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John O'Donohue

John O’Donohue in seiner irischen Heimat in Connemara.                                            Foto: H.R. Hebeisen

 

“In 2000, John retired from public priestly ministry, living in a remote cottage in Connemara.”
Offizielle Biografie auf www.johnodonohue.com

 

 

Es ist Samstagmorgen, der 11. Juli 1992. Ein stiller Morgen auf Inis Meáin. Wir haben allzu gut gefrühstückt, Full Irish. Das Radio plärrt aus der Ecke. RTÉ berichtet von der Ankunft von Annie Murphy in Irland – und unsere liebenswerte Gastgeberin im B&B auf der kleinen Aran-Insel verliert die Contenance. Die Frau ist in ihrem Glauben zutiefst erschüttert. Sie weiß, so klagt sie, nicht mehr, was richtig und was falsch ist. Die innere Welt von Maureen wurde einige Wochen zuvor, in jenen Tagen Anfang Mai aus den Angeln gehoben, als sich die Amerikanerin Annie Murphy in der Irish Times als Geliebte des verehrten Bischofs von Galway, Eamonn Casey, geoutet hatte und der irischen Öffentlichkeit Bishop Caseys 18-jährigen Sohn Peter präsentierte.

Irish Times

Die Irish Times am 11. Juli 1992

Casey, der populäre Bischof von Galway, war bereits am 5. Mai zurück getreten, nun reiste seine amerikanische Geliebte aus den 70er-Jahren nach Irland, um hier zusammen mit dem Co-Autoren Peter de Rosa ein Buch über ihre Liebesaffäre mit dem Bischof zu schreiben (Es sollte “Verbotene Früchte” heißen). Der Fall schockierte und spaltete das erz-katholische Irland tief. Der beliebte Bischof hatte Wasser gepredigt und selber reichlich Wein getrunken. Der Vatikan ließ den Zölibatsbrecher Casey schon Anfang Mai eilig im Ausland untertauchen, und wahrlich nicht alle Gläubigen daheim hielten zu der Frau, die den Bischof mit öffentlichem Druck dazu zwingen wollte, sich zu seinem Sohn zu bekennen und ihm mehr Unterstützung für dessen Ausbildung zu geben.

Irland erlebte in jenem Sommer 1992 seinen ersten großen Kleriker-Skandal – ein vergleichsweise milder, wie sich bald herausstellen sollte: Die Veröffentlichungen über den massenhaften, jahrezehntelangen, systemischen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester, Ordensbrüder und Ordensschwestern standen erst bevor; und die Katholische Kirche Irlands war intern längst in Aufruhr und baute hinter den Kulissen ihre Verteidigungslinien für die ans Licht der Öffentlichkeit drängenden Missbrauchs-Skandale auf. Die Fälle sexuellen Missbrauchs vor allem von Jungen und jungen Männern durch katholische Pfarrer gingen in die Tausende. Irland stand vor einem schmerzhaften und brutalen Gang durch das Tränental der zahlreichen Enthüllungen klerikalen sexuellen Mißbrauchs.

 

Inis Meáin

Auf Inis Meáin, Aran Islands, Galway Bay am 11. Juli 1992

 

Im nahen Galway leitete nun der zweitmächtigste Kleriker hinter Eamonn Casey, der Chef-Pfarrer der Kathedrale von Galway, James McLoughlin, die Diözese kommissarisch. McLoughlin würde nach achtmonatiger Vakanz im Februar 1993 offiziell vom Papst zum neuen Bischof ernannt werden. Zehn Kilometer nordwestlich von Galway beobachtete derweil ein junger Vikar in der Pfarrei der Gaeltacht-Gemeinde Moycullen die Entwicklungen in der Kirchenzentrale mit Skepsis: Der Kirche und ihren Pfarrern standen stürmische Zeiten bevor, und der Hilfspfarrer von Moycullen, John O’Donohue, damals 36 Jahre alt, hatte in jenem Frühjahr 1992 seinen großen Förderer verloren: Es war der progressive Bischof Eamonn Casey gewesen, der John von 1985 bis 1990 nach Deutschland geschickt hatte, um dort weiter zu studieren. Casey hatte darauf bestanden, dass O’Donohue seine Doktorarbeit in Tübingen über den Philosophen Hegel schreiben würde. John dankte Casey in der Dissertationschrift  “sehr herzlich” und bemerkte: ” Er hat mich immer unterstützt und gefördert”.

