Zwischen den Jahren nennen wir diese Zeit – mit Worten aus einer anderen, fast vergangenen Zeit: Die zwölf Tage und Nächte von Weihnachten. Yuletide, the Twelve Days of Christmas. Diese Rauhnächte zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar, zwischen dem beendeten Mondjahr und dem Ende des Sonnenjahres, sind wie eine Zeit außerhalb der Zeit. Sie machen es uns leicht, zu verschwinden und uns endlich einmal wieder unsichtbar zu machen, tief einzutauchen in die tatenlose Kontemplation. Kontemplation – ein schöner Begriff für Zusehen, Betrachten, Nicht-Eingreifen und Nichts-Tun.
In diesen Tagen wünschen wir uns, die Zeit stünde still, und manchmal steht sie wirklich still. Unsere ersten Jahre an der Atlantikküste im ländlichen Irland stärkten das Gefühl, dass die Zeit in dieser Zeit nach der Wintersonnenwende inne hält. Das Land fiel ab dem 25. Dezember in einen kurzen tiefen Winterschlaf. Alles war ruhig. Die Geschäfte blieben geschlossen, einen Tag und eine Nacht lang sogar die Pubs, der Briefträger nahm eine mehrtägige Auszeit, die Menschen zogen sich in ihre Häuser zurück, die Straßen blieben leer und verlassen. Heute fahren die Paket-Kuriere, diese Infanterie des Konsumkriegs, nonstop sieben Tage die Woche, die Frau von der Post kommt, weil es sein muss, auch am Sonntag. Wer einhalten will, kann es sich nun einrichten.
Einfach einmal die äußere Realität ignorieren. Für ein paar Tage nur die äußere Wirklichkeit lässig links liegen lassen. Sich ihr wenigstens für Augenblicke entziehen. Sich selber genug sein. Keine Gedanken an die Ozeane, in denen bald mehr Plastik schwimmt als Fisch. Schon gar nicht an die lebens-verneinenden Kräften, die gerade mächtig die Oberhand haben. Nicht an die globalen und lokalen Wachstums-Faschisten, an die maßlosen Marsflieger und auch keine Gedanken an die jahreszeitliche Konsumorgie. An nichts davon. Ich sehne mich nach Ruhe.
Statt dessen Blicke aus dem Fenster und nach innen. Stille. Weite. Raum. Zweckfreie Zeit. Sprachlos sein. Coming Home. Heiter sein und Kraft schöpfen. Hoffnung finden. Blicke auf den ewigen Atlantik, Blicke auf die uralten Berge. Ruhe. Die digitalen Medien ausgeschaltet. Die Gegenwart begrüßen..
Das zwölftägige Ritual der Rauhnächte öffnet uns auch am Atlantik alle Sinne über die fünf aristotelischen hinaus. Es ist die Zeit, das Wesentliche zu schauen, die Zeichen der Natur zu deuten, die Erfahrungen von zwölf Monaten zu integrieren und die Bestimmung zu erkennen. Diese Niemandszeit der Wolfsnächte ist eine Zeit des Übergangs, die Menschen in Europa seit Jahrtausenden würdigen. Die meisten nennen sie nun Weihnachten; sie holen sich einen Nadelbaum oder Tannengrün in die Wohnung und tauschen Geschenke aus. Valentin Kirschgruber hat in seinem Buch über die Rauhnächte der Zeit zwischen den Jahren diese Bedeutung zugeschrieben: „Weniger denken – mehr fühlen, spüren und erahnen“.
Allen Leserinnen und Lesern von Irlandnews
eine erkenntnisreiche Zeit außerhalb der Zeit.
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Fotos: Markus Bäuchle
Ohh, we are all made of stars … bei mir kommen sie aus dem Kamin.
Hallo Markus
Deine Gedanken sind so wunderbar formuliert und sprechen mir selbst direkt aus der Seele und in die Seele. Ganz von herzen Danke dafür. Es ist ein echtes Weihnachtsgeschenk !
Wir haben Besuch und so nehme ich mir immer mal „zwischendrin“, wenn ich mit den Jungs (dem 2- jährigen Liam, unserem Enkelchen und unserem nun auch 2 Jahre alten Wintersonnenwendgeburtstags- Hund Loumi) allein draussen unterwegs bin Zeit genau dafür. Heute hüllten dichte Nebelschleier unsere Berge ein und ich empfand diese Stille und Einsamkeit darin ungeheuer beglückend… fast so wie ein Abend am knackenden funkensprühenden Kamin hier, wo wir wenig reden, nur ins Feuer gucken und uns freuen und jeder ein bisschen seine eigenen Gedanken in die Zeit fallen lässt. Mögest Du mit Deiner Familie wunderbar Einkehr feiern in diesen Rauhnachttagen und – nächten. Anbei der Blick zu unserem Haus unter den Wintersternen die oft wie eine Kathedrale über uns stehen weil es hier Null Lichtverschmutzung gibt in dieser Bergeinsamkeit…
Ich danke Dir, liebe Sylvia. Es ist ein großes Geschenk unter einem solchen Himmel leben und das Licht genauso wie die reine Dunkelheit erfahren zu dürfen. Alles gute Euch!
Hallo Markus,
deinen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen…….
Aus meinem Rückzugsort wünsche ich eine beschauliche, nach innen gerichtete Zeit „Zwischen den Jahren“
Walter
„Kontemplation – ein schöner Begriff für Zusehen, Betrachten, Nicht-Eingreifen und Nichts-Tun.“
Eigentlich gefällt mir der Begriff der Beschaulichkeit am besten … in diesem Sinne.
🌲🧑🎄 Wir wünschen ein wundervolles Weihnachtsfest und ein ganz tolles 2025 with Love Peace und Happynes ❤️🙃🧑🎄🍀