Wir alle lieben diese typisch irischen Postkartenidyllen. Grüne Wiesen, blauer Himmel, ein sauber weiß getünchtes Cottage, das sich malerisch im dunkelblauen Wasser einer Meeresbucht spiegelt. Herrlich. Wir sehen uns in diesem Cottage schon wohnen.
Was die Augen des Besuchers bezirzt, was die Phantasie anregt – und was ästhetisch stimmig ist, stellt sich in der Lebensrealität der Bewohner oft völlig anders dar. Manche Irlandfreunde, die sich den Traum erfüllten und sich ein traditionelles irisches Steincottage kauften, wissen ein Lied davon zu singen: Die Räume hinter den nicht isolierten Wänden sind oft feucht und kalt und im Winter mangels tauglicher Heizung kaum warm zu bekommen.
In dem malerischen Cottage auf unserem Foto etwa lebte bis vor drei Jahren eine alte alleinstehende Frau, die sich im Winter – frierend, schlecht ernährt und krank – nicht mehr selber versorgen konnte. Sie lebt mittlerweile im Altenheim. In diesen Wintertagen sitzen hinter alten irischen Steinmauern viele arme und alte Leute frierend an ihren offenen Feuerstellen und versuchen ihren Körper warm zu halten.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Celtic-Tiger-Jahre an fast einem Drittel der irischen Bevölkerung spurlos vorbei gegangen sind. In vielen ländlichen Gegenden, in abgelegenen Seitentälern oder in den Bergen des Westens, aber auch mitten in den Dörfern leben Menschen so einfach und primitiv, als hätte es den großen Wohlstandsboom auf der Insel nie gegeben. Sie sind die Leidtragenden dieses bitter kalten Winters.
Photos: Peter Zoeller (oben), Markus Bäuchle (unten)