 


Teil 3 der Irlandnews Serie über John O’Donohue


 

Das war nun vorbei. Im neuen Bischof, James McLoughlin, würde John O’Donohue statt eines Förderers einen harten Widersacher finden. Der Konflikt mit dem Bischof und mit der katholischen Hierarchie würde O’Donohue von der Amtskirche weit entfernen. Dabei war er, wie Freunde sagten, “Priester mit Leib und Seele” und “Seelsorger aus Berufung”.

Ein Priester rang mit seiner Kirche – und war damit nicht allein. Heerscharen von Gläubigen fielen in den kommenden Jahren buchstäblich vom Glauben ab, die unheimliche Macht der katholischen Kirche Irlands bröckelte.

 

 


 

John O'Donohue

John O’Donohue im Jahr 1999. Foto: dtv; privat

Die Irlandnews-Serie

 

John O’Donohue (1956 – 2008), wuchs auf einer Farm in einem Kalksteintal im Burren, County Clare, auf. Als ältester von vier Geschwistern wurde er Priester, später Schriftsteller, Philosoph und Dichter, Umweltaktivist, Lebenslehrer, Redner, Mystiker und Humanist. Mit Anam Cara (erschienen und erhältlich in deutscher Sprache bei dtv), Eternal Echoes und Divine Beauty schrieb er Welt-Bestseller. Er  liebte die menschliche Existenz in all ihren Facetten. Sein großes Thema war, das Leben in ganzer Fülle ohne Angst zu leben. Als maximale Verfehlung des Menschseins galt ihm das ungelebte Leben. In Büchern und Vorträgen ermutigte John dazu, mutig das Leben zu leben, das man sich wünscht und das man lieben würde. Es sei wichtig, seine Träume nicht nur zu träumen sondern auch zu verwirklichen und so seine Bestimmung zu finden – frei von Angst und aus vollem Herzen.

O’Donohue sah uns Lebende an der Küste des großen Meeres des Unsichtbaren wandeln, die Vorstellungskraft schuf ihm die Brücken aus der sichtbaren in die unsichtbare Welt. Er verstand das tiefe Verlangen der Menschen nach Zugehörigkeit in einer zunehmend sinnentleerten materiellen Welt und war überzeugt, dass der Mensch die Angst vor dem Tod überwinden kann – weil er ein Fortschritt sei, und nicht ein Ende. Auf seinem Grabstein steht: “Their lives have change not ended.”

Ich denke oft an diesen Menschen, der mich viel gelehrt hat über das Leben, die Seele, Spiritualität, die Natur. Ich habe ihn nie kennen gelernt, ich las seine Bücher. Wie oft hörte ich seine Worte über die beseelte Landschaft, wenn ich durch das Moor ging, fühlte seine Weisheit, wenn ich durch die Berge zog, verstand seine tiefe Einheit mit der Natur, wenn ich am Meer stand und nach Westen schaute. Am 1. Januar 2021 wäre John O’Donohue 65 Jahre alt geworden. Wäre er nicht vor 13 Jahren völlig überraschend gestorben. Ich hätte ihn gerne gekannt. Im November 2018 habe ich mich auf Spurensuche begeben. Sie begann durch einen Zufall am Grab von John O’Donohue in Fanore im County Clare. Ich werde in den kommenden Monaten hier auf Irlandnews über Ergebnisse dieser Spurensuche berichten.

 


 

Die frühen Jahre

Rückblende: John O’Donohue wusste früh, welchen Weg er gehen wollte. Er wuchs in einer gläubigen katholischen Familie auf. Mit zwölf verließ er die ländliche Heimat im Burren-Tal Caherbeanna und besuchte die eineinhalb Stunden entfernte katholische Internatsschule St. Mary’s College, drüben über dem Wasser der Galway Bay, in der Stadt Galway. Im Irland der 70-er Jahre war es noch immer üblich, dass Eltern einen ihrer Söhne der Katholischen Kirche übergaben, damit er Pfarrer wurde. Viele Familien waren damals arm, Bildung war schwer zugänglich und teuer, die Familienfarm konnte nur einer der Söhne übernehmen. Der Priesterberuf versprach Bildung, eine gesicherte Existenz, und große gesellschaftliche Anerkennung.

