„Ich sehne mich danach, dass du blühst – O Knospe des göttlichen Lichts.“
George William Russell

 
 

Heute eine kleine Vorrede: Bevor ich ein Gedicht des irischen Lyrikers AE präsentiere, einen erläuternden Gedanken „aus dem Nähkästchen“:

Bei meinen Versuchen, durch die Übertragung von Gedichten irischer Lyrikers Irlandnews eine weitere „Farbe“ hinzu zu fügen, musste ich feststellen, dass der Rahmen mitunter eng gesteckt ist:

Es können eigentlich nur rechtefreie Gedichte sein, die ich übertrage und gestalte, das heißt die Autoren müssen mindestens 70 Jahre tot sein. Daraus folgt, dass zeitgenössische Lyrik fast ausgeschlossen ist. Einzig von Patrick Kavanaghs Nachlass-Verwaltern bekamen wir bislang die Erlaubnis, zwei seiner Gedichte zu übertragen und vorzustellen. Die Rechteinhaber anderer Autoren antworten nicht, die eines weiteren Autoren verlangten für den Abdruck Summen, die im Rahmen dieses nicht-kommerziellen und werbefreien Webmagazins nicht finanzierbar sind.

So ist aktuell eines der wichtigsten Kriterien meiner Auswahl das Alter des Gedichtes – was natürlich die interessanten zeitgenössischen Lyriker (etwa Seamus Heaney oder Eavan Boland) weitgehend ausschließt.

Wir bleiben denoch am Ball . . . und natürlich finden sich unter den den Werken der Altvorderen viele Preziosen, die für Irlandnews zu entdecken sind  – zum Beispiel das heutige, das jahreszeitlich hervorragend passt: Winter.

 

 

George William Russell
10. April 1867 – 17 Juli 1935

(Foto wikipedia)

George William Russell war ein irischer Dichter, Herausgeber, Maler, Journalist und Theosoph des frühen 20. Jahrhunderts. Russell (Pseudonym „AE“) wurde am 10. April 1867 in Lurgan im County Armagh im heutigen Nordirland als jüngstes von drei Kindern geboren. 1878 übersiedelte die Familie nach Dublin, wo George eine Kunstschule besuchte, die er aber vorzeitig abbrach. Wie viele seiner intellektuellen Zeitgenossen beschäftigte er sich mit spirituellen Ideen, abseits der traditionellen christlichen Konfessionen. Zahlreiche namhafte Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler des ausgehenden 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts (auch James Joyce) standen in Verbindung mit der Theosophie; so dass Mitglieder der Theosophischen Bewegung einen bedeutenden Anteil an der Entwicklung des Geisteslebens der damaligen Zeit hatten.

Im Umkreis der irischen Theosophischen Gesellschaft – auch W.B Yeats engagierte sich hier -, lernte er seine Frau Violet North kennen. Zusammen mit Yeats war er Mitbegründer einer theosophischen Loge in Dublin. Zahlreiche Splits und Streitereien führten dazu, dass er aus der Theosophsichen Gesellschaft austrat und 1898 mit der „Hermetic Society“ eine unabhängige Organisation gründete, deren Präsident er bis 1933 war.

Eine weitere Strömung, die Russel prägte, war die politische und organisatorische Unterstützung der Bauern. Lange Jahre war er für die Irish Agricultural Organisation Society (IAOS) tätig, deren Ziel es war, die irischen Kleinbauern aus der Abhängigkeit von Wucherern und Landlords zu befreien und eine neue Grundlage für die irische Landwirtschaft zu schaffen. Auf Empfehlung von Yeats wurde Russel zu einem führenden Organisator dieser cooperativen, sozialreformatorischen Bewegung in Irland.

Seine Vision: “Der Verfall der Zivilisation kommt von der Vernachlässigung der Landwirtschaft. Es ist notwendig, bewusst eine ländliche Zivilisation zu schaffen.”  Nicht eine “Zurück-zum-Land”-Mentalität, die die Zivilisation verdammte, sondern die Idee, die Vorteile des städtischen Lebens auf das Land bringen: Bauern als gebildete, kultivierte Menschen in einer intakten Umwelt, ohne den Drang, die Farm für die Stadt aufzugeben…. (Quelle: Katinka Hesselink)

Russell kam früh mit der Dubliner Literaturszene in Berührung. Er gilt neben William Butler Yeats und Lady Gregory als eine der zentralen Figuren des eher traditionell gesinnten Teils der Irischen Renaissance. Neben einigen Gedichtbänden ( Homeward: Songs by the Way (1894),  The Earth Breath (1897),  The Divine Vision (1904),  Collected Poems (1913 und 1937) verfasste er eine Vielzahl von Artikeln und Traktaten. Zwischen 1905 und 1923 war er Herausgeber der Zeitschrift „Irish Homestead“ und zwischen 1923 und 1930 des „The Irish Statesman“.

 

 

WINTER

George William Russell

 

A DIAMOND glow of winter o’er the world:
Amid the chilly halo nigh the west
Flickers a phantom violet bloom unfurled
Dim on the twilight’s breast.

Only phantasmal blooms but for an hour,
A transient beauty; then the white stars shine
Chilling the heart: I long for thee to flower,
O bud of light divine.

But never visible to sense or thought
The flower of Beauty blooms afar withdrawn;
If in our being then we know it not,
Or, knowing, it is gone.

(Collected Poems by A.E.  1913)

 

Geht man vom geistigen Hintergrund des Autors als Mitglied verschiedener esoterischer Logen aus, so liegt es nahe, das Gedicht nicht auf die Beschreibung eines Naturphänomens zu reduzieren. Ob diese „violette Blüte“ vielleicht eine Entsprechung in der „Blauen Blume“ der deutschen Romantik hat?  Dort steht diese jedenfalls für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen. Würde hier auch passen….

 

 

Herzlichen Dank an Karin Mangold-Schneider für die Unterstützung bei der Textübertragung.

Bild: Werner Bartholme; Rauhreif – Winter 2019; Taubertal