Die Veränderung wagen. Schwupp. Der erste Monat des neuen Jahres ist schon fast vorbei. Wie geht es Ihren guten Vorsätzen? Sind sie schon Vergangenheit, gar schon vergessen? Joggen Sie noch? Machen Sie einen Bogen um Süßspeisen, oder kommen sie noch immer ohne den leckeren Rotwein oder die Zigarette dazu aus? Wir jedenfalls bleiben am Ball, hier auf Irlandnews geht Mein Jahr des Aufhörens in die zweite Runde.

In dieser Woche war ich mit zwei jungen Männern unterwegs auf einer langen Wanderung. Wir sprachen über unsere Bereitschaft und die Möglichkeiten, unser Leben aus eigener Kraft zu verändern. Ich habe gelernt, dass es in der jüngeren Generation bereits eine ausgeprägte Kultur des Aufhörens gibt. Den Anlass eines Jahreswechsels braucht man nicht, die Existenz problematischer Verhaltensweisen reicht völlig, um Not-To-Do-Listen, oder kürzer To-Stop-Listen aufzustellen und in die Tat umzusetzen. Frank war nach der Trennung von seiner Freundin in eine kleine Lebenskrise geschliddert, die ihm auf schmerzhafte Weise die Augen öffnete. Zur Beendigung seiner Leidenszeit beschloss er, mit einigen Verhaltensweisen aufzuhören und nahm sich vor, nicht mehr wie manisch an seine Verflossene zu denken, keine Pornos mehr zu schauen und statt dessen einige Projekte voran zu treiben: Zum Beispiel seine Ernährung von Fast auf Gesund umzustellen und sich wieder regelmäßig zu kochen.

Wir Menschen sind die einzigen Lebewesen auf dieser Erde, die das Privileg haben, sich ändern zu können. Der Mensch sei das Tier, das übt, hat der Philosoph Peter Sloterdijk einmal gesagt und damit auch gemeint, dass  die guten Vorsätze dann gelingen, wenn wir die Veränderung gut einüben, wiederholen und langsam in unseren neuen Alltag integrieren. Frank gibt den entscheidenden Hinweis, wie die Veränderung am besten gelingt: Man lässt am besten von den alten ungeliebten Gewohnheiten, indem man seine Energie auf ein neues positives Projekt konzentriert. Ich setze dem alten Verhalten ein neues, in die Zukunft gerichtetes Verhalten entgegen. Dem Aufhören voraus geht deshalb etwas Denkarbeit: Was will ich mit meinem Leben anfangen? Was ist mir wichtig? Was will ich künftig verwirklichen?

 

Aufhören im Februar: Den Konsum von Nachrichten einstellen

 

Mein Aufhör-Expriment im Monat Februar fällt mir als Journalist und Intensiv-Leser von News/Nachrichten nicht leicht:

Ich möchte ein, zwei oder vielleicht sogar drei Wochen komplett auf den Konsum von Nachrichten verzichten. Warum das?

Keiner hat dies besser durchdacht und formuliert als der findige Schweizer Unternehmer und Autor Rolf Dobelli. Er führt seit zehn Jahren eine Kampagne gegen das Lesen von News und nennt diese Gründe:

  • News sind für den Geist, was Zucker für den Körper ist.
  • News sind Gift für den Körper: Nachrichten setzen uns unter Stress.
  • News sind irrelevant: Wir sind nicht in der Lage, relevante Informationen zu beurteilen und von irrelevanten zu unterscheiden.
  • News klauen uns Zeit: Während wir dieser irrelevanten Tätigkeit nachgehen, könnten wit Nützlicheres tun. Zum Beispiel: Gute Bücher lesen.
  • News gehören nicht in unseren Kompetenzkreis: Man beschränkt sich besser auf das eigene Fachgebiet und wird darin zum Meister.
  • News bewerten Risiken falsch: Durch News entstehen falsche Einschätzungen von tatsächlichen Risiken.
  • News schränken das Verständnis ein: Nachrichten helfen nicht, die Welt besser zu verstehen – im Gegenteil.
  • News bestätigen unsere Irrtümer: Durch Nachrichten, die zufällig der eigenen Meinung entsprechen, fühlt man sich in seinen Irrtümern bestärkt.
  • News verändern das Gehirn: Nachrichtenkosum fördert das rasche Überfliegen von Infos und versperrt die Wege zu tiefem Verstehen und Verständnis.
  • News manipulieren: Aus der heutigen Flut an Fake News wird es immer schwerer, die Wahrheit herauszufiltern.
  • News machen passiv: Man kann nicht beeinflussen, was auf der Welt geschieht – darüber Bescheid zu wissen, bringt uns deshalb nicht voran.