 

The Burren

Caherbeanna, die steinreiche und doch fruchtbare Heimat von John O’Donohue im Burren

 

Mit 18 nach Maynooth. John O’Donohue traf die Entscheidung für seine Zukunft offensichtlich selber und aus Überzeugung: Mit 18 Jahren, im Jahr 1974, begann er das Studium in Englisch, Philosophie und Theologie an der Universität Maynooth. Er wollte Priester werden – und Philosoph. In Irlands größtem und bedeutendsten Priesterseminar schloss John Freundschaft mit dem Studienkollegen Martin Downey.

Ich besuchte Father Martin Downey, den Pfarrer von St. Joseph, im September 2020 im Pfarrhaus in Galway. Pfarrer Downey erinnerte sich gerne an die vielen Diskussionen und den weit offenen Blick in den Jahren in Maynooth: “John und ich waren leidenschaftliche Leser. Wir diskutierten die großen Ideen der Prozesstheologie, der Kosmologie, des Kreationismus und Karl Rahners Verkündigungstheologie. Für John waren schon während des Studium die Begriffe der Seele und der Imagination, der Vorstellungskraft zum Erkennen des Unsichtbaren sehr wichtig.” Father Downey war damals beeindruckt von den Büchern Erich Fromms (“Die Kunst des Liebens”, “Haben oder Sein”) und lernte über Fromm das Werk des deutschen Mystikers Meister Eckhart kennen. “John und ich haben schon damals über Meister Eckhart diskutiert”.

Meister Eckhart, der spirituelle Lehrmeister Eckhart von Hochheim (1260 – 1328), setzte sich vor über 700 Jahren mit seinen Lehren in krassen Konflikt zur Kirche. Er sah das Göttliche im Menschen selbst, sah Gott in der Seele des Menschen anwesend und hielt deshalb Selbsterkenntnis für Gotteserkenntnis. Die Gotteserfahrung bedurfte für Eckhart keiner Vermittlung, sie war unmittelbar. Seine Interpretation des Göttlichen brachte dem Dominikaner ein Kirchenrechtsverfahren wegen Häresie ein. Derlei Auffassungen würden in der institutionellen katholischen Kirche auch 700 Jahre später noch auf Widerspruch stoßen.

Lebenslange Freundschaft. In den Studienjahren in Maynooth entwickelte O’Donohue eine lebenslange Liebe zu Meister Eckharts Schriften und eine lebenslange Freundschaft zu Martin Downey. Bald zitierte er Meister Eckharts Aphorismen in seinen Predigten und Reden. Zu Johns Liebling-Worten gehörte Eckharts Postulat “Gott ist die Wildnis, in der jeder allein ist”. Bis zu seinem Tod arbeitete er an einem Buch über Meister Eckharts Theologie. John starb im Jahr 2008 unweit von Avignon in Südfrankreich, dem ehemaligen Sitz der Päpste. In Avignon war im Jahr 1328 auch der von der Kirche und dem späteren Papst Benedikt XII als Ketzer verfolgte Meister Eckhart gestorben.

Father Martin Downey erwies seinem guten Freund John einen letzten Dienst und zelebrierte am 12. Januar 2008 dessen Totenmesse  in der St. Patrick´s Kirche in Fanore, County Clare, sowie den Gedenkgottesdienst einen Monat später in der Kathedrale von Galway, in der 2000 Menschen gemeinsam um John O’Donohue trauerten.

 

Fanore Church

St. Patrick’s Church Fanore, County Clare

 

Der Werdegang des katholischen Priesters

Father Martin Whelan, der Sekretär des Bischofs von Galway, Brendan Kelly, schickte mir auf Anfrage die folgenden Daten zu John O’Donohues Werdegang als katholischer Priester. Aus der Aufstellung wird ersichtlich, dass O’Donohue nur bis zum Juli 1995 als Hilfspfarrer in einer Pfarrgemeinde arbeitete, danach keine Anstellung mehr annahm und nur noch einzelne Gottesdienst zelebrierte (wie etwa einen Weihnachts-Gottesdienst  im Jahr 1997 oder 1998 in seiner Heimatkirche St. Patrick’s in Fanore):

