und an Touristen. Die mit kunstvollen Zöpfen- und Rautenmustern, aus dicker und fettiger Wolle gestrickten Pullis beschwören weltweit gerne die Vorstellung von ‘typisch irisch’ herauf. In edler Form kommen sie aus der von Tarlach de Blácam  1976 gegründeten Kooperative auf der kleinen Aran-Insel Inish Meáin, welche diese irische Traditionshandarbeit sowie designorienterte Wollmode unter einem eigenen Label in alle Welt exportiert.
Da naturbelassene und eher kratzige Wolle erstaunlich wasser- und sogar windabweisend ist, war sie in früheren Zeiten die ideale Kleidung im rauen Klima dieser und der zwei westlich von Galway gelegenen Nachbarinseln, wo Fischfang und Lanfwirtschaft die Lebensgrundlagen sicherten.Wolle reinigt sich bis zu einem gewissen Grad selbst, nimmt kaum Schweißgeruch an und verfilzt mit der Zeit zu einer hervorragenden Outdoor-Textilie. Allerdings ist der typische helle Aran-Pullover mit den jeder Familie eigenen Mustern erst Anfang des 20. Jahrhundert entstanden. Es geht die Mär, dass die heimischen Fischer, die bis heute üblicherweise nicht Schwimmen lernen möchten, im schlimmsten Fall am individuellen Zopf- und Knotenmuster-Design identifiziert werden sollten und konnten. Im Büchlein “The Aran Sweater” von Deirdre McQuillan wird das jedoch verneint.
Deirdre McQuillan erwähnt auch, dass ein deutscher Textiljournalist, Heinz Edgar Kiewe, 1967 in seinem Buch “The Sacred History of Knitting”  in zahlreichen kunstvollen Aran-Mustern biblische Gottesbotschaften entziffert haben will. Da in irischen Haushalten viel weniger geheizt wird als auf dem Kontinent, sind irische Wollpullover mit oder ohne tolle Muster ein wunderbares Kleidungsstück, um den Körper bei 15 oder 16 Grad Celsius warm zu halten. Sie könnten als wertvoller Exportartikel dazu beitragen, in Zeiten explodierender Heizungskosten den Thermostat wieder auf gesundheitsfördernde Temperaturen zurückzudrehen und gleichzeitig den Geldbeutel und die Umwelt zu schonen. Aber wer will davon schon etwas wissen, wenn man sich bei 25 Grad Raumtemperatur im T-Shirt wohl fühlt.
Foto Woll-Collage © Eliane Zimmermann