Dobellis Fazit: Wer keine News konsumiert, lebt gesünder, ist glücklicher und versteht mehr von Wahrheit, Wirklichkeit und damit vom Leben selbst.

Hat Dobelli Recht? Wer in Corona-Zeiten die Nachrichten intensiv verfolgt hat, mag interessante eigene Erfahrungen gemacht haben, was eine News-Überflutung mit und in einem anrichten kann. Ich will deshalb in den kommenden Wochen einmal überprüfen, was passiert, wenn ich auf Nachrichten völlig verzichte – und sehen, ob Dobelli Recht hat.

Es wird leicht sein, auf die Nachrichten im Fernsehen und im Radio zu verzichten, weil ich diese Medien ohnehin selten konsumiere (nur Fußball . . . ). Aber: Mit der Aufnahme von News aus dem Internet verbringe ich täglich mindestens eine Stunde. Es gilt also, an Computer und Smartphone wachsam zu sein, keine Nachrichtenseiten aufzurufen und alle Newsletter ungelesen zu löschen, beziehungsweise sie mit einer Automations-Regel in den Papierkorb umzuleiten. Ich bin gespannt!

Was tue ich statt dessen? Ich werde nach langer Zeit wieder einmal einen Roman lesen.

 

Mein Jahr des Aufhörens:  Die einzelnen Experimente beginnen am  Monatsanfang und werden immer bis zu einem Monat dauern, müssen sie aber nicht. Ich werde jeweils schauen, wie weit mich das Experiment trägt. Wer will, kann mit machen: Ein Monat ohne Plastik, ein Monat ohne Kaufen, ein Monat ohne Auto, ein Monat ohne . . . das könnten Eure eigenen Experimente sein.

Welche Ideen habt Ihr? Macht mit und schreibt hier über Eure Erfahrungen. Jeder Neuanfang ist immer auch ein Aufhören: Wer nun zum Beispiel jede Woche drei mal fünf Kilometer läuft, hat seine Karriere auf der Couch beendet. Ihr könnt in den Kommentaren weiter unten schreiben oder mir eine Mail an markus@irlandnews schicken. Ich freue mich drauf und antworte gerne.

 

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Beara Höhlen

 

Meine Inspirationen

Der fällige Paradigmenwechsel in unserem Verhalten (zum Beispiel vom Ja- in den Nein-Modus zu schalten) beschäftigt mich seit Jahren. Nun hat der geschätzte Soziologe Harald Welzer ein inspirierendes Buch zum Thema geschrieben. Er plädiert für eine neue Kulturtechnik des Aufhörens als einem Weg in eine neue Zeit. (Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst. 2021, erhältlich hier beim sozialen Online-Buchändler Buch7).

Christian Leppert, ein stets inspirierender Gesprächspartner im Schwarzwald, hat mich vor Jahren darauf gebracht, die Veränderungen mehr spielerisch anzugehen. Vor einigen Jahren machte Christian ein Immobilitäts-Experiment. 15 Monate lang verließ er seinen Wohn- und Arbeitsort nicht (mit Ausnahme eines täglichen Spaziergangs auf den Hausberg Belchen), um zu erfahren, was das mit ihm anstellt und was es für die Gesellschaft bedeuten könnte.. Christian begreift seine Veränderungsprozesse immer als Experimente und nimmt ihnen damit den Geruch des Dringlichen und des Dogmatischen.

In Irlands Bergen habe ich von 2012 bis 2019 mit zahlreichen Menschen und Gruppen die Veränderung geübt. Wir lebten wochenweise in einem abgelegenen alten Cottage mitten in der Natur, ohne Strom, ohne Uhr und ohne Internet. Wir versuchten heraus zu finden, was wir für ein erfülltes und zufriedenes Leben benötigen, und wir haben dabei vielerlei Veränderungen versucht: Wir haben geübt, tief zuzuhören und zu schweigen statt zu meinen und zu urteilen. Wir haben geübt, Gespräche mit Inhalt zu führen und wir haben heraus gefunden, was wir alles nicht benötigen, um happy zu sein.  Über diese wertvollen Erfahrungen werde ich gelegentlich hier berichten.

Fotos: Wandern befreit den Kopf und das Herz, Gehen inspiriert: Die Experimente des Beendens denke ich mir auf Küsten- und Berggängen an Irlands Atlantik aus, so wie dieser Tage auf der Beara Peninsula. Fotos: Markus Bäuchle © 2022