6. Juni 1981: Ordination zum katholischen Priester, Ballyvaughan Church, Co Clare.
9. Oktober 1981: Beginn des Post-Graduate-Studiums am St. Patrick’s College, Maynooth.
1982: Abschluss mit STL in Theologie (Anm. des Verfassers: STL ist ein Prädikat, das zu weiteren Studien berechtigt).
18. August 1982: Katholischer Vikar (Curate, Hilfspfarrer) in Rossaveal, Co Galway.
13. September 1985: Beginn des Postgraduierten-Studiums an der Universität Tübingen.
13. September 1990: Katholischer Vikar (Curate, Hilfspfarrer) in Carron-New Quay, Co. Clare.
Juni 1991: Abschluss des Doktorats-Studiums der Theologie an der Universität Tübingen mit Summa Cum Laude.
19. Juli 1991: Katholischer Vikar (Curate, Hilfspfarrer) in Moycullen, Co Galway.
23. September 1993: Katholischer Vikar (Curate, Hilfspfarrer) in Salthill, Galway.
Juli 1995: Rücktritt vom aktiven Dienst in der Diözese Galway.

Auf Nachfrage konkretisierte Pfarrer Whelan diese drei Aspekte:

:: “Es war ganz normal, dass John O’Donohue nie zum Gemeindepfarrer ernannt wurde. Bitte bedenken Sie, dass John erst 39 Jahre alt war, als er den formellen Dienst verließ. Er war noch sehr jung. Zu der Zeit wurden die meisten Männer nicht zum Pfarrer ernannt, bis sie Ende vierzig waren. Natürlich hat sich das heute mit dem Rückgang der Priesterzahlen geändert. Aber auch heute noch wird es als ungewöhnlich angesehen, einen Pfarrer in seinen Dreißigern zu haben.”

:: “Seine letzte Berufung innerhalb der Diözese war in Salthill (1993-1995). Im Juli 1995 wurde er von Bischof James McLoughlin als Kurat in Lahinch, Co Clare, das zur Diözese Galway gehört, ernannt. Er lehnte die Ernennung jedoch ab. In den Akten steht lediglich, dass er seit Juli 1995 unabhängig von der Diözese lebte. Es wird keine Erklärung gegeben, warum er vom öffentlichen Dienst zurücktrat.”

:: “Ich kann bestätigen, dass John keine Pfarrstelle als Priester außerhalb der Diözese Galway inne hatte. Allerdings hat er Liturgien außerhalb der Diözese zelebriert, insbesondere wenn er im Urlaub war, oder während seiner Zeit in Tübingen, oder Dinge wie Familienhochzeiten oder Beerdigungen.”

 

Schicksalsjahre: Am Scheideweg

Im Sommer 1995 stand John O’Donohue am Scheideweg. Bischof James McLoughlin hatte seine Versetzung von Salthill, Galway, in die Pfarrei Lahinch in Nord-Clare angeordnet. John wollte Pfarrer sein, aber auch mehr Zeit zum Schreiben finden. Der Bischof versagte ihm den Wunsch nach einer Halbtagesstelle. Er stellte ihn statt dessen vor die Wahl und hoffte, der Vikar würde aufgehen in seiner neuen Aufgabe in der als schwierig geltenden Pfarrei Lahinch und “die Lust an Höhenflügen verlieren”, wie es ein Priester-Kollege formulierte. O’Donohue entschied sich schweren Herzens, die Stelle nicht anzutreten und schied im Juli 1995 nach 14 Amtsjahren aus dem aktiven Pfarrdienst aus. Er kehrte nie wieder in das Pfarrhaus zurück.

“Die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe, war, Priester zu werden”, sagte O’Donohue Jahre später, “und ich denke, die zweitbeste Entscheidung war, vom öffentlichen priesterlichen Dienst zurückzutreten.” Was hatte zu dieser Entfremdung geführt?

 

Fortsetzung folgt

 

 

 

Fotos: Titelfoto John O’Donohue mit freundlicher Genehmigung von H.R. Hebeisen (HRH Fishing Hebeisen);
Markus Bäuchle (2); dtv (1), Irish Times (1